5. Sept. 2023 · 
Inneres

EU-Verfahren droht: Warum Niedersachsen das Gesetz über Volksentscheide ändert

Der Vorgang ist höchst kompliziert – und jetzt ist gleichwohl Schnelligkeit angesagt. Der niedersächsische Landtag muss einige Gesetze nachbessern, die Sache eilt. Es geht um das Gesetz über Volksinitiativen, Volksbegehren und Volksentscheide, außerdem um das Kammergesetz für die Heilberufe. Im Hintergrund steht die Warnung der EU-Kommission: Es drohe ein Vertragsverletzungsverfahren, wenn die Vorschriften nicht ergänzt werden. In einer ihrer jüngsten Sitzungen hat die Landesregierung nun den Weg frei gemacht für eine Anpassung der Rechtsnormen, nun sollen die Interessensverbände dazu Stellung nehmen. Bald folgt darauf die Entscheidung im Landtag.

Skuptur von Justitia vor EU-Fahne
Foto: GettyImages-Moussa81

Es geht konkret um die sogenannten „Berufsreglementierungen“ – also alle Rechtsvorschriften, die nähere Vorgaben machen zur Ausübung bestimmter Berufe. Dabei geht es nicht nur um die Beamten, sondern etwa auch um Ärzte mit öffentlichen Aufgaben, oder um die Kammerberufe, die sich auf die Ausbildungs- und Prüfungsrichtlinien beziehen. In Artikel 15 der EU-Grundrechte-Charta heißt es: „Jede Person hat das Recht, zu arbeiten und einen frei gewählten oder angenommenen Beruf auszuüben. Alle Unionsbürger haben die Freiheit, in jedem Mitgliedsstaat Arbeit zu suchen, zu arbeiten, sich niederzulassen oder Dienstleistungen zu erbringen.“

Diese Festlegung bedeutet nun aus Sicht der EU-Kommission, dass alle gesetzlichen Beschränkungen, die in den EU-Mitgliedsstaaten vorgenommen werden, genauestens geprüft und abgewogen werden müssen. Es sei in jedem Fall eine „Verhältnismäßigkeitsprüfung“ vorzunehmen. Diese klingt recht einfach, ließe sich aber in der Praxis nicht bloß mit einem erläuternden Satz erledigen. Dargelegt werden muss vielmehr, dass eine Einschränkung der freien Berufswahl dringend notwendig ist und daher wegen konkret zu beschreibender Umstände die EU-Berufsfreiheit nicht in der reinen Form gelten kann.

Es geht also um Ausnahmen von den Normen der EU-Charta. Die EU-Richtlinie, die für die nationalen Gesetzgebungen diese Verhältnismäßigkeitsprüfung vorschreibt, trägt die Nummer 2018/958 und ist schon fünf Jahre alt. Vor drei Jahren wurde sie in deutsches Recht übernommen. Die Übertragung auf alle Bundesländer indes ist noch nicht abgeschlossen, deshalb könnte ein EU-Vertragsverletzungsverfahren drohen – auch wegen der Defizite noch in Niedersachsen.

Andere Bundesländer haben sich für einen anderen Weg entschieden

Die Reform für die Volksinitiativen und Volksentscheide soll nun so aussehen: Wenn jemand ein solches Plebiszit anstrengt und ein Eingriff in irgendeine Berufsgruppe damit verbunden wäre, dann muss die geplante Einschränkung der Berufsausübung umfangreich begründet und abgewogen werden. Mit der jetzt angeschobenen Ergänzung des Landesgesetzes wird dieses umfangreicher, für viele auf den ersten Blick unverständlicher und womöglich an dieser Stelle abschreckend.

Beim Kammergesetz für die Heilberufe ist es ähnlich. Andere Bundesländer hatten sich bisher für einen anderen Weg entschieden, sie hatten die EU-Regel nicht in jedes ihrer bestehenden Landesgesetze implantiert, sondern ein eigenes neues Landesgesetz geschaffen mit der Vorschrift: Wenn in einem Landesgesetz in die Berufsfreiheit eingegriffen wird, muss es eine umfangreiche Prüfung der Verhältnismäßigkeit geben. Wie es heißt, hat sich Niedersachsen für diese Variante nicht entschieden, obwohl sie vor Jahren schon vom Innenministerium angeregt worden war. In der alten rot-schwarzen Koalition sei dieser Weg dann aber nicht durchsetzbar gewesen.

Dieser Artikel erschien am 6.9.2023 in Ausgabe #152.
Klaus Wallbaum
AutorKlaus Wallbaum

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