Inklusion: CDU will bei vollem Tempo die Handbremse ziehen
Die CDU-Landtagsfraktion will die noch bestehenden Förderschulen Lernen im Sekundarbereich in Niedersachsen erhalten. Die rot-grüne Mehrheit machte gestern im Landtag allerdings ihre Ablehnung deutlich. Ein Kommentar von Martin Brüning.
Wer beim Autofahren das Tempo reduzieren möchte, der tritt mit dem Fuß angemessen auf die Fußbremse. Wer bei voller Fahrt die Handbremse zieht, der droht die Kontrolle über den Wagen zu verlieren. Der CDU-Plan eines Moratoriums bei der Inklusion ist nichts anderes als das Ziehen der Handbremse während der Fahrt. Das ist keine sanfte Tempo-Reduktion, sondern ein sinnloser Eingriff. Schulen, Eltern und Lehrer werden davon keinen Vorteil haben. Im Gegenteil: es kommt eher noch mehr Unruhe ins System.
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Auch die Debatte im Landtag über den Fortbestand der Förderschulen Lernen geht an der Realität vorbei. Rund 150 dieser Schulen gibt es noch im Land – sie entscheiden nicht über das Wohl und Wehe des Inklusionserfolges. Der Gesetzentwurf der CDU war lediglich eine willkommene Vorlage für eine Generalabrechnung der Opposition mit der rot-grünen Bildungspolitik. Auf jede Mutter, auf jeden Vater eines Kindes mit Behinderung muss diese Landtagsdebatte grotesk gewirkt haben. Die verbissene, von der nahenden Landtagswahl geprägte Tonalität der Debatte passt nicht zu einer ernsthaften Diskussion über die Zukunft von Kindern mit Behinderung in unserem Land. Das Auftreten der Politik ist hier teilweise enttäuschend.
Natürlich läuft nicht alles gut bei der inklusiven Beschulung. Natürlich fehlt es an Lehrern und Sozialpädagogen. Und natürlich gibt es landauf, landab Beispiele, in denen sich Lehrer von der immer stärkeren Heterogenität ihrer Schulklasse überfordert fühlen. Das ist nicht erstaunlich und war schon zu Beginn des Prozesses zu erwarten. Der Weg der Inklusion ist anstrengend und dauert Jahre. Weder ein Moratorium noch ein krampfhaftes Festhalten an der Förderschule Lernen wird daran etwas ändern. Man kann Rot-Grün allerdings durchaus vorwerfen, dass zu wenige Szenarien für die kommenden Jahre entwickelt und kommuniziert werden. Die kürzlich zur Verfügung gestellten 650 weiteren Stellen für pädagogische Mitarbeiter wirken eher wie ein durch die Landtagswahl begründetes panisches Herumdoktern und weniger wie eine langfristige Inklusions-Strategie.
Über die Möglichkeit, punktuell Förderschulen mit dem Schwerpunkt Lernen bestehen lassen zu können, sollte ernsthaft ohne ideologische Scheuklappen ergebnisoffen diskutiert werden, hieß es gestern vom Verband Niedersächsischer Lehrkräfte. Ob die Politik überhaupt noch in der Lage ist, in der Schulpolitik etwas ernsthaft und ohne ideologische Scheuklappen zu diskutieren? Es wird auch deshalb immer schwieriger, weil sogar von außen weiteres Öl ins Feuer gegossen wird. Die Lehrer-Gewerkschaft GEW wirft der CDU „blanken und billigen Wahlkampfpopulismus“ vor. Man „hätte nicht gedacht, dass Althusmann sich dafür hergibt“, heißt es in der Pressemitteilung. Die CDU nehme nicht zur Kenntnis, wie groß die Akzeptanz der Inklusion bei den Eltern sei. Na, dann ist ja alles gut, möchte man sagen. Für die GEW gilt allerdings: Wer in einer solchen Form parteipolitisch eindeutig Position bezieht und Pressemitteilungen verschickt, die im Kurt-Schumacher-Haus geschrieben worden sein könnten, sägt als Verband stark am Ast seiner Glaubwürdigkeit. Das kann auch nicht im Interesse der Mitglieder sein. Die Lehrer haben verdient, dass man sich angemessen und ehrlich mit ihren Herausforderungen befasst – sowohl in der Politik, als auch in der eigenen Gewerkschaft.
Mail an den Autor dieses KommentarsDieser Artikel erschien in Ausgabe #111.