8. Nov. 2016 · 
Inneres

Freier Zugang für Radikale in den öffentlichen Dienst?

Das Ziel ist klar: Rot-Grün will mit eigenen dunklen Flecken in der Vergangenheit aufräumen – und sich vom „Radikalenerlass“ distanzieren. Öffnet die Landtagsmehrheit damit aber ein Schlupfloch für Rechtsextremisten im öffentlichen Dienst? Die Gefahr besteht. Seit wenigen Tagen liegt nun eine neue Fassung des Entschließungsantrages vor, mit dem sich die Koalition einem Kapitel der historischen Aufarbeitung widmet – nämlich der Praxis des Radikalenerlasses, der von seinen Gegnern mit dem Begriff „Berufsverbote“ verknüpft wurde. Im Jahr 1972, vor fast 45 Jahren, hatten sich Bundeskanzler Willy Brandt (SPD) und die Ministerpräsidenten der damals elf Bundesländer auf ein umstrittenes Verfahren verständigt. Angebliche „Verfassungsfeinde“, also Links- und Rechtsextremisten, sollten keinen Zugang mehr zum öffentlichen Dienst bekommen – also nicht mehr Lehrer, Verwaltungsbeamter oder auch Lokführer, Richter und Polizist werden können.  130 Personen, so haben SPD und Grüne inzwischen ermittelt, seien davon in Niedersachsen bis in die achtziger Jahre betroffen gewesen, und es habe sich in der Mehrzahl um Vertreter des linken Spektrums gehandelt. Nun wollen SPD und Grüne einen Schlussstrich ziehen. Zwar wurde der Erlass in vielen Bundesländern schon in den achtziger Jahren nicht mehr angewandt, auch als Folge von erfolgreichen Klagen Betroffener. In Niedersachsen hatte formal die erste rot-grüne Landesregierung erst 1990 die Regel aufgehoben. „Eine vollständige politische und gesellschaftliche Rehabilitierung der Opfer steht weiterhin aus“, heißt es heute in einem Entschließungsantrag beider Regierungsfraktionen. Verknüpft wird das mit einer Reihe von Forderungen, die der Landtag in einer der nächsten Sitzungen beschließen soll. Der Kernsatz dabei lautet: „Der Landtag stellt fest, dass politisch motivierte Berufsverbote, Bespitzelungen und Verdächtigungen nie wieder Instrumente des demokratischen Rechtsstaats sein dürfen.“ Es solle „eine Beauftragte zur Aufarbeitung der Schicksale“ berufen werden, die auch „eine wissenschaftliche Begleitung“ bekommen solle. Damit kramt Rot-Grün nun, im November 2016, einen alten Antrag hervor, der schon im Mai 2014 entwickelt worden war, aber bisher nicht beschlossen ist. Damals wurde noch „eine Kommission“ zur Aufarbeitung der Schicksale gefordert, zusammengesetzt aus Abgeordneten, Betroffenen und Gewerkschaftsvertretern. Was aber heißt es, wenn die Regierung nun „politisch motivierte Berufsverbote“ für alle Zeiten ausschließen will? Der Radikalenerlass von damals, der in dem rot-grünen Antrag so negativ beschrieben wird, war wegen seiner pauschalen Zuordnung (und dem Abweichen von Einzelfallprüfungen) tatsächlich ein Problem: Die Mitgliedschaft in der DKP, der NPD oder anderen radikalen Organisationen sollte schon reichen, den Betroffenen als Gegner der freiheitlich-demokratischen Grundordnung zu bezeichnen. Tatsächlich fußt dieser Weg auf den besonderen Treuepflichten, die Beamte als Staatsdiener gegenüber ihrem Arbeitgeber erfüllen müssen. Dazu gehört ein Bekenntnis zur Verfassung – und eine Mäßigung bei politischem Engagement. Die 1968 gegründete DKP verstand sich aber als Fortsetzung der 1956 verbotenen KPD, peilte den „mit parlamentarischen und außerparlamentarischen Mitteln geführten Klassenkampf“ an und wurde – wie man heute weiß – weitgehend von der DDR finanziert. Das geschah offenbar in der Absicht, die Bundesrepublik im kalten Krieg zu destabilisieren. Die Sorge von Kanzler Brandt und den Ministerpräsidenten von 1972, dass mit der neuen kommunistischen Partei eine Gefahr drohen könnte, scheint also rückblickend nicht unberechtigt gewesen zu sein. Aber was bedeutet das für die heutige Politik? Der Sinn des rot-grünen Antrags, der wohl vor allem auf die Grünen zurückgeht, zielt auf eine Art Wiedergutmachung für linksgerichtete Menschen, die wegen der pauschalen Zurückweisung vergeblich versuchten, in den öffentlichen Dienst zu kommen. Aber wenn der Landtag nun beschließen sollte, künftig auf sämtliche „politisch motivierte Berufsverbote“ zu verzichten, könnte das auch als ein Freibrief für die wachsende Zahl von Rechtspopulisten oder auch „Reichsbürgern“ verstanden werden, die den demokratischen Staat ablehnen und gleichwohl seine Institutionen unterwandern wollen. Immer wieder erwähnt wird der Fall des Thüringer AfD-Landesvorsitzenden Björn Höcke, der vor seiner Zeit im Erfurter Landtag Lehrer in Hessen war und dorthin ein Rückkehrrecht hätte. Höcke ist im persönlichen Gespräch ein ruhiger, sachlich argumentierender Mann – aber er tritt als AfD-Redner immer wieder mit völkischen und rechtsextremen Parolen auf. Wollte man ihm – den Kindern zuliebe – eine weitere Tätigkeit in der Schule verweigern, so müsste sein Staatsverständnis überprüft und vermutlich als „untragbar“ identifiziert werden. Könnte das dann auch als „politisch motiviertes Berufsverbot“ bezeichnet werden? Wäre also einer wie Höcke in Niedersachsens Schuldienst gar nicht mehr zu bremsen? Zumindest geht von dem rot-grünen Entschließungsantrag ein Signal aus, das missverstanden werden könnte. Wenn jegliche Überprüfung auf extremistisches Gedankengut bei Bewerbern für den öffentlichen Dienst abgelehnt wird, so kann das auch die Abwehrschranken gegenüber dem rechtsextremen Lager lockern, die doch eigentlich verstärkt werden sollen. (kw)
Dieser Artikel erschien in Ausgabe #203.
Martin Brüning
AutorMartin Brüning

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