27. Mai 2019 · 
Landwirtschaft

Im Schweinestall der Zukunft sollen die Ferkel eine Spielecke bekommen

Von Niklas Kleinwächter „Aus gesellschaftlicher Sicht sind die Ergebnisse wenig spektakulär“, sagt Marie von Meyer-Höfer. „Aber im Vergleich zur konventionellen Landwirtschaft sind es echte Highlights.“ Von Meyer-Höfer ist promovierte Agrarwissenschaftlerin und beschäftigt sich mit dem Marketing für Lebensmittel und Agrarprodukte. Sie ist Expertin dafür, welches Image unsere Nahrungsmittel haben – und auch dafür, wie diejenigen angesehen sind, die sie produzieren. Das Interesse an der Herkunft unserer Lebensmittel steigt. Wie genau etwa die acht Millionen Schweine in Niedersachsen ihr zumeist sehr kurzes Leben verbringen, beschäftigt zunehmend mehr Menschen. Bilder von sogenannten Kastenständen und Abferkelbuchten oder Berichte über das Kupieren von Ferkeln, also das Abschneiden der Ringelschwänze, lösen bei den Verbrauchern oft emotionale Reaktionen aus. [caption id="attachment_13756" align="alignnone" width="780"] Mehr Platz, Ablenkung und Zugang zum Außenklima - das macht Schweine und Verbraucher glücklich. - Foto: dusanpetkovic1[/caption] Weil die gesellschaftliche Kritik an der Nutztierhaltung nicht abreißt, versuchen Landwirte, Politiker und Wissenschaftler nun Antworten auf die Frage zu finden: Wie muss moderne Tierhaltung aussehen, damit sie von der Gesellschaft akzeptiert wird? Marie von Meyer-Höfer hat sich mit einem Forschungsverbund an der Uni Göttingen mit dieser Fragestellung intensiv beschäftigt und versucht, einen Stall der Zukunft zu entwerfen. Am Montag stellten die Wissenschaftler ihre Ergebnisse im Bundeslandwirtschaftsministerium in Berlin vor. https://twitter.com/bmel/status/1132980615748444160 Ein Teil der Erkenntnisse des Forschungsverbundes sind wenig überraschend, andere haben es in sich: Im Stall der Zukunft sollen die Tiere deutlich mehr Platz und Bewegungsfreiheit bekommen. Zudem müsste es getrennte Funktionsbereiche geben – also separate Zonen, in denen die Schweine fressen, liegen, ihr Geschäft verrichten und wo sie sich ablenken können. In einer Broschüre geben die Forscher detaillierte Anweisungen, wie die einzelnen Bereiche aussehen können. So verweisen sie etwa darauf, dass auf Eisen und Stahl verzichtet werden sollte, weil dies an Käfighaltung erinnere und damit schlechte Assoziationen in der Bevölkerung auslöst. Viel besser ankommen würden Holzelemente, die außerdem noch nachhaltiger sind als Stahl. Der Stall der Zukunft muss zudem alle Produktionsschritte umfassen: Vom Deckzentrum über den Abferkelbereich bis zum Mastbetrieb. Nur so könne einem ganzheitlichen Anspruch entsprochen werden. In der Projektbroschüre wird dann genau differenziert: Die Tiere sollen zwar so viel Raum wie möglich bekommen und nur wenig fixiert werden. Aber zum Schutz der Ferkel sind Begrenzungen und auch Fixierungen der Sauen durchaus noch vorgesehen.

Zugang zum Außenklima stellt die größte Herausforderung dar

Um zu diesen möglichst ausgewogenen Erkenntnissen zu kommen, haben sich die Wissenschaftler einer Methode aus der Stadtplanung bedient. Mit einer sogenannten Zukunftswerkstatt haben sie ganz verschiedene Menschen zusammengebracht, um über die Nutztierhaltung zu reden. Dabei ging es vor allem darum, dass die Personen sich als Betroffene verstehen. Demgegenüber stand ein Technik-Team mit professionellen Stallbauern. In ständigem Wechsel haben sich im Verlauf des Projektes die Technik- und die Laien-Gruppe immer wieder abgestimmt. Am Ende kam dann ein Entwurf heraus, den die Wissenschaftler mit Methoden der Marktforschung abgetestet haben. Was kommt gut an in der Bevölkerung? Ganz hoch im Kurs stand dabei ein offen gestalteter Stall. So sollen die Tiere einen Zugang zum Außenklima bekommen. Darin liegt aber auch eine der größten Herausforderung für den Stallbau der Zukunft. Die Tiere sollen zwar raus, aber das dürfe man sich nicht so vorstellen, dass sie auf eine grüne Wiese kommen, erklärt von Meyer-Höfer. „In den Schweinehochburgen in Niedersachsen wird das nie so sein.“ Dafür gebe es zu wenig Raum und zu strenge Vorgaben. Denn auch die Politik verhindert, dass die Tiere nach draußen kommen. Verbringen die Tiere Zeit unter freiem Himmel, schaden sie nämlich der Umwelt und die Umwelt schadet ihnen: durch unkontrollierte Emissionen und durch fehlende Tierhygiene. Hier bestehe also ein politischer Zielkonflikt, sagt von Meyer-Höfer. „Wir müssen uns fragen: Wie viel ist uns Tierwohl wert im Vergleich zu Klimaschutz und Hygiene?“ Im Bundeslandwirtschaftsministerium formulierten die Wissenschaftler eine klare Forderung an die Politik: Vereinfacht die Genehmigungen für den Außenluftzugang von Schweinen.

Wir werden nicht alle Probleme der Schweinehaltung mit dem Bau eines neuen Stalls beheben können.


Der offen gestaltete Stall soll aber nicht nur den Tieren Zugang zur Außenwelt ermöglichen. Die Außenwelt soll auch einen Einblick in die Produktionsabläufe in der Nutztierhaltung bekommen. Die Wissenschaftler wollen den Stall nicht nur als Produktionsstätte verstanden wissen. In ihren Augen muss der Stall selbst zum Kommunikationsmedium werden. „Wir werden nicht alle Probleme der Schweinehaltung mit dem Bau eines neuen Stalls beheben können“, stellt von Meyer-Höfer fest. Was ihr wichtig ist, ist dass der Diskurs über den richtigen Umgang mit Nutztieren am Laufen bleibt. Die Studienergebnisse sieht sie als einen Beitrag dazu. „Es ist ganz wichtig, dass wir rauskommen aus der Frontendiskussion.“ Die neuen Stallkonzepte können nur ein Anstoß sein für eine weiterhin kontroverse Diskussion über die Nutztierhaltung. Denn eine Frage können auch die Wissenschaftler aus Göttingen noch nicht beantworten: Wer soll das bezahlen? Nach ersten ökonomischen Betrachtungen gehen sie von Mehrkosten deutlich über 30 Euro pro Mastschwein aus. Die Baukosten sind dabei noch gar nicht bedacht. An dieser Stelle, sagt Marie von Meyer-Höfer, seien dann die Politik und schließlich auch der Markt gefragt.
Dieser Artikel erschien in Ausgabe #099.
Niklas Kleinwächter
AutorNiklas Kleinwächter

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