
Das Staatsexamen gilt als heilige Kuh des Wissenschaftsbetriebs. Die klassischen Studiengänge Jura, Medizin und Theologie halten an diesem altbewährten Modell fest und trotzen der Bologna-Reform. Doch in Fachkreisen ist nun eine Diskussion darüber aufgeflammt, ob die juristischen Fakultäten künftig einen staatsexamensbegleitenden, integrierten Bachelor-Studiengang anbieten dürfen sollen. Die Vorsitzende des Deutschen Juristen-Fakultätentages, Prof. Tiziana Chiusi, spricht sich vehement gegen eine derartige Ergänzung im Jura-Studium aus. In einem Meinungsbeitrag für die Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) warnte sie kürzlich vor einem nutzlosen „Jodeldiplom“ oder „Loser-Bachelor“.

Sie pries den klassischen Weg zum zweiten Staatsexamen und merkte an, dass ein zusätzliches Bachelor-Angebot auch einen erheblichen Verwaltungsaufwand für die Fakultäten bedeuten würde. Zudem gebe es für Bachelorabsolventen derzeit keine berufliche Verwendung in der Rechtspflege. Sie befürchtet allerdings, dass der drohende Fachkräftemangel hieran etwas ändern und das System des Staatsexamens dadurch in Gefahr geraten könnte. Für Prof. Chiusi ist das eine fatale Entwicklung, die auch die Qualität von Verwaltung und Wirtschaft sowie den gesellschaftlichen Zusammenhalt in Deutschland massiv beschädigen könnte. Denn all diese Bereiche stünden ihrer Ansicht nach nur deshalb so gut da, weil der funktionierende Rechtsstaat durch Juristen mit zweitem Staatsexamen abgesichert wird.
Einspruch gibt es nun aus Niedersachsen. Prof. Hans Michael Heinig, Dekan der Juristischen Fakultät der Georg-August-Universität Göttingen, spricht sich für einen integrierten Bachelorstudiengang im Fach Jura aus. Diskutiert werde die Frage in Göttingen schon längere Zeit, erklärte Prof. Heinig dem Politikjournal Rundblick. Er selbst sehe zahlreiche Vorteile darin. Ein Bachelor-Abschluss, der in das bisherige Staatsexamen-Studium integriert wird, könnte eine Absicherung sein für den Fall, dass man am Ende des Studiums scheitern sollte. „Das Staatsexamen gilt als sehr schwierig. Auch leistungsstarke Studierende haben eine ausgeprägte Prüfungsangst“, schildert Prof. Heinig die Lage.

Diese Prüfungsangst könne allerdings abgebaut werden, wenn schon im Laufe des Studiums ein Abschluss erworben werden könnte, eine Art „Rückfallposition“. „Mir berichten zunehmend gute Studierende aus anderen Fächern, dass sie die Examensbedingungen in Jura, die eine große Abschlussprüfung, auf die alles ankommt, abgeschreckt haben. Unsere Gesellschaft braucht aber doch möglichst viele der besten Köpfe auch in den juristischen Berufen.“ Zudem gebe es auch Studenten, die für ihre Berufswahl gar kein Staatsexamen benötigten und mit einem Bachelor-Abschluss ausreichend juristische Kenntnisse etwa für ein Volontariat erworben hätten. Auch werde die internationale Mobilität der Studenten durch einen Bachelorabschluss erhöht, so Prof. Heinig. Denn der Jura-Bachelor wäre international anschlussfähig.
In Niedersachsens Wissenschaftsministerium ist vom Modell des „integrierten Bachelors“ nicht überzeugt. Auf Rundblick-Anfrage erklärte Ministeriumssprecherin Heinke Traeger, „dass das Augenmerk bei der Einrichtung oder Änderung von Studiengängen auf der Sicherung der Qualität des Angebotes gelegt werden muss.“ Da der Bachelorabschluss definiert ist als der erste berufsqualifizierende Studienabschluss, müsse die Hochschule bei der Konzeption eines solchen Bachelorstudiengangs und der Lern- und Prüfungsinhalte auch schon Überlegungen zu möglichen Berufszugängen und Karrierewegen sowie zu anschlussfähigen Masterstudiengängen anstellen. Allerdings erkennt man im Ministerium an, dass dies im Fach Jura sehr spät geschehe und es zu häufig zu Studienabbrüchen komme. Eine mögliche Reaktion darauf wäre ein juristischer Bachelor- und Masterstudiengang, der sich auch in allen anderen Belangen an den Bologna-Strukturreformen orientiert.
Der „integrierten Bachelor“ im Fach Jura muss derweil getrennt betrachtet werden vom Modellstudiengang Rechtswissenschaften, der nun an der Leuphana-Universität Lüneburg eingerichtet wird. Prof. Heinig betont, dass sich die beiden Modelle „deutlich“ voneinander unterschieden. Während an der Leuphana zum schon bestehenden Bachelor- und Masterstudiengang am Ende der optionale Zugang zum Staatsexamen hinzukommt, geht es beim „integrierten Bachelor“ um eine Ergänzung des bisherigen Staatsexamen-Studiums.
Prof. Heinig formuliert sein Anliegen so: „Wir wollen an den klassischen Juristischen Fakultäten die Freiheiten und die Flexibilität aus dem Staatsexamensstudiengang möglichst bewahren und damit auch die Möglichkeit des ‚Freischusses‘, das heißt eines zusätzlichen Examensversuchs.“ Er hofft künftig auf Rechtssicherheit durch eine mögliche Änderung des niedersächsischen Hochschulgesetzes – und wünscht von den politischen Parteien im Vorfeld der Landtagswahl eine Positionierung zu dieser Frage.