28. Sept. 2023 · Inneres

Eine Brücke über die Elbe – ist das nötig für die Anbindung zu Niedersachsen?

Das Amt Neuhaus ist etwas ganz Besonderes, Außergewöhnliches. Seit 30 Jahren gehören die rund 6000 Menschen, die auf dem 240 Quadratkilometer großen Gebiet an der Elbtalaue wohnen, zu Niedersachsen. Vorher zählte dieses Gebiet mit seinen 36 Dörfern bis 1993 rund 48 Jahre lang zur DDR. Als das SED-Regime zusammenbrach, wollten die Menschen hier nicht bloß Teil des Westens sein, sie wollten gleich in ein westliches Bundesland wechseln. Zeitzeugen, die im hoffnungsvollen Herbst 1989 dabei waren, erinnern sich noch an eine Szene, als in der DDR der Stacheldraht fiel und die Grenzposten der NVA ihre Stellungen räumten. Aus dem Gasthaus „Rautenkranz“ in Darchau auf der Ostseite der Elbe drangen bekannte Töne rüber nach Neu Darchau im Westen. „Wir sind die Niedersachsen“, stimmten die Leute dort an. „Das war ein bewegender Moment“, erinnert sich Klaus-Peter Dehde (SPD), ehrenamtlicher Bürgermeister von Neu Darchau.

Foto: Wallbaum

In all den Jahren danach erregte ein Thema die Kommunalpolitiker und viele, die hier leben: Soll das Amt Neuhaus, sollen die „Hinzugekommenen“ aus der DDR über eine Autobrücke, die über die Elbe führt, an Niedersachsen angebunden werden? Wenn, dann käme wohl die Trasse Neu Darchau-Darchau dafür in Betracht. „Die ersten Überlegungen für eine solche Brücke gab es schon 1827“, berichtet der Lüneburger Jörg Sohst, Kommunalpolitiker und Vorsitzender des Vereins „Brücken bauen e.V.“. Tatsächlich hat dieses Thema Brücke etwas Schicksalhaftes für die Region, was mit Blick auf die deutsche Geschichte anschaulich wird.

Im Mai 1945 waren zuerst die Amerikaner im Amt Neuhaus, einige Wochen später kamen dann die Briten. Aber weil eine Brücke über die Elbe fehlte, entschieden die Kommandanten vor Ort kurzerhand, das Gebiet an die sowjetisch besetzte Zone abzutreten. Die fehlende Brücke also symbolisiert den Schicksalsschlag für die Region – sie war ausschlaggebend dafür, dass die Leute in der DDR leben mussten und nicht zum Westen kamen. Für viele war das eine bittere Erfahrung, die 1990 endlich beendet werden musste. So entschieden die Gemeinderäte der damals noch acht selbstständigen Gemeinden im Amt Neuhaus einmütig, den Wechsel nach Niedersachsen anzustreben. In Hannover, heißt es, habe der Innenminister Gerhard Glogowski das Anliegen unterstützt – im Juni 1993 wurde der Wechsel vollzogen. Über die Brücke wurde damals auch diskutiert, in den Folgejahren begannen viele Planungen, es gab Befragungen, Planungen wurden wieder abgebrochen und neu gestartet. Bisher steht die Brücke noch immer nicht. Die nächstgelegenen Brücken sind je 45 Kilometer entfernt – in Dömitz und in Lauenburg. Dazwischen liegen zwei Fähren in Bleckede und Neu Darchau.

