Die gefühlten Dauerkrisen der internationalen Politik spiegeln sich auch in der Stimmungslage der Deutschen wider: Eine Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung hat ergeben, dass nur noch 24,5 Prozent der Befragten der Ansicht sind, die repräsentative Demokratie mit Bundestag und Landtagen als Volksvertretungen sei die beste Regierungsform. Zudem hatten sich 41 Prozent dafür ausgesprochen, künftig verstärkt Volksentscheide bei wichtigen politischen Vorhaben einzusetzen. Das Grundgesetz sieht diese für die Bundespolitik bisher nicht vor.

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33,4 Prozent hatten angegeben, dass sie sich eine „Expertenregierung“ wünschen – also ein Kabinett, in dem Fachleute der unterschiedlichen Disziplinen die Marschroute der Politik angeben sollen. Der Bonner Politikprofessor Frank Decker, einer der Verfasser der Untersuchung, spricht mit Blick auf die Resultate von „einem großen Misstrauen in die Institutionen“, das momentan spürbar sei. Die Friedrich-Ebert-Stiftung hatte zwischen Juli und August 2022 mehr als 2500 repräsentativ ausgewählte Bürger befragt – sowohl über Telefoninterviews wie auch Online. Dazu hat sie mit Infratest Dimap kooperiert.

Decker hat jetzt in einer Veranstaltung der Friedrich-Ebert-Stiftung in Hannover einige Ergebnisse der Untersuchung näher erläutert. Im Mittelpunkt habe die Frage gestanden, ob man mit der Art und Weise, wie die Demokratie funktioniere, zufrieden sei. Das Gesamtergebnis ist dann durchaus ausgeglichen – etwa die Hälfte äußert sich mäßig oder sehr zufrieden, die andere Hälfte nicht. Unterschiede gebe es weniger nach Geschlecht oder Alter, wohl aber nach der sozialen Lage. Je schlechter die wirtschaftliche Situation des Befragten ist, desto negativer fällt sein Urteil aus.

Frank Decker | Foto: Universität Bonn/Barbara Frommann

Auch regionale Unterschiede seien einprägsam: Zwei Drittel der Ostdeutschen, die sich beteiligt haben, äußern sich unzufrieden – aber nur 45 Prozent der Westdeutschen. Noch ein Süd-Nord-Gefälle sei erkennbar, so seien in Norddeutschland 58 Prozent zufrieden, in Bayern und Baden-Württemberg aber nur 50 Prozent. Was Decker bemerkenswert findet, ist der stark geschrumpfte Optimismus. Noch in den rebellischen siebziger Jahren habe der Anteil derer, die die Zukunft negativ einschätzten, bei nur zehn Prozent gelegen. Heute seien es 75 Prozent. Festgestellt haben die Meinungsforscher auch, dass gerade das Thema Migration sehr stark polarisiere, dass es hierzu also sehr ausgeprägte Haltungen auf der einen wie auf der anderen Seite gebe, aber wenig vermittelnde Positionen.

Die Friedrich-Ebert-Stiftung hat sich auch danach erkundigt, welche Lösung angesichts knapper Finanzen von den Befragten bevorzugt werde. Als Varianten angegeben wurden Steuererhöhungen für die Bezieher sehr hoher Einkommen, mehr Schulden oder Kürzungen vorhandener Ausgaben. Bei Anhängern aller Parteien, mit Ausnahme der FDP, seien alle für die Erhöhung der Steuern bei den Reichen gewesen. Die Aufnahme weiterer Schulden indes sei auf große Ablehnung gestoßen. Die zunehmende Verschuldung des Staates werde von den meisten Befragten als Problem angesehen.



In der Diskussionsrunde der Friedrich-Ebert-Stiftung wurden die Resultate kritisch kommentiert. Decker erinnerte daran, dass SPD und auch Grüne sich aus guten Gründen von den Rufen nach direkter Demokratie verabschiedet hätten – da Volksentscheide ungeeignet seien, komplexe Sachverhalte rational zu durchdringen. Die Gefahr einer Emotionalisierung sei zu groß. Bürgerräte mit ausgelosten Teilnehmern, wie sie derzeit auf Bundesebene als Ergänzung probiert werden, etwa zum Thema Ernährung, sind nach Ansicht von SPD-Landtagsfraktionschef Grant Hendrik Tonne vermutlich „keine Lösung“: „Die Leute dort müssen sich, ebenso wie in Parlamenten, am Ende zu einer Entscheidung durchringen und Kompromisse finden.“

Skeptisch, fügt Tonne hinzu, beurteile er auch die Rufe nach einer Expertenregierung: „In der Corona-Zeit habe ich wiederholt erlebt, wie viele Fachleute immer wieder gesagt haben, dass sie zwar Empfehlungen geben, aber bitte nicht die Verantwortung für Entscheidungen tragen wollten.“ Außerdem gebe es immer verschiedene Experten für ihre jeweils eigenen Fachbereiche, die sich in Ratschlägen zu Sachfragen nicht selten widersprächen – teilweise sogar innerhalb einer Fachdisziplin. Der Politologe Decker rät bei allen Diskussionen dringend davon ab, die Bundestags-Wahlperiode – wie aktuell geplant – von vier auf fünf Jahre zu verlängern. „Das ist im Ergebnis weniger Demokratie – und junge Leute müssen dann ein Jahr länger warten, bis sie endlich wählen dürfen.“