Hoffnungsträger? Jungstar? Putschist? Der neue CDU-Chef Sebastian Lechner im Portrait
Wer nach den stärksten Momenten im politischen Leben des 42-jährigen Sebastian Lechner sucht, landet sofort im Frühjahr 2019. Das war noch vor der Pandemie und in einer Zeit der Gewissheit, Europa würde dauerhaft in Frieden und Wohlstand leben. Damals war es Lechner, der sich ganz intensiv in die Beratungen zur Reform des Polizeigesetzes eingebracht hatte. Die beiden Antipoden der niedersächsischen Innenpolitik, Minister Boris Pistorius und sein Vorgänger Uwe Schünemann, waren in dieser Debatte eher Randfiguren.
Die Hauptakteure waren Lechner, die unabhängigen Juristen des Landtags und die Fachleute im Innenministerium, darunter vor allem Thorsten Kornblum, der damalige Leiter des Ministerbüros. Sie verhackstückten die vielen Details des Gesetzes, bei denen es um V-Leute, neue Computertechniken, Abhörmechanismen und Sicherungsverwahrung ging. SPD-Mann Kornblum (Jahrgang 1982) ist heute Oberbürgermeister von Braunschweig, CDU-Mann Lechner (Jahrgang 1980) ist Oppositionsführer im Landtag. Man sieht sich immer mindestens zweimal im Leben.
Das ist Lechner: Er kann sich in ein Thema vertiefen, gräbt dann und sucht Argumente, kann in Fachdiskussionen blitzschnell erwidern, Allianzen schmieden und Kompromisse anbahnen. Dann lächelt er oft verschmitzt, neigt manchmal zum Schnellsprechen, sodass man ihn nur schlecht versteht. Der Volkswirt, der auch Jura studiert hat, ist beides zugleich: sehr leidenschaftlich und sehr kommunikativ.
Dabei kommt ihm sein Machtbewusstsein zugute, das hat er in den Wochen nach der Landtagswahl auch noch einmal bewiesen. Nur machtbewusste Menschen kommen in der Politik weiter, aber sie sind nicht immer beliebt. Lechner war als Generalsekretär der Hauptverantwortliche für den zurückliegenden CDU-Landtagswahlkampf, der in einer herben Niederlage endete.
Hat er womöglich als Generalsekretär den Wahlkampf mit gezogener Handbremse geführt?
Am Wahlabend zogen sich die bisherigen CDU-Granden Bernd Althusmann und Dirk Toepffer zurück, und Lechner überlegte kurz, ob er das als Generalsekretär nicht auch tun müsse. Aber er hatte bereits ein Netzwerk, das schon Wochen vor dem Wahltag einen „Plan B“ hatte. Dieser sah für den Fall eines Führungsvakuums nach einem schlechten Wahlausgang vor, dass sich die Partei um Lechner versammelt. In der Generation der 40-Jährigen, heißt es, sei er der Profilierteste und am besten Geeignete.
Aber man hörte und hört auch Grummeln in der CDU. Muss jetzt alles auf Lechner zulaufen, nur weil er das Selbstbewusstsein hat, an die Spitze zu wollen? Schlimmer noch: Hat er womöglich als Generalsekretär den Wahlkampf mit gezogener Handbremse geführt, um am Ende die neue Leitfigur der CDU werden zu können?
Diese Stimmen gibt es, Lechner weiß es. Er reagiert darauf mit Demut und dämpft nach außen den eigenen Ehrgeiz, wenn er freimütig erklärt, auch als Fraktions- und bald Landesvorsitzender der CDU sei er nicht automatisch Ministerpräsidentenkandidat. Gegen die kursierenden Verschwörungstheorien sprechen überdies zwei Aspekte: Wäre der CDU-Wahlkampf mit einem Sieg belohnt worden, hätte Lechner gute Chancen auf den Fraktionsvorsitz oder ein Ministeramt gehabt, er wäre dann auch aufgestiegen und hätte die Schmach der Niederlage nicht am Hacken.
Und dass der Ausgang der Wahl vom 9. Oktober ihn stark belastet, zeigt eine gewisse Niedergeschlagenheit und Depressivität in der Partei. Nach dem Verlust der Regierungsverantwortung im Bund 2021 und im Land 2022 scheint es keineswegs sicher, dass Lechner bei der Wahl des neuen Landesvorsitzenden am 21. Januar ein Glanzresultat bekommt. Ein Dämpfer ist durchaus im Bereich des Möglichen, und das würde zunächst die Oppositionsarbeit im Landtag erschweren. Es dürfte vor der Landtagswahl also gar nicht im Interesse von Lechner gelegen haben, auf die Wahlniederlage zu spekulieren. Denn diese macht seine Arbeit gegenwärtig nicht gerade einfacher.
