18. Feb. 2024 · 
Umwelt

Ex-BASE-Chef König im Interview: „Es gibt in der Atomdebatte die Sehnsucht nach Gut und Böse“

Ein Vierteljahrhundert lang hat Wolfram König an der Spitze wichtiger Bundesbehörden in Salzgitter gestanden – zunächst beim „Bundesamt für Strahlenschutz“, danach dann seit 2016 als Präsident des „Bundesamtes für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung“. Ende Januar nun ist der 66-Jährige in den Ruhestand gegangen. Im Gespräch mit dem Politikjournal Rundblick schaut er zurück auf seine Amtszeit – und sieht viele Erfolge, identifiziert aber auch grundsätzliche Probleme in der Atompolitik.

Klaus Wallbaum trifft den ehemaligen BASE-Chef Wolfram König (rechts) zum Interview. | Foto: BASE/Florian Emrich

Rundblick: Herr König, für das geplante Endlager Schacht Konrad in Salzgitter werden mehr als 3 Milliarden Euro verbaut, etwa die Hälfte davon ist schon umgesetzt. Trotzdem dauert es ewig, bis dieses Projekt fertig ist. Woran liegt es, dass der Elan nachlässt?

König: Die Komplexität einer sicheren Endlagerung von radioaktiven Abfällen wurde von Anbeginn unterschätzt beziehungsweise bewusst kleingeredet. Schon als ich vor 25 Jahren in Salzgitter anfing, begegnete mir in der Behörde die Botschaft: „Konrad kommt!“ Das konnte man je nachdem als Trotz oder als Aufmunterung verstehen, bei all den Verzögerungen zuversichtlich zu sein. Wir als Bundesbehörde haben den Auftrag, für eine sichere Endlagerung der Hinterlassenschaften der radioaktiven Stoffe zu sorgen. Andererseits müssen wir aber immer stärker feststellen: Fragen der Atomkraft und der Endlagerung werden zunehmend mit spitzen Fingern angefasst. Politiker erkennen: Das ist ein Thema, bei dem sich sichtbare Erfolge nicht in einer Legislaturperiode abbilden lassen. Man kann also wenig gewinnen. Dafür kann man etwas verlieren, nämlich Glaubwürdigkeit und Zustimmung.

Rundblick: Nun kommt ja beim Schacht Konrad die Besonderheit dazu, dass die rot-grüne Landesregierung ihre Distanz zum Schacht Konrad äußert, sie schreibt das sogar im Koalitionsvertrag fest. Gleichzeitig hat das Land weiterhin Rest-Zuständigkeiten bei der atomrechtlichen Genehmigung. Dann muss der Umweltminister Christian Meyer den Planfeststellungsbeschluss bestätigen, ermuntert dessen Kritiker gleichzeitig zur Klage. Wie soll da das Vertrauen in die Sicherheit der Planungen entstehen?

König: Dass Landesbehörden für den Bund die Aufgabe als Genehmigungsbehörde erfüllen müssen, ist spätestens mit dem Atomausstieg nicht mehr zu rechtfertigen. Es kann doch keiner mehr verstehen, wenn für die Sicherheit zuständige Behörden entgegengesetzte Aussagen über eine Atomanlage abgegeben. Das schafft jedenfalls kein Vertrauen. Als das Bundesverwaltungsgericht 2007 die Genehmigung für Schacht Konrad bestätigt hatte, sagte der damalige Bundesumweltminister Sigmar Gabriel, dass er sich in der Vergangenheit zwar persönlich gegen Konrad positioniert habe, es aber nunmehr einen klaren Auftrag zur Umsetzung gebe. Diese Klarheit hilft, Positionen zu erklären und auch Vertrauen in die Politik zu stärken. Leider sind in Deutschland die Strukturen im Atombereich so angelegt, dass es keine klare Trennlinie zwischen den jeweiligen politischen Zielstellungen und einer fachlichen Bewertung gibt. Gleichzeitig haben Politiker auch Verantwortung für künftige Generationen, nicht nur gegenüber der heutigen. Bei Konrad ist meine fachliche Auffassung klar: Die Planungen für den Schacht Konrad sind mit der atomrechtlichen Genehmigung vom Landesumweltministerium als sicher festgestellt worden, die Genehmigung wurde vor Gericht und durch die aktuelle Überprüfung des Landesumweltministeriums bestätigt. Das Entscheidende ist: Im Endlager sind die Abfälle wesentlich sicherer aufgehoben als oberirdisch. Deshalb sollte das Endlager möglichst zügig fertiggestellt werden.

