Gert Hoffmann: Selbstporträt eines Politikers, der seinem Schatten nie entkommen konnte
Gert Hoffmann gehört zu der Sorte Politiker, denen die Karriere nicht in den Schoß gefallen ist. Sie mussten sich jeden Schritt erarbeiten – gegen teilweise erhebliche Widerstände. Dabei unterscheidet ihn etwas von vielen anderen „Aufsteigern“. Hoffmann stammt aus großbürgerlichen Verhältnissen, das Elternhaus war wohlhabend, allerdings alles andere als harmonisch. Er hatte dramatische Erlebnisse in seiner Kindheit, schlug als junger Mann politische Irrwege ein und bereute es später. In seiner ab heute im Buchhandel verfügbaren Autobiographie schildert der heute 71-Jährige die Umstände offen und durchaus selbstkritisch. Gert Hoffmann wurde in den Achtzigern Samtgemeindedirektor in Hemmoor (Kreis Cuxhaven), Stadtdirektor in Gifhorn, danach 1991 Regierungspräsident in Dessau und – bundesweit mit einer mutigen Politik bewundert – Oberbürgermeister von Braunschweig zwischen 2001 und 2014. All die Zeit begleitete ihn dieser Schatten, der von politischen Gegnern innerhalb und außerhalb seiner CDU gegen ihn eingesetzt wurde: der Jurist Hoffmann gehört in seiner Jugend in den sechziger Jahren zur NPD, auf seiner Weste waren „braune Flecken“.
Wie konnte es dazu kommen? Womöglich lag es auch an der schlimmen Familiengeschichte. Die Großeltern hatten sich in Berlin, kurz vor dem Einmarsch der Russen, das Leben genommen. Sein Vater, als Kriegsheld verehrt, promovierter Jurist und NSDAP-Mitglied, war Inhaber eines bekannten Bekleidungsunternehmens. Als Hoffmann sechs Jahre alt ist, lassen sich die Eltern scheiden, der Junge lebt beim Vater, verschlingt die militärverherrlichende Literatur in dessen Bibliothek, träumt vom Auswandern und von der Fremdenlegion und fällt in der Schule durch schlechte Leistungen auf. Der Autor selbst schreibt seine Radikalisierung dem dauernden politischen Existenzkampf in West-Berlin zu, den er dort als Junge hautnah erlebt hat. Später, 1966, erlebt er als Redakteur der Schülerzeitung den gerade aus der Haft entlassenen Albert Speer, für diese Schülerzeitung interviewt er dann den Bundestagspräsidenten Eugen Gerstenmeier, stellt ihm kritische Fragen und wird als „frech“ abgetan. Seinen Widerspruchsgeist stachelt das noch an, und er findet Kontakt zur NPD, ist vom rhetorischen Talent des Vorsitzenden Adolf von Thadden angetan und baut als Student in Göttingen den NPD-nahen Hochschulbund auf. So gerät er bald in engen Kontakt zur Parteiführung, wird zeitweilig gar als Nachwuchshoffnung für den Vorsitz gehandelt. Dabei sei die NPD von damals mit der Krawalltruppe, die später daraus wurde, nicht vergleichbar gewesen. Ja, es habe auch Neonazis mit Hang zur Gewalt gegeben, schreibt Hoffmann, aber das sei nur eine kleine Strömung neben anderen gewesen – etwa neben den Rechtsintellektuellen, zu denen er sich damals gezählt habe.