Wer ist dieser Lechner? Vater von drei Kindern, verheiratet mit einer Mitarbeiterin des Finanzministeriums, die er vor vielen Jahren in der CDU-Landtagsfraktion kennengelernt hatte. Er lebt in Neustadt, eine dreiviertel Stunde Autofahrt von Hannover entfernt. Mitstreiter nennen ihn „einen Stadtmenschen“, der sich für digitale Techniken interessiert, aufgeschlossen gegenüber Neuerungen ist, gut auf Menschen zugehen kann, intensiv beobachtet und davon viel lernt.
Eine gewisse Unrast zeichnet ihn aus, was auch im frühen Lebensweg begründet sein kann. Der Vater, ein Bankmanager, musste oft umziehen, und so war seine Kindheit von vielen Wohnortwechseln geprägt. Hemmingen, Goslar, Aichbach in Bayern und Glashütten in Hessen waren die Stationen – durchaus auch kleine Ortschaften. Er studierte in Hannover und Göttingen, Tübingen und Hohenheim, war wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Uni Göttingen, arbeitete dann für eine Bank und war an einem Unternehmen beteiligt, das Tee vertrieb.
Zur Politik brachte ihn ein Schulfreund, obwohl Lechner (Leistungskurse Mathematik und Physik) eigentlich gar nicht so politisch ausgerichtet war. Aber es gefiel ihm, im Unterricht hart und kontrovers zu diskutieren. Der Deutschlehrer, ein konsequenter Typ, hat ihn tief beeindruckt. „Der sagte immer, dass die Antwort ,Weiß ich nicht‘ von ihm nicht akzeptiert wurde. Wenn einer ,Weiß ich nicht‘ sagte, wurde er zehn Minuten intensiv geprüft. Das Ergebnis war: Irgendwas wusste der Schüler immer, er war zunächst eben nur zu faul, seinen Kopf anzustrengen und nachzudenken.“
Die größten Pluspunkte für Lechner sind sicher seine gute Vernetzung in der Partei, die vielen Kontakte und sein pragmatisches Herangehen an die Probleme. Eine optimistische Grundeinstellung und der Drang nach vorn helfen ihm dabei. Das markiert jedoch auch die Vorbehalte: Lechner erscheint als Vorkämpfer eines Generationswechsels, er ist umgeben von Mitstreitern aus der Jungen Union – und diese Frontstellung weckt bei vielen älteren den Verdacht, sie würden jetzt herausgedrängt werden. Lechner selbst hat sich mal selbstironisch als „den Führer der Revolutionsgarden, der jetzt die Macht übernimmt“ karikiert – um gleich zu betonen, dass genau das nicht seine Absicht sei.
Manche meinen auch, der Machtdrang lasse Lechner zuweilen etwas zu kühl und kalkulierend erscheinen, er kommt dann leicht arrogant herüber. Den Wärmestrom, ohne den Politiker kaum beliebt werden und an die Spitze gelangen, hat er bisher noch nicht entfalten können. Er rauscht eher wie ein ICE zum nächsten Ziel. Als Redner kann er angriffslustig und zuspitzend auftreten, Beispiele für die nachdenklichen und abwägenden Ansprachen gibt es kaum. Es fehlten wohl bisher auch die Gelegenheiten dazu.
Wo steht Lechner nun politisch? Er profilierte sich im Landtag als Innenpolitiker und Verfechter der inneren Sicherheit. Ihn dort als Hardliner zu bezeichnen, wäre wohl falsch. Fragen der Wirtschaft und des Managements, aber auch der Finanzpolitik haben ihn beruflich stark beschäftigt, das bleibt im Grunde für ihn, den Volkswirt, seine „Profession“. Man merkt Lechner an, dass er manchmal nicht ohne etwas Neid zu den Grünen herüberschaut, die viel stärker als die Politiker anderer Parteien von einem Weltbild oder von der Mission des Weltverbesserns angetrieben werden. Hat auch Lechner so ein Projekt, für das sein Herz blutet, das so richtig seine Leidenschaft entfacht? Er nennt die Westbindung Deutschlands, die Freundschaft mit den USA und die europäische Einigung. Die Debatte über die Einführung des Euro, ein von ihm nachdrücklich befürworteter Schritt, habe ihn stark geprägt, sagt er.
Die Aufgabe, die jetzt vor ihm steht, lässt erst einmal wenig Spielraum für Neigungen. Lechner muss die Niedersachsen-CDU wieder aufrichten, ihr Tatkraft, Mut und Perspektiven geben. Dazu braucht er ein gutes Team und auf mittlere Sicht auch Erfolge. Nur dann, das weiß er, wird er als „Mister CDU“ unumstritten sein.
Dieser Artikel erschien am 12.01.2023 in der Ausgabe #004.
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