
Die Diskussion über den Bahn-Streckenausbau zwischen Hannover und Hamburg kommt nicht zur Ruhe. Kurz vor dem nächsten Treffen des Projektbeirats Alpha-E und wenige Wochen vor der Landtagswahl hat das Thema noch einmal besonders an Fahrt aufgenommen. In Bispingen, Gödenstorf, Wietzendorf, Kirchweyhe und Westerweyhe sowie Seevetal haben Bürgerinitiativen gegen eine Neubautrasse durch die Lüneburger Heide protestiert. Vor allem in der Heimatgemeinde von Verkehrsminister Bernd Althusmann (CDU) herrscht Alarmstimmung, nachdem die Deutsche Bahn (DB) kürzlich Pläne für eine neue ICE-Strecke mitten durch Seevetal vorgelegt hatte. Sofort gründete sich vor Ort eine Bürgerinitiative, die auch den Segen der Gemeindeverwaltung erhielt. „Wir fordern jeden Seevetaler auf, dort Mitglied zu werden, um diesen Planungswahnsinn zu verhindern“, sagte Bürgermeisterin Emily Weede in der letzten Augustwoche und setzte dazu prompt eine Sondersitzung des Gemeinderats an, die am kommenden Montag auch live ins Internet gestreamt wird. Und auch in Celle sorgte die DB Netz AG für Unmut, weil sie in der vergangenen Woche kurzfristig eine Info-Veranstaltung zur Bahntrasse abgesagt hatte.

„Es ist nicht die Aufgabe der Bahn, vor Abschluss der Variantenprüfung jeden Tag Nebelkerzen und Vorfestlegungen zu verkünden“, ärgert sich der Grünen-Landtagsabgeordnete Detlev Schulz-Hendel. Laut dem verkehrspolitischen Sprecher der Umweltpartei erschwert aber nicht nur das Eisenbahnunternehmen die Planungen für das Schienenausbauprojekt. „Zur Wahrheit gehört auch dazu, dass die Zerstrittenheit der betroffenen Regionen entlang der Bestandsstrecke den Prozess unnötig verzögert hat. Ebenso unverständlich ist es, dass Kommunalpolitiker von SPD, CDU und FDP insbesondere in der Region Lüneburg dem vom Land finanziell geförderten Projektbeirat Alpha-E sogar die Legitimation aberkannt haben“, kritisiert Schulz-Hendel. Den Bundes- und Landespolitikern der drei Parteien wirft er vor, das Thema für den Wahlkampf zu missbrauchen.
Fast täglich werde „eine politische Sau mit Statements durchs Dorf getrieben“, bemängelt der Lüneburger und wirft seinen Politikerkollegen vor, die Menschen in den betroffenen Regionen zu verunsichern. „Wir brauchen jetzt den Abschluss der Variantenprüfungen, und es müssen die neuen Prognosezahlen mit den Zielzahlen 2040, die voraussichtlich im Frühjahr 2023 vorliegen, berücksichtigt werden“, betont Schulz-Hendel. Diesem Ergebnis vorwegzugreifen sei dem Prozess überhaupt nicht dienlich. Um planungs- und baurechtlich auf der sicheren Seite zu sein, müsse die Bahn alle drei Varianten rechtsicher prüfen und transparent darstellen.
Drei Varianten für das „optimierte Alpha-E plus“ stehen zur Debatte: der Ausbau der Bestandsstrecke, ein bestandsnaher Ausbau mit Ortsumfahrungen sowie ein Streckenneubau entlang der Autobahn 7. Grundlage für diese Planungen sind der Bundesverkehrswegeplan und die gemeinsame Abschlusserklärung des „Dialogforums Schiene Nord“ aus dem Jahr 2015. Die betroffenen Landkreise und Kommunen, Umwelt- und Verkehrsverbände, Bürgerinitiativen, Hafenwirtschaft, die Deutsche Bahn, der Bund sowie die Bundesländer Niedersachsen, Bremen und Hamburg hatten sich dabei auf mehrere Punkte geeinigt - wie etwa den dreigleisigen Ausbau von Lüneburg nach Uelzen und den zweigleisigen Ausbau von Rotenburg nach Verden. Schon damals zeichneten sich aber auch schon Unstimmigkeiten ab. Stadt und Landkreis Lüneburg sowie die Hansestadt Hamburg sperrten sich gegen eine Unterschrift.

