22. Okt. 2025 · 
FeatureParteien

Gifhorn sucht einen Landrat: Wird es ein Heimspiel für den jungen SPD-Kandidaten?

Ein knappes Jahr vor der Kommunalwahl wird in Gifhorn schon mal gezeigt, wie die Wähler denken. Am Sonntag sind Wahlen zum Landrat. Alle vier Bewerber stellten sich der Debatte.

Plakatwerbung von SPD und CDU in der Gemeinde Hillerse. | Foto: Wallbaum

Die mehr als zweistündige Veranstaltung nähert sich fast dem Ende, da wird es noch mal richtig heftig. Als besonderen Gag haben sich die Organisatoren von der Kreisvolkshochschule Gifhorn (KVHS) ausgedacht, dass die vier Kandidaten für das Amt des Landrats nicht wie zuvor antworten, sondern vielmehr selbst eine Frage an das Publikum richten sollen. Der AfD-Bewerber Stefan Marzischewski, der den ganzen Abend über angespannt wirkt, hat gleich etwas parat: „Gehen Sie gern nachts über die Braunschweiger Straße zum Bahnhof?“, fragt er – wohl wissend, dass dieser Ort zuweilen als ungastlich und angsteinflößend beschrieben wurde, weil sich dort viele junge Männer aufhalten. Das knüpft nun unweigerlich an den aktuellen, vom Kanzler ausgelösten Stadtbild-Disput an.

Doch im Publikum erntet Marzischewski, wie schon in den Stunden zuvor, erst einmal schroffen Widerspruch. Zu der KVHS-Veranstaltung, in der alle vier Landratskandidaten vor der Wahl am 26. Oktober sich stellen sollten, sind viele Menschen erschienen, rund 300 mögen es sein. Überwiegend haben die Teilnehmer das Rentenalter erreicht, aber es sind auch einige jüngere dabei, vor allem unter den Fragestellern. Was man schnell merkt ist die Tatsache, dass die Parteien ihre Anhängerschaft mobilisiert haben – und viele mehr oder weniger geschickt so formulieren, dass ihr Favorit in der Antwort gut aussieht. Kaum hat Marzischewski seine Frage ausgesprochen, da schallt ein „Ja“ durch den Raum und auch durch das Foyer daneben. Dann meldet sich eine Frau und sagt, sie habe „überhaupt kein Problem auf der Braunschweiger Straße“. Eine andere sagt: „Ich bin da öfter langgegangen, war doch interessant zu sehen, wer dort alles ist. Aber angesprochen worden bin ich noch nie. Leider.“ Eine dritte erklärt, sie sei Gynäkologin: „Und als solche weiß ich, dass die Gefahr für Frauen vom Zuhause ausgeht – von den Ehemännern, Vätern, Onkels und Brüdern.“ Ein Feuerwehrmann geht ans Mikrophon und meint: „Angst habe ich auf der Braunschweiger Straße nicht. Unwohl gefühlt hatte ich mich neulich am AfD-Informationsstand, als ich einen Flyer nicht mitnehmen wollte und ein AfD-Mann so grimmig reagiert hat.“ Beifall ertönt. Doch dann meldet sich eine andere junge Frau und berichtet: „Ich bin keine AfD-Wählerin. Aber ja, ich fühle mich tatsächlich auf dieser Straße ein bisschen unwohl, wenn ich nachts da langgehen muss.“

Eng beieinander: Die Bewerber von CDU und SPD. | Foto: Tim Kleinwächter

So bietet die Podiumsdiskussion wenige Tage vor der Gifhorner Landratswahl einen interessanten Einblick in die Debattenkultur des Landkreises. Die KVHS hatte eingeladen, und schon kurz vor Beginn waren die Räume brechend voll, sowohl der Vortragssaal wie auch der Vorraum, wohin das Ganze per Videotechnik übertragen wurde. Man lernt unterschiedliche Charaktere kennen – die der Landratskandidaten Philipp Raulfs (SPD), Telse Dirksmeyer-Vielhauer (CDU), Stefan Marzischewski (AfD) und Marion Mäding (BSW), sowie die von Teilen des Publikums, das vielfältig war, aber in Gestalt einiger Teilnehmer auch sonderbar einseitig. Die Landratswahl wird nötig, da der Amtsinhaber Tobias Heilmann (SPD) Ende Mai überraschend gestorben war. Jetzt ist diese Wahl ein Jahr vor der Kommunalwahl in Niedersachsen und zwei Jahre vor der Landtagswahl ein besonderer politischer Stimmungstest. Sie geschieht in einer Zeit, in der die AfD bundesweit in Umfragen Höhenflüge erlebt und die politische Großwetterlage zu allerhand Aufgeregtheit Anlass bietet.