Rundblick: Dann sind Sie wohl ein Konservativer – so sehr, wie Sie die Sicherheit betonen und die Pflicht der Politiker, ihre Verantwortung ernst zu nehmen. Sie waren es auch, der 2001 die Sicherheit der Castor-Transporte bescheinigte und sich damals wenig Freunde bei den Atomkraftgegnern machte. Heute hat das Für und Wider zur Kernenergie in vielen Kreisen, auch der Umweltbewegung, seinen Reiz eingebüßt. Wie beurteilen Sie das?

König: Es gibt offenbar in der Atomdebatte eine besondere Sehnsucht nach den alten Kategorien von Gut und Böse. Für die verbleibenden Aufgaben des Atomausstiegs benötigen wir aber das Wissen aller – egal, ob sie nun die Atomenergie befürwortet oder abgelehnt haben. Der Verlust an Wissen darüber, wie groß die Risiken der atomaren Strahlung sind und welche Gefahren vom Atommüll ausgehen, zieht sich quer durch die Gesellschaft. Das betrifft Umweltverbände, Parteien und Politiker gleichermaßen. In einer solchen Atmosphäre erscheint es manchen leichter, das Problem der Endlagerung einfach zu vertagen und damit so zu tun, als sei das Problem gar nicht mehr so groß. Wichtig ist: Die Endlagerung ist der sicherste Weg, mit den radioaktiven Hinterlassenschaften umzugehen. Und: Auch nach dem Atomausstieg brauchen wir neben Forschung über die Endlagertechnik auch solche über die Entwicklungen in der Kerntechnik. In meiner alten Behörde BASE gibt es daher eine Forschungsabteilung, die weiter gestärkt werden sollte. Eine gute Bewertung der Potenziale von Atomenergie, der Risiken und ihrer Auswirkungen ist enorm wichtig. In den Grundlagen des Standort-Auswahlgesetzes für ein Endlager, das von der Großen Koalition eingebracht und mit breiter Mehrheit 2017 im Bundestag beschlossen wurde, ist auch berücksichtigt, dass es in der Zukunft andere Lösungen geben könnte.

Rundblick: Inwiefern?

König: Dort ist eine gesetzliche Verpflichtung enthalten, dass in einem gesuchten neuen Endlager für hochradioaktive Stoffe die Option der „Rückholbarkeit“ beziehungsweise der Bergbarkeit, für 500 Jahre festgehalten wird. Alle Einlagerungen müssen sorgfältig dokumentiert werden und es muss einen Plan geben, wie man sie wieder aus einem Endlager holen kann – für den Fall, dass es kommenden Generationen möglich sein sollte, mit dem atomaren Abfall auf eine andere, bessere Weise umzugehen. Oder auch, falls das aus Sicherheitsgründen notwendig sein sollte. Wenn nun jemand gegen die Endlagersuche polemisiert mit der Behauptung, wir bräuchten jetzt kein Endlager mit Blick auf mögliche technische Innovationen in der Zukunft, dann ignoriert er bewusst diese Bedingung im Standort-Auswahlgesetz.

Rundblick: Die Suche nach einem Endlager-Standort hat allerdings vor gut einem Jahr einen Dämpfer bekommen, als der Betreiber BGE mitteilte, die bis 2031 geplante Standortentscheidung werde sich verzögern. Ist damit die Suche de facto schon gescheitert

