Die Kinder, die in diesem Jahr in den Kindergarten kommen, werden erst um 2040 herum mit ihrer Ausbildung fertig sein. Wenn die Diakonie in Niedersachsen nun auf einer Fachtagung zur Frühpädagogik den Blick also auf die Herausforderungen im Jahr 2040 richtet, ist das keine Zukunftsmusik – sondern Gegenwart.

Welche Kompetenzen müssen Kinder heute in der frühkindlichen Bildung erwerben, um in der Welt von morgen bestehen zu können? Für Prof. Wassilios Fthenakis, Experte der Frühpädagogik und seit 2006 Präsident des Didacta-Verbandes, ist es offensichtlich, dass es dabei noch mehr als heute um Kompetenzen statt um Fachwissen gehen wird. „Was als nützliches, relevantes oder zukunftsträchtiges Wissen gilt, hat eine zunehmend begrenzte Haltbarkeitsdauer“, stellt Prof. Fthenakis heraus.
Da in unserer Zeit mehr denn je gelte, dass nichts so beständig ist wie der Wandel, und da die Gesellschaft in den zurückliegenden Jahren die größten Veränderungsprozesse in der Geschichte der Menschheit erlebt habe, gelte es, die Kinder auf etwas wichtiges vorzubereiten: Wie sie eine Welt im Wandel aktiv gestalten können. Neugier und Skepsis stellt Prof. Fthenakis deshalb als Kernkompetenzen des Kindes von heute heraus. Wichtiger als andere Kompetenzen noch seien Risikobereitschaft, Selbstkritik, eine „ernsthaft spielerische“ Herangehensweise an Problemlösungen und eine Orientierung am Digitalen. Der Wissenschaftler und vielfache Politikberater beklagt jedoch: „Der Kompetenzansatz ist zwar seit Jahren in den Curricula verankert, aber die Diskussion über die richtigen Zukunftskompetenzen bleibt aus.“
Was Prof. Fthenakis fordert, ist nicht weniger als ein neues Bildungssystem. Mit den Methoden von gestern könne man die Kinder nicht für die Herausforderungen von morgen wappnen, sagt er vor rund 200 Fachkräften aus den Kindergärten der niedersächsischen Diakonie. „Die Logik der formalen Bildung ist immer noch sehr darauf ausgerichtet, die Menschen mit den Fakten und Schablonen von gestern zu beladen, anstatt ihnen zu helfen, ‚kluge Wanderer‘ in einer komplexen und unvorhersehbaren Welt zu sein.“
Was aber muss sich ändern? Prof. Fthenakis plädiert für einen sozial-konstruktivistischen Ansatz, der das Kind eingebettet in sozialen Beziehungen sieht, in denen das Kind gemeinsam mit seinem Umfeld seine Entwicklung aktiv gestaltet. Bildung wird demnach nicht mehr von oben vermittelt, sondern entsteht in Interaktion mit den Kindern. Dem müsse sich das gesamte Konzept eines Kindergartens unterwerfen, bis hin zur Aufteilung der Räume, die nach Fthenakis Vorstellung wie ein Dorf aufgebaut sein müssen: eine „Piazza“ in der Mitte und „Häuser“ drum herum.

Das Ziel sei es, so Prof. Fthenakis, an Werten orientierte und mitwirkende Kinder zu haben, die Freude am Entdecken besitzen, kreativ sind, kommunizieren und mit Medien umgehen können. Dafür gelte es, entsprechende Kompetenzen zu fördern, die sich zum einen auf das Individuum, die gesellschaftliche Teilhabe, Lernmethoden sowie, und das ist aus Sicht des Bildungsforschers für die Zukunft das Wichtigste, auf den Umgang mit Veränderung und Belastung ausgerichtet sind und die Widerstandsfähigkeit fördern. Bei der Ausgestaltung der Lernprozesse setzt Prof. Fthenakis – stärker als man das gemeinhin in der frühkindlichen Bildung wohl erwartet – auf den Einsatz digitaler Technologien.
Er schlägt der Diakonie konkret vor, in jedem Raum eines Kindergartens einen Monitor zu installieren, der als „Fenster zur Welt“ den Kindern Orte zeigen soll, die sie zum Staunen bringen, wie etwa die Niagarafälle. Voraussetzung für den Einsatz digitaler Produkte sei allerdings, dass die Infrastruktur in den Bildungseinrichtungen gut gewartet wird, die Pädagogen entsprechend geschult wurden, ein Konzept vorliegt und auch die Eltern engagiert und gut informiert dabei sind. Der Erziehungsforscher stellt aber auch heraus, dass die Pädagogik stets Vorrang vor der Technologie genieße müsse. Es sei wichtig, früh zu beginnen und die Perspektive der Kinder zu berücksichtigen. Zudem betont er: „Die Qualifizierung der Fachkräfte kann nicht länger auf sich warten lassen.“
Konkrete Beispiele für digitale Bildungsangebote, die schon jetzt in Kindergärten eingesetzt werden können, hat die Diakonie in Niedersachsen am Rande ihrer Fachtagung auf einem „Markt der Möglichkeiten“ ausgestellt. Seit 2019 sammelt Martina Uphoff vom Kindertagesstättenverband Ostfriesland allerlei elektronische Spielsachen, die sich nicht vorrangig durch unangenehmes Blinken und laute Geräusche auszeichnen, sondern durch ihren pädagogischen Mehrwert.

Dazu zählen etwa fahrenden Roboter, die wie Bienen aussehen und auf deren Rücken man mit Pfeiltasten einen Pfad einprogrammieren kann, den das Gerät dann anschließend in einem Parcours absolvieren soll. Es gibt aber auch Apps fürs Tablet, mit denen die Kinder bunt ausgemalte Schmetterlinge auf Papier in einer virtuellen Realität zum Leben erwecken und fliegen lassen können, wobei sie in der Anwendung zusätzliche Informationen zum Lebensweg vom Ei über die Raupe, die Verpuppung bis zum fertigen Schmetterling erhalten.
„Es geht auch darum, die Ängste vor dem Unbekannten zu nehmen.“
Martina Uphoff
Als pädagogische Fachberaterin besucht Uphoff Kindergärten, leiht die erworbenen Gerätschaften aus und erklärt dabei, was man damit anstellen kann. „Es geht auch darum, die Ängste vor dem Unbekannten zu nehmen, die es ja bei den Erzieherinnen, aber auch bei den Kindern gibt“, sagt sie im Gespräch mit dem Politikjournal Rundblick. „Die Kinder sollen lernen, dass Roboter von Menschen gesteuert und programmiert werden und nicht, wie im Film gezeigt, von alleine agieren.“ Finanziert wurden die Geräte, die Uphoff allerdings nur zu Anschauungs- und Fortbildungszwecken verleiht, durch die Landeskirche Hannovers, die dafür Gelder vom Land Niedersachsen erhalten hat. Wollen die Kindergärten eigene Roboter anschaffen, müssen sie dafür noch Geld auftreiben.