Ein Polarisierer: Stefan Marzischewski. | Foto: Wallbaum

Zwei der Kandidaten, Raulfs und Marzischewski, sind bisher Landtagsabgeordnete. Dirksmeyer-Vielhauer ist Unternehmerin, führt seit 30 Jahren eine Baumschule und engagiert sich im Kreistag – als Fraktionsvorsitzende der CDU. Mäding, eine Industriekauffrau, die früher bei VW tätig war, geht für das BSW ins Rennen, ist aber sowohl in ihrer Vorstellung wie in der Präsentation im Wahlkampf eher die Außenseiterin. Zwei spannende Fragen überlagern den Wahlkampf: Ist der mit 34 Jahren noch jugendlich und ehrgeizig wirkende Raulfs, bisher Finanzsprecher der SPD im Landtag und dort keineswegs ein Hinterbänkler, automatisch der Favorit in dieser Konstellation – oder kommt der Sprung von der Landes- in die Kommunalpolitik für ihn zu früh? Immerhin ist er seit vier Jahren ehrenamtlicher Bürgermeister in der Gemeinde Hillerse, also bodenständig und verwurzelt. Kann die CDU-Bewerberin Dirksmeyer-Vielhauer ihn in die Stichwahl zwingen, oder reicht die Kraft der CDU vor Ort dazu nicht aus? Im Wahlkampf immerhin sieht man nicht nur viele Raulfs-, sondern auch viele Telse-Plakate. Kann Marzischewski als AfD-Bewerber den beiden anderen gefährlich werden? Der AfD-Mann, ein Krankenhausarzt, wirkt schon seit zehn Jahren im Kreistag und Stadtrat, ist dort sehr rege – und gilt als gut vernetzt. In der Podiumsdiskussion polarisiert er jetzt allerdings, was auch daran liegen mag, dass manche interessierten Bürger mit ihren Fragen ganz offensichtlich das Ziel verfolgen, ihn zu stellen oder zu demaskieren.

So fragt einer, der öfter an SPD-Informationsständen zu sehen war, warum Marzischewski ihn nie angesprochen habe, ob er ihn meiden wolle. „Wenn Sie auf mich zugekommen wären, hätte ich auch mit Ihnen gesprochen“, antwortet der AfD-Kandidat. Mehrere andere haken nach, was Marzischewski mit seiner Anmerkung gemeint habe, der Landkreis wolle 115.000 Euro an Bundeszuschüssen unter dem Deckmantel der Demokratieförderung in Organisationen stecken, die in Wahrheit nur die Abgrenzung von der AfD predigen würden. Marzischewski spricht von einer Antwort der Kreisverwaltung auf seine Anfrage, aus der das hervorgehe. Aber die anderen widersprechen. Tatsächlich hat der Kreis vom Bundesfamilienministerium eine Förderzusage zur „Partnerschaft für Demokratie“ erhalten, dazu wurde auch eine Stelle im Landratsbüro eingerichtet. Ausgegeben allerdings, so stellte Raulfs klar, ist von den 115.000 Euro noch nichts – und damit sei auch noch nicht klar, welche Gruppen davon profitieren sollen. Das Thema kann noch spannend werden.

Volles Haus bei der Kreisvolkshochschule in Gifhorn. | Foto: Wallbaum

Die Diskussion kreist um die desolaten Finanzen, die personelle Ausstattung der Kreisverwaltung, die Planung der Autobahn A39 und eine mögliche Anschlussstelle, die nötige Neuorganisation einer Förderschule und die Ordnung der Schullandschaft. Es geht auch um Transparenz und Bürgerbeteiligung. Raulfs kann punkten vor allem mit klaren Ansagen zur Schulpolitik. Alle Kinder, die im Kreis leben, sollten auch ein ausreichendes Angebot an Schulen im Landkreis haben. Bisher wechseln einige nach Braunschweig oder Wolfsburg, das sei aber bald nicht mehr möglich – und so gehe es auch um den Aufbau neuer Schulen. Jede Standortentscheidung habe Folgewirkungen auf die Verteilung im ganzen Landkreis und den Schülerverkehr. „Es ist vordringlich, hier schon sehr schnell gemeinsam ein Konzept zu entwickeln“, sagt der SPD-Bewerber. Dirksmeyer-Vielhauer wird mit der Forderung nach einer „Rekommunalisierung“ der Kliniken konfrontiert – und äußert sich skeptisch. Die Finanzlage des Kreises sei nicht gut, daher könne man auch nicht leichtfertig einen Stellenaufwuchs in der Verwaltung fordern, wie es die BSW-Kandidatin Mäding getan hatte. Der Nachbarlandkreis Celle gebe ein schlechtes Beispiel, denn dort sei die Klinik nicht von einem Konzern betrieben, sondern vom Landkreis – „und die müssen jedes Jahr Geld nachschießen“. Als es um die Rufe nach „mehr Transparenz“ geht, spielt die CDU-Bewerberin den Ball zurück: „Wir haben schon viel geschaffen, alle Ausschusssitzungen sind öffentlich und man kann in viele Unterlagen Einblick nehmen. Die Wahrheit ist aber auch, dass diese Möglichkeiten meistens gar nicht genutzt werden“, sagt sie und erntet damit zustimmendes Nicken in der Versammlung.

Immerhin an diesem Abend ist ein Mangel an Beteiligung nicht festzustellen. Ein kleines Foul leistet sich der SPD-Sprecher des Ortsvereins Eickhorst-Rethen-Vordorf, der Heimat der CDU-Kandidatin, als er sich erst danach erkundigt, wieso Dirksmeyer-Vielhauer denn mit ihrem Engagement in der Feuerwehr werbe, da sie doch dort nur passives Mitglied sei – und später dann mit einer Frage an Raulfs diesem ausführlich Gelegenheit gibt, seine Vorstellungen von der Förderung der Feuerwehr kundzutun. An dieser Stelle merkt man, wie gut die Vernetzung der SPD funktioniert. Einer allgemein guten Stimmung tut all das keinen Abbruch, die mehr als 300 Gäste, die in die KVHS gekommen sind, gehen nach einer lebhaften Diskussion wieder auseinander.

Der erste Durchgang der Landratswahl ist am 26. Oktober. Wenn keiner der vier Bewerber über 50 Prozent kommt, gibt es zwischen den beiden Bestplatzierten eine Stichwahl am 9. November.

Dieser Artikel erschien am 23.10.2025 in Ausgabe #187.
Klaus Wallbaum
AutorKlaus Wallbaum

Artikel teilen

Teilen via Facebook
Teilen via LinkedIn
Teilen via X
Teilen via E-Mail