König: Nein, es wird weiter gesucht, die BGE unter ihrer neuen Leitung, die die Fachlichkeit an die oberste Stelle setzt, ist eifrig an der Arbeit. Es zeigte sich allerdings ein Fehler in der ursprünglichen Herangehensweise. Richtig war, größtmögliche Transparenz und eine breite Beteiligung in den Fokus zu stellen. Dies darf nun aber nicht so verstanden werden, dass auch die Such- und Bewertungskriterien von einzelnen Gruppen in Frage gestellt werden können – diese sind gesetzlich durch den Bundestag geregelt. Der Hauptfehler im bisherigen Verfahren war meiner Meinung nach aber, dass die BGE im März 2022 die 90 Teilflächen, die sich auf 54 Prozent der gesamten Fläche Deutschlands bezogen, als mögliche Endlager-Regionen identifiziert hat. Es wäre sehr hilfreich gewesen, wenn der Zwischenbericht eine Reduzierung auf beispielweise 10 Prozent der Fläche Deutschlands als Ergebnis gehabt hätte, wie es von der Endlagerkommission eigentlich auch erwartet worden war. Weil man aber so vorgegangen ist, dauert nun der nächste Schritt, diese 54 Prozent auf wenige Gebiete einzugrenzen, die näher untersucht werden sollen, enorm lange. Das bringt Zeitverzug mit sich.

Rundblick: Ist die BGE damals vielleicht deshalb so vorgegangen, weil sie unbedingt die Botschaft aussenden wollte, dass Gorleben nicht mehr in Frage kommt? Das war ja eventuell nur möglich, wenn man einen großflächigen Standortvergleich vornimmt…

König: Als Aufsicht habe ich allein zu prüfen, ob die Vorgaben im Standortauswahlgesetz eingehalten werden. Dort gibt es eine Sonderregelung für den Salzstock Gorleben, der einen Ausschluss Gorlebens aus der weiteren Suche vorsieht, sofern dieser im Teilgebietebericht nicht mehr Berücksichtigung findet. Dieses war das Prüfergebnis des mit der Suche beauftragten Bundesunternehmens.

Rundblick: Jedenfalls haben Sie seinerzeit nicht in den Jubel der Gorleben-Gegner eingestimmt…

König: Es ist meine Aufgabe, im Interesse des Gemeinwohls auf die Lösung von Problemen zu drängen. Da darf man sich nicht vom Applaus einzelner Gruppen abhängig machen. Im Hinblick auf das hohe Gut des Verfahrens von Transparenz und Beteiligung ist die gesetzliche Sonderregelung für die Herausnahme von Gorleben ohne öffentliche Diskussion zumindest unglücklich. Aber in der Sache ist die Begründung durch die BGE nicht zu beanstanden.

Rundblick: Sie haben im Raum Kassel einst mit viel Akribie eine Rüstungsaltlast aus NS-Zeiten aufgedeckt und damit zur Aufklärung des Systems von Zwangsarbeit bei den Nazis geleistet. Später wurden Sie Sprecher des hannoverschen Regierungspräsidenten Hans-Albert Lennartz, dann Umwelt-Staatssekretär in Sachsen-Anhalt – bis Sie dann als Behördenchef nach Salzgitter wechselten. Sind Sie heute resigniert, wenn Sie sehen, wie langsam alles vorangeht?

König: Ganz und gar nicht. Was die deutsche Energiepolitik im Zusammenhang mit der Atomkraft angeht, die Entsorgungsplanung und die Stellung der von mir bisher geführten Behörden – da hat sich doch ganz viel positiv verändert. Wir haben eine vergleichende Endlagersuche, wir haben ausreichend und sichere Zwischenlager für die Abfälle errichtet. Durch den Atomausstieg wurden die radioaktiven Hinterlassenschaften klar begrenzt. Das DDR-Endlager wird nicht mehr als billige Entsorgungsmöglichkeit für westdeutsche Abfälle genutzt. Die Asse konnte ich aus einer völlig verfahrenen Situation zumindest in eine atomrechtlich verantwortbare Perspektive führen. Und Schacht Konrad wird für den größten Anteil der radioaktiven Abfälle in Deutschland errichtet. Das erfüllt mich rückblickend mit Freude. Natürlich dauert einiges sehr lange, die Prozesse sind zäh. Aber das gehört dazu. Wichtig ist, dass jeder an der Stelle, an der er tätig ist, seine Aufgaben vernünftig wahrnimmt.

Rundblick: Was macht Wolfram König künftig als Ruheständler?

König: Ich werde mich verstärkt in der Zivilgesellschaft für unsere Demokratie und gegen Tendenzen der Spaltung einsetzen. Das kann mein Beitrag sein, etwas von dem zurückzugeben, was dieses Land mir in den vergangenen Jahrzehnten ermöglicht hat.

Dieser Artikel erschien am 19.2.2024 in Ausgabe #031.
Klaus Wallbaum
AutorKlaus Wallbaum

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