21. Nov. 2019 · 
Parteien

Eine Umfrage wirft viele Fragen auf: Sind die Grünen landesweit die stärkste Kraft?

Eine neue Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Civey, über die gestern die „Neue Osnabrücker Zeitung“ berichtete, hat in Landtagskreisen einige Unruhe gestiftet. Die Zahlen geben nämlich zu unterschiedlichen Interpretationen Anlass – und Grund zur Freude hat eigentlich nur eine Partei, die Grünen. Wie die NOZ berichtet, liegen die Grünen sogar in Führung. Wenn jetzt Landtagswahlen wären, würde die Partei auf 25,1 Prozent kommen, gefolgt von der CDU mit 24,5 Prozent und der SPD mit 23,2 Prozent. Die AfD (11,5 Prozent) und die FDP (6,9 Prozent) würden noch eine Chance auf Einzug in den Landtag haben, die Linkspartei mit 4,3 Prozent allerdings nicht. Bei der Landtagswahl vor zwei Jahren hatte die SPD stolze 36,9 erreicht, die CDU war mit 33,6 Prozent auf Rang zwei geblieben – die Grünen rangierten seinerzeit lediglich 8,7 Prozent, die FDP hatte 7,5 Prozent und die AfD 6,2 Prozent.

Civey-Umfragen sind aus fachlicher Sicht ein Unterhaltungsformat.


Einen Haken gibt es bei der aktuellen Umfrage allerdings: Die Civey-Umfragen stehen bei Demoskopen immer wieder in der Kritik und sind deshalb mit leichter Vorsicht zu genießen. Zahlreiche Experten halten sie nicht für repräsentativ, sprechen von „willkürlicher Stichprobe“. „Civey-Umfragen sind aus fachlicher Sicht ein Unterhaltungsformat“, meint Ulrich Kohler, Professor für Methoden der empirischen Sozialforschung an der Universität Potsdam. In der Tat weichen Civey-Umfrageergebnisse auch immer wieder von Ergebnissen „klassischer“ Institute ab. Dennoch haben solche Hinweise im politischen Raum eine nicht zu unterschätzende Wirkung. Bei SPD und CDU können die neuen Zahlen kein Anlass zur Freude sein. Die SPD, die unter Stephan Weil das Image der „Niedersachsenpartei“ anstrebt, würde nur noch auf Rang drei rutschen. Die CDU, die erst vor wenigen Tagen von sich behauptete, die „Niedersachsenpartei“ zu sein, sieht sich einer starken grün-roten Mehrheit gegenüber, denn zusammengerechnet würde es für Grüne und SPD wohl locker zur Regierungsbildung reichen. Anders ausgedrückt: Von der Schwäche der SPD können vor allem die Grünen profitieren, während ein klassisches Bündnis der Vergangenheit, CDU und FDP, zusammen nur Aussicht auf 32 Prozent hätte, also weit von einer eigenen Mehrheit entfernt wäre. CDU, FDP, SPD und Grüne haben Bündnisse mit der AfD strikt ausgeschlossen. Diese Umfrage drückt allerdings die Stimmungslage während eines derzeit bundesweiten Höhenfluges der Grünen aus. Dabei ausgeklammert ist, dass die nächste Landtagswahl erst in drei Jahren stattfindet, bis dahin also noch eine Menge Zeit bleibt und sich in der politischen Stimmung einiges tun dürfe. Auch die stärkere Hinwendung zu starken Spitzenkandidaten, die SPD und CDU in anderen Bundesländern stets geholfen hat (jedenfalls dem jeweiligen Ministerpräsidenten in Sachsen und Brandenburg), wird in der Umfrage nicht berücksichtigt, auch nicht die Kampagnenfähigkeit der jeweiligen Partei. Ministerpräsident Stephan Weil hatte im August angekündigt, 2022 wieder als Spitzenkandidat der SPD antreten zu wollen, Bernd Althusmann hat dies für die CDU vor wenigen Tagen erklärt.

Umfragewerte drängen die Grünen zur Wahl einer Leitfigur

Auch für die Grünen ist der Höhenflug in der Umfrage nicht nur ein Grund zur Freude, denn damit stellen sich neue Fragen an die Partei, auf die Antworten derzeit schwer fallen. Ähnlich wie auf Bundesebene, wo über längst spekuliert wird, ob Robert Habeck oder Annalena Baerbock den Titel „Kanzlerkandidat“ bekommen sollten, stellt sich das Thema auch auf Landesebene entsprechend. Eine Doppelspitze als Ministerpräsident geht nicht, wiederholt sind die niedersächsischen Grünen jedoch zu Landtagswahlen mit zwei Spitzenkandidaten angetreten. Die Aussicht auf die mögliche Rolle als stärkste Partei, die damit den Auftrag zur Regierungsbildung hätte, erhöht den Druck auf die Partei, im Landtagswahlkampf womöglich eine einzige Figur als Ministerpräsidentenkandidaten zu benennen. Aber wer soll das sein? Die Fraktionsvorsitzende Anja Piel hat Integrationskraft, galt aber nach ihrer Niederlage bei der Bundesvorsitzendenwahl Anfang 2018 lange Zeit als geschwächt. Gleichwohl ist sie in der Landtagsfraktion bisher die unangefochtene Nummer eins, die Diskussionen um die Eignung der Fraktionsvorsitzenden scheinen inzwischen weitgehend verstummt. Der Parlamentarische Geschäftsführer Helge Limburg, ein Jurist, hat sich in den vergangenen Monaten auffällig zurückgehalten, gilt aber als fähiger Kopf. Der frühere Agrarminister Christian Meyer, lange die Leitfigur der Linken innerhalb der Grünen, polarisiert sehr stark, manche halten ihn auch für einen Einzelkämpfer. Allerdings hat er ein klares Profil und könnte aus dem Stand heraus Positionen besetzen. Die Abgeordneten Miriam Staudte und Julia Hamburg drängen sich bisher nicht in die erste Reihe, gelten aber als starke Vertreterinnen ihrer jeweiligen Fachgebiete Agrar- und Innenpolitik. Das gilt auch für den früheren Umweltminister Stefan Wenzel, der sich sehr stark auf die Haushaltspolitik konzentriert. Die Umweltpolitikerin Imke Byl ist ehrgeizig und redegewandt, gilt für viele aber noch als „zu jung“. Die beiden Landesvorsitzenden, Anne Kura aus Osnabrück und der einstige Landtagsabgeordnete Hans-Joachim Janßen aus Varel, halten sich in öffentlichen Darstellungen eher zurück und überlassen der Landtagsfraktion den Vortritt. In dieser Konstellation dürfte es den Grünen sichtlich schwer, eine „Leitfigur“ aufzubauen.
Dieser Artikel erschien in Ausgabe #207.
Niklas Kleinwächter
AutorNiklas Kleinwächter

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