TagesKolumne: Happy Birthday, Grundgesetz!
Falls Sie die vergangenen Wochen in einer Höhle im Harz verbracht haben oder mit Digital Detox unter der Bettdecke, bringen wir Sie mal kurz auf Stand: Alle feiern das Grundgesetz. Wirklich alle. Der Rundblick gratuliert natürlich auch zum 75. Geburtstag unserer Verfassung. Deswegen blicken wir heute mal über das Tagesgeschäft hinaus und auf die Artikel des Grundgesetzes, die uns persönlich umtreiben:
- Niklas Kleinwächter erklärt, warum es so kompliziert ist mit dem Föderalismus – und warum das auch gut so ist. (Selbst, wenn das heißt, dass Gymnasiasten erstmal Latein nachholen müssen, wenn sie aus dem schönsten Bundesland der Welt wegziehen.)
- Christian Wilhelm Link malt den Ernstfall aus und macht einen Vorschlag, wie eine zeitgemäße Wehrpflicht aussehen könnte.
- Klaus Wallbaum fragt, ob es noch reicht, die Pressefreiheit zu gewährleisten – oder muss die Politik auch einen Anspruch auf seriöse Informationen garantieren?
- Und ich, Anne Beelte-Altwig, schaue mir die Hürden an, die uns noch von einer echten Gleichstellung von Frauen und Männern trennen.
Bodo Wartke kennt nicht nur Barbaras Rhabarberbar, sondern auch das Grundgesetz:
Ich glaube, ich habe kaum jemanden mit so großer Herzenswärme von unserer Verfassung sprechen hören wie Muslime in Deutschland. „Im Bewusstsein seiner Verantwortung vor Gott und den Menschen…“: Der Anfang der Präambel öffnet eine Tür bei frommen Menschen. Dass auf diesen Halbsatz eine liberale Verfassung folgt, die Meinungs- und Religionsfreiheit garantiert, ist kein Widerspruch – im Gegenteil. Mir läuft es kalt den Rücken herunter, wenn Leute sagen: „Also, in deren Herkunftsland dürfte ich dieses und jenes nicht…“ und damit begründen, warum Zugewanderte besser den Ball flach halten sollten. Dann denke ich immer: „Ja, eben. Deswegen leben sie ja hier.“ Sie schätzen die Freiheitsrechte, die Menschen in Deutschland genießen, bewusster als viele andere.
Diese Freiheitsrechte, da erzähle ich Ihnen nichts Neues, sind bedroht. Wer von Trollen in den sozialen Medien an den Pranger gestellt wird oder einfach nur Wahlplakate aufhängt, kann zum Opfer werden. Das heißt aber nicht, dass alle ständig in Gefahr sind, die ihre Meinung äußern. Warum glauben das so viele Menschen? Eine umfassende Antwort darauf hat, soweit ich weiß, noch niemand liefern können. Sind wir nach 75 Jahren Grundgesetz immer noch zu unerfahren darin, unsere Freiheitsrechte wahrzunehmen? Eine Meinung von Hass und Verachtung zu unterscheiden? Auf andere zu reagieren, ohne sie als Person zu bewerten? Kritik zu äußern ohne einzuschüchtern?
Im Lauf dieser 75 Jahre war die Gesellschaft schon einmal durchlässiger. Mein Vater als Arbeiterkind konnte Professor werden. Ich weiß nicht, ob das heute noch passieren würde. Es hat sich wieder eine Elite verfestigt, und die tickt nicht mehr autoritär wie im 20. Jahrhundert, sondern linksliberal und ökobewusst. Vielleicht hängt es auch damit zusammen, dass Menschen glauben, sich gegen diesen Mainstream im Bildungswesen oder in den Medien nicht artikulieren zu können.
Also: Grund zum Feiern, ja, aber auch noch Luft nach oben.
Einen meinungsfreudigen Donnerstag wünsche ich Ihnen!
Ihre Anne Beelte-Altwig
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