Lüneburgs Landrat Jens Böther (CDU) bekräftigte diese ablehnende Haltung vor einigen Wochen bei einem Treffen im Wirtschaftsministerium. In einer gemeinsamen Stellungnahme mit seinem Ersten Kreisrat Jürgen Krumböhmer betonte er, dass ein Bestandsausbau mit drei Gleisen nicht ausreichen werde. „Um den Bedarf für kommenden Generationen abzudecken, sind insgesamt vier engpassfreie Gleise zwischen Hannover und Hamburg notwendig – und die sind wohl nur mit einem Neubau erreichbar“, lautet die Position der Lüneburger. Zudem weisen Böther und Krumböhmer darauf hin, dass ein Bestandsausbau deutlich länger dauern würde als eine Neubaustrecke.
Wirtschaftsminister Althusmann hält die Pläne für einen Neubau entlang der A7 jedoch für „utopisch“ und drängt auf die Umsetzung der Ergebnisse aus dem Dialogforum. „Hochtrabende, aber nicht umsetzbare Projektideen werden keinen Zugkilometer mehr auf die Schiene bringen“, kritisiert Althusmann und sagt: „Immer neue Planungen helfen nicht weiter, sondern erzeugen Stillstand.“ Auch der Landrat des Landkreises Uelzen, Heiko Blume (CDU), hält eine Neubaustrecke quer durch die Lüneburger Heide für nicht realisierbar. „Es muss mehr auf die Schiene – und das schnell und nicht irgendwann. Gerade deshalb ist Alpha-E, also der Bestandsstreckenausbau, heute das Mittel der Wahl“, sagte Blume im Juli nach dem Treffen im Wirtschaftsministerium.

„Mit Alpha-E kann der notwendige Ausbau der Schieneninfrastruktur weitgehend im Konsens geschehen“, ergänzte der Peter Dörsam, Samtgemeindebürgermeister von Tostedt und Sprecher des Projektbeirats. Laut den Bundesgutachtern werde der Bestandsausbau die Güterkapazität auf der Strecke Hannover-Hamburg um 80 Prozent steigern. Dörsam: „Wird jetzt wieder auf eine Neubaustrecke gesetzt, wird es auf sehr lange Sicht keine größeren Verbesserungen geben.“ Die Bürgerinitiativen kritisieren eine Neubaustrecke aufgrund ihrer Auswirkungen auf Landschaft und Umwelt. „Wir haben uns darauf verlassen, dass unsere Dörfer, unsere Kommunen nicht durch eine Eisenbahnstrecke zerschnitten werden“, sagt der Bispinger Bürgermeister Jens Bülthius (parteilos) in einem Videostatement für die Bürgerinitiative mit dem Namen „unsYnn“ und ergänzt: „Wir sind heute genauso wenig wie vor 35 Jahren dazu bereit, eine solche Strecke durch unser Gemeindegebiet zu akzeptieren.“
Angesichts des Klimanotstands müsse es das Ziel sein, „am Ende des Tages so viel Verkehr wie möglich auf die Schiene zu bringen“, betont der Grünen-Verkehrspolitiker Schulz-Hendel. Dass dafür auch ein Streckenneubau erforderlich werden könnte, will er vor der Variantenprüfung nicht ausschließen. Schließlich habe das Dialogforum seine Lösung mit den Zielzahlen für 2030 entwickelt, die mittlerweile schon wieder veraltet sind. Ein Ausbau der bestehenden Trasse sei aber auch bei einer Neubaustrecke sinnvoll.
„Vom Bundesverkehrsminister fordern wir, unabhängig vom Planungsprozess Alpha-E, jetzt zügig kurzfristige Infrastrukturmaßnahmen zur Verbesserung der Betriebsqualität auf der Bestandsstrecke“, sagt Schulz-Hendel. Zu den notwendigen Maßnahmen zählen für ihn die Optimierung des dritten Gleises zwischen Lüneburg und Stelle (Landkreis Harburg) mit zusätzlichen Weichen und Signalen sowie die Optimierung der Knotenpunkte Harburg, Lüneburg, Uelzen und Celle. Zudem dürften die vier Städte nicht vom Fernverkehr abgeschnitten werden, was bei einer Neubaustrecke entlang der A7 durchaus passieren könnte. „Wichtig ist, dass sie eine stündliche Anbindung haben. Ich bin kein Bahnplaner, aber das muss drin sein“, so Schulz-Hendel.