23. Juli 2020 · Inneres

Hindenburgstraße: Historiker warnt vor „Verschwinden der Geschichte“

Der Streit über die Frage, ob die „Hindenburgstraße“ im Zooviertel von Hannover ihren Namen behalten soll oder abgeben muss, erzürnt nun auch Historiker in Niedersachsen. „Wenn eine Straße mit diesem zweifellos diskussionswürdigen Namen einen Sinn hat, dann hier in Hannover“, sagt der Braunschweiger Henning Steinführer, Vorsitzender der Historischen Kommission für Niedersachsen und Bremen. In dem Viertel, das an die nach ihm benannte Straße grenzt, hat Hindenburg über viele Jahre gelebt und gewirkt, bevor er 1925 zum Reichspräsidenten gewählt wurde. „Was nun auf keinen Fall geschehen darf, ist folgendes: Die Straße wird umbenannt, die Geschichte verschwindet und es findet keine kritische Auseinandersetzung mit Hindenburgs Wirken in Hannover mehr statt“, fügt Steinführer hinzu. Dass Hindenburg hier in Hannover gewirkt hatte, verehrt wurde und viele Gäste auch aus der Ferne empfing, müsse aufgearbeitet und vermittelt werden. Der Straßenname leiste dazu einen wichtigen Beitrag.

Rot-rot-grüne Mehrheit für „Loebensteinstraße“

Die Debatte über den Namen der Hindenburgstraße teilt schon seit mehreren Jahren die Geister in der Landeshauptstadt. Da die Straße nur in einem Stadtbezirk verläuft, nämlich Mitte, ist der Stadtbezirksrat für die Namensgebung zuständig. Dort zeichnet sich nun eine Mehrheit von SPD, Grünen und Linkspartei für den neuen Namen „Loebensteinstraße“ ab, ein Bezug zu dem jüdischen Mädchen Lotte-Lore Loebenstein, die in dieser Straße lebte, floh, später deportiert und von den Nazis ermordet wurde. Problematisch ist nun, dass der Stadtbezirksrat die Bürger um Namensvorschläge gebeten hat – und 550 Rückmeldungen registriert wurden. Rund 300 davon, das entspricht einer Mehrheit von 54 Prozent, votierten für die Beibehaltung des bisherigen Namens. Allerdings wurde nicht darauf geachtet, dass nur Anwohner sich beteiligen. Die Repräsentativität ist daher kaum gegeben. Der Rest der Vorschläge verteilte sich auf viele verschiedene Vorschläge, unter anderem war auch die Idee „Greta-Thunberg-Straße“ eingereicht worden. Nach Vorliegen dieses Ergebnisses beharrten SPD, Grüne und Linke auf der Umbenennung, für 6. Juli war beides geplant – die Bewertung der Befragung und die Abstimmung über den neuen Namen. Das wirkte wie ein Überrumpelungsversuch, da kaum Zeit zu Analyse und Bewertung blieb.
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Als die Bezirksbürgermeisterin Cornelia Kupsch (CDU) den von Rot-Rot-Grün anvisierten Termin für die Umbenennung in einer Stadtbezirksratssitzung vor der Sommerpause kippte und das Thema auf Ende September verschob, um vorher eine Stellungnahme der Stadtverwaltung einzuholen, sprach SPD-Stadtbezirksratsfraktionschef Michael Sandow von einem „Skandal“. Diese Reaktion klingt wie von jemandem, den man bei unredlichen Versuch eines politischen Schnellschusses ertappt hatte.
Ich will Hindenburg nicht verteidigen, muss aber sagen, dass er sicher 1932 und 1933 nicht alle späteren Entwicklungen übersehen hat.
Mittlerweile wird die Debatte energischer, je stärker sich herumspricht, dass die Bezirksratsmehrheit tatsächlich gegen den erklärten Willen der meisten Anwohner auf der Umbenennung besteht. Einer von denen, die mit den Genossen im Stadtbezirksrat hadern, ist der frühere SPD-Ratsherr und Jurist Ludwig Meyer, der in einer an die Hindenburgstraße grenzenden Straße wohnt. Was ihn störe, sei der Versuch, „mit dem Namen auch die Vergangenheit wegzuputzen“, sagt Meyer im Gespräch mit dem Politikjournal Rundblick.  „Ich will Hindenburg nicht verteidigen, muss aber sagen, dass er sicher 1932 und 1933 nicht alle späteren Entwicklungen übersehen hat“, betont Meyer. Dass Hindenburg Hitler zum Reichskanzler ernannte, sei auch ein – später als untauglich erkannter – Versuch gewesen, einen Bürgerkrieg zu verhindern und die Nazis einzuhegen. Straßennamen sollten eine Mahnung an die Menschen sein, sich mit den historischen Figuren, die darauf erwähnt werden, auseinanderzusetzen. Straßennamen zu tilgen, berge eine große Gefahr – die dort ursprünglich Erwähnten drohten vergessen zu werden. Damit könnten sie später aber umso leichter glorifiziert werden. So bedauert es Meyer auch, dass nach NS-Vorwürfen der Platz vor dem Landtag nicht mehr nach Hinrich-Wilhelm Kopf benannt wird. Die Büste, die den ersten Ministerpräsidenten und Gründer Niedersachsen zeigte, wurde zudem aus dem Landtag entfernt und bisher nicht wieder aufgestellt. Dabei sei es doch angezeigt, an Kopf zu erinnern – und auch an seine widersprüchliche Rolle in der NS-Zeit, meint Meyer. Es gehöre dazu, die Zwangslagen zu verstehen, unter denen politische Akteure früher gehandelt hatten.

Bildersturm schwappt aus den USA rüber

Die Debatte um die Hindenburgstraße in Hannover kreuzt sich noch mit zwei anderen auffälligen Entwicklungen. Erstens gibt es, aus den USA herüberschwappend, eine Debatte über Denkmäler und ihre Bedeutung. In Amerika werden solche Statuen, die eindeutige Rassisten zeigen, von Demonstranten umgeworfen. Das zeigte aber auch Auswüchse, als etwa in London ein Denkmal Winston Churchills, des glorreichen Premierministers, mit dem Wort „Rassist“ beschmiert wurde. In Niedersachsen gibt es überdies den Versuch bestimmter Gruppen, tatsächliches oder vermeintliches NS-Gedankengut aufzuspüren und zu tilgen. Das äußert sich beispielsweise in dem Antrag von SPD und CDU im Landtag, Autokennzeichen mit angeblichen NS-Codes, wie sie von Rechtsextremisten gern genutzt werden, verbieten zu wollen.
Dieser Artikel erschien in Ausgabe #140.
Niklas Kleinwächter
AutorNiklas Kleinwächter

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