1. Nov. 2018 · 
Bildung

Gibt es Arbeitszeitkonten für Lehrer? „Das könnte später möglich sein“, sagt der Minister

Geht es nach einer Arbeitszeitkommission, die 2015 vom Kultusministerium berufen wurde, so sind die Lehrer in Niedersachsen zu stark belastet. Die Soll-Arbeitszeit der 54.000 Lehrer an allgemeinbildenden Schulen in Niedersachsen werde insgesamt um 169.000 Stunden je Woche überschritten. Mit einer verbesserten Methodik in den Schulen lasse sich einiges besser organisieren – unterm Strich blieben dann aber 61.140 Stunden in der Woche auszugleichen. Wenn man die Arbeitszeit an die gesetzliche Höchstgrenze anpassen und für den Mehrbedarf zusätzliches Personal einstellen würde, entspreche das einem Bedarf an 2400 neuen Lehrerstellen – das heiße rund 200 Millionen Euro zusätzlich im Jahr. Kultusminister Grant Hendrik Tonne, der die Studie entgegennahm, zeigte sich skeptisch: „Selbst wenn mir der Finanzminister die Mittel dazu bereitstellen würde, hätte ich die Leute gar nicht, die ich brauche.“ Auf Nachfragen ließ Tonne erkennen, dass man nach einer gründlichen Beratung der Studie durchaus zu dem Ergebnis kommen könne, ein „Arbeitszeitkonto“ anzulegen. „Das steht am Ende des Weges.“ Ein solches Konto würde bedeuten, dass Lehrer für bestimmte Zeit in Mehrarbeit einwilligen, wenn sie später – in weniger angespannten Zeiten – dafür eine Arbeitszeit-Erleichterung erhalten. „Allerdings löst ein Arbeitszeitkonto nicht unser Hauptproblem, dass die hohe Belastung der Lehrer verringert werden soll“, fügte der Minister hinzu.
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Die 2015 berufene, inzwischen geschrumpfte Fachkommission zur Lehrer-Arbeitszeit beschränkte sich im Wesentlichen darauf, die bekannten Ergebnisse einer von der GEW in Auftrag gegebenen Arbeitszeitstudie zu wiederholen und zu interpretieren. Die Untersuchung fußt auf freiwilligen Angaben von rund 3000 Lehrern, wobei sie nicht für alle Schulformen zu repräsentativen Resultaten kam. Wie die Wissenschaftler Frank Mußmann (Göttingen) und Prof. Axel Haunschild (Hannover) erläuterten, gibt es zum einen eine enorme Bandbreite zwischen Lehrern, die zu viel arbeiten, und solchen, die unter ihrer Arbeitszeitverpflichtung bleiben. Unterm Strich würden aber 57 Prozent der Lehrer mehr arbeiten als vorgeschrieben – im Schnitt Gymnasiallehrer drei Stunden je Woche, Grundschullehrer 1,3 Stunden. 57 Prozent der beteiligten Lehrer würden Mehrarbeit leisten, bei 16,8 Prozent der Vollzeitkräfte werde eine Belastung von 48 Stunden in der Woche erreicht. Dabei gehen die Wissenschaftler von einer Drittelung aus – zu gleichen Anteilen falle die Arbeitszeit auf den Unterricht, die Vorbereitung des Unterrichts und auf Zeiten außerhalb des Unterrichts, etwa Gespräche mit Eltern. Deutlich werde, dass einige Gruppen besonders belastet sind – die Schulleiter und Koordinatoren, die Teilzeitkräfte, ältere Lehrer und Oberstufenlehrer. Die Kommission, aus der mehrere, der GEW distanziert gegenüberstehende Mitglieder im vergangenen Jahr ausgeschieden waren, hat nun mehrere Empfehlungen abgegeben:  Für bestimmte Gruppen soll es mehr Entlastungsstunden geben – also eine Kürzung der Unterrichtsverpflichtung. Diese solle bei Grundschullehrern generell von bisher 28 auf 27 Stunden je Woche gesenkt werden, die Größe der Kurse in der Oberstufe solle um zwei Schüler verringert werden, außerdem solle es „Modellversuche“ geben. Kultusminister Tonne sagte, er stehe vielen Vorschlägen aufgeschlossen gegenüber, sehe aber die Senkung der Unterrichtsverpflichtung für Grundschullehrer skeptisch. Auf jeden Fall wolle er die Verpflichtungen für Lehrer, den Schulalltag an mehreren Stellen zu dokumentieren, Zug um Zug abbauen. In einem „Runden Tisch“ könnten die Beteiligten prüfen, welche weiteren Schritte man vornehme. Dazu könne auch gehören, die Verwaltungsarbeiten in Schulen nicht ausgebildeten Lehrern, sondern Verwaltungsmitarbeitern zu übertragen. Stefan Politze (SPD) sagte, der von Tonne eingeschlagene Weg des Abbaus bürokratischer Hemmnisse im Schulalltag sei richtig. Mareike Wulf (CDU) erklärte: „Ein Drittel ihrer Arbeitszeit investieren Lehrkräfte in unterrichtsfremde Tätigkeiten. Wir wollen, dass sie künftig wieder mehr unterrichten statt zu verwalten. Wir müssen aber auch zeitnah Verwaltungsmitarbeiter und Sozialpädagogen einstellen, um den komplexen Anforderungen in Schule gerecht zu werden.“ Julia Hamburg (Grüne) und Björn Försterling (FDP) forderten rasche Taten der Regierung als Konsequenz aus der Untersuchung.
Dieser Artikel erschien in Ausgabe #193.
Klaus Wallbaum
AutorKlaus Wallbaum

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