Nach der Niederlage der NPD bei der Bundestagswahl 1969 verließ Hoffmann die Partei, er schloss sich der CDU an und wollte kommunaler Wahlbeamter werden. Aber der junge Jurist, der schon damals als eigensinniger, unbequemer Kopf galt, eckte an, und seine Konkurrenten und Neider fanden immer wieder einen Ansatzpunkt, ihn zu verhindern – ein Hinweis auf seine NPD-Vergangenheit. Wurde sie bekannt, so war die Bewerbung oft schon erledigt. So beim Kreis Göttingen, zunächst in der Stadt Gifhorn, 1984 dann auch in Hildesheim, wobei der spätere Finanzminister Hartmut Möllring eine einflussreiche Rolle gespielt haben soll. Noch 1996, als er für eine leitende Stelle bei der Treuhandgesellschaft im Gespräch war, zog die NPD-Karte gegen ihn. Im gleichen Jahr wird über ihn noch als OB-Kandidat in Hannover spekuliert, Jahre danach als OB-Kandidat in Wolfsburg, doch es wird nichts aus beidem. Hier und an weiteren Stationen kommt das zwiespältige Bild Hoffmanns zum Vorschein – da ist sein starker Ehrgeiz, sein Streben nach Führungsämtern, das durch den Widerstand seiner Kritiker eher noch stärker wird. Aber gepaart wird er durch Zweifel, über die Hoffmann offen spricht. Als 2001 seine Kandidatur für das Braunschweiger OB-Amt feststeht, gibt es mehrere Situationen, in denen er an Rückzug oder Aufgabe denkt – gar nicht passend zu seinem Profil, ein Mann der klaren Ansagen, kontroversen Entscheidungen und Bereitschaft zu Konflikten zu sein.
Die Geschichte geht mit Happy End aus. Hoffmann siegt bei der OB-Wahl trotz der NPD-Vergangenheit, er wird sogar wiedergewählt – und er setzt in seinem Amt Zeichen mit entschlossener Sparpolitik, geschickten Privatisierungen und mutigen städtebaulichen Signalen wie dem Wiederaufbau der alten Schlossfassade. „Das Wunder von Braunschweig“ wird es in überregionalen Medien heißen. Das versöhnt ihn mit den Mühen, die er in den beruflichen Anfangsjahren durchleben musste. Alte Widersacher begegnen ihm in neuen Positionen wieder, so etwa Möllring, der nun als Finanzminister gegen Hoffmanns kritische Rolle im Aufsichtsrat der Nord/LB angeht. Dieser Konflikt geht in Hoffmanns Darstellung zu seinen Gunsten aus – weil er die Region hinter sich brachte, mobilisierte und eine Sonderrolle Braunschweigs bei der Bank durchgesetzt habe. Wie Möllring es sieht? Er hat bisher keine Autobiographie geschrieben, vielleicht tut er es ja auch noch. Dann wäre die Frage interessant, wie umstritten Möllring tatsächlich bei Christian Wulffs erstem Schattenkabinett 2002 war. Hatte der spätere Ministerpräsident wirklich vor, Möllring auf das Justizressort zu schieben – und fehlte ihm, wie Hoffmann schreibt, tatsächlich die Kraft dazu?
Diese für landespolitisch Interessierte höchst lesenswerte Autobiographie ist keine Abrechnung mit irgendjemand. Man kann Hoffmann nicht vorhalten, nachtragend zu sein – bei der Lektüre des 485 Seiten starken Buches bekommt man auch nicht den Eindruck, er wolle irgendetwas schönreden oder glätten. Die Distanz zu einigen handelnden Figuren wird deutlich, ohne dass dies verurteilend klingt. Etwa Möllring, der ihm nie wohlgesonnen war, oder auch Wulff, der nicht den Eindruck vermittelt habe, es gehe ihm um die Sache. Der späte Wulff allerdings stößt bei Hoffmann auf Verständnis und Mitgefühl, ebenso wie der späte Gerhard Schröder oder auch der späte Gerhard Glogowski, ein echter Braunschweiger Lokalpatriot. Zu Sigmar Gabriel hatte Hoffmann stets einen guten Draht, er schätzte seine klaren, deutlichen Ansagen und Positionen – Eigenschaften, in denen sich beide durchaus ähnlich sind. (kw)
Gert Hoffmann: Von Irrwegen in die Verantwortung. Zeitzeuge und Gestalter in bewegten Zeiten, Essen 2018, ISBN 978-3-8375-1915-0, 29,95 Euro