Neu Darchaus Bürgermeister Klaus-Peter Dehde (SPD) erinnert sich an die Ereignisse im Herbst 1989 zurück. | Foto: Wallbaum

Doch das Thema Neubau bleibt aktuell, hat jüngst sogar eine Renaissance erlebt. Just an diesem 3. Oktober, dem Tag der Einheit, ist in Darchau wieder ein großes „Brückenfest“. Die Anhänger der „festen Elbquerung“ machen wieder mobil, und wieder ist eine Menge Symbolik dabei. Derweil entwickelt sich das Thema auf überregionaler Ebene zum politischen Kräftemessen. Der Landrat Jörg Böther (CDU) verweist auf den Kreistagsbeschluss von 2018 und treibt das Projekt voran. Der Kreis selbst will als Bauherr auftreten und drückt beim Planfeststellungsverfahren auf Tempo. Parallel machen aber auch die Brückengegner mobil, in Hannover hat das Landwirtschaftsministerium die Änderung des Landesraumordnungsprogramms angeschoben mit dem Ziel, die Brücke aus den Leitsätzen herauszunehmen. Käme das so, dann stünde die Brücke im Widerspruch zu den landesplanerischen Vorgaben, wäre also nicht durchsetzbar.

Einige Akteure meinen nun, beide Planungen müssten einen Wettlauf antreten. Wer schneller sei, könne erfolgreich sein. Doch gegen die Brücke spricht, dass ein Planfeststellungsverfahren nicht ohne Klagen laufen dürfte. Das war schon vor knapp 20 Jahren so, als der Kreis einen ersten Anlauf unternahm und die Sache in die Hand nehmen wollte. Vor Gericht erlitt er Schiffbruch, da teilweise Landesstraßen betroffen waren. Außerdem ist von der Planung auch die Gemeinde Neu Darchau berührt, und die liegt auf dem Gebiet des Nachbarkreises Lüchow-Dannenberg. Planen auf fremden Gebiet aber darf ein Landkreis nicht. Neu Darchaus Bürgermeister Dehde (SPD) gilt als vehementer Gegner der Brücke. Die für die Landesplanung zuständige Agrarministerin Miriam Staudte (Grüne) ebenso – sie dürfte dabei vor allem das Biosphärenreservat Elbtalaue im Blick haben, das von einem Brückenneubau sicher beeinträchtigt würde. Ohnehin ist die Ablehnung der Brücke bei den Grünen in dieser Region wohl am stärksten ausgeprägt, die eifrigsten Anhänger findet man bei der CDU.

„Viele Menschen im Amt Neuhaus sind frustriert. Sie sehen, dass sich bei der Brückenplanung nichts bewegt – und das Gefühl breitet sich aus, abgehängt zu sein.“

Wie argumentieren beide Seiten? Sohst, der Brückenbau-Befürworter, hält das Argument der ausufernden Kosten für vorgeschoben und verweist auf gesetzliche Vorgaben, die auch eine Bundes-Beteiligung zwingend machen. Bei der Bürgerbefragung im Landkreis 2013 hätten sich 72 Prozent der Bürger des Kreises Lüneburg für die Brücke ausgesprochen. Es sei ein Versprechen an die Menschen östlich der Elbe gewesen, das endlich eingehalten werden müsse. Der Landwirt Heinrich Hauel aus dem Amt Neuhaus berichtet, dass sich viele Handwerker und Gewerbetreibende zwangsläufig Richtung Osten zu den mecklenburgischen Nachbargemeinden orientierten. Denn wenn jede Überfahrt per Fähre für einen Handwerksmeister acht Euro koste, rechne sich das nicht. Die Fahrzeiten zwischen 5 und 21 Uhr seien auch zu beschränkend. Das gelte umso mehr, als die Fähre in Neu Darchau im Jahr 2022 an 80 Tagen ausgefallen war, meistens wegen Niedrigwasser und Wartungsarbeiten. Der lange Umweg über Lauenburg zur dortigen Brücke sei bei den hohen Benzinpreisen unrentabel. „Viele Menschen im Amt Neuhaus sind frustriert. Sie sehen, dass sich bei der Brückenplanung nichts bewegt – und das Gefühl breitet sich aus, abgehängt zu sein.“ Erst, wenn es die Brücke gebe, würden die Menschen im Amt Neuhaus „richtig zu Niedersachsen dazugehören“.

„Meine Blicke richten sich auch nach Hannover.“

Neu Darchaus Bürgermeister Dehde kennt diese Argumente – aber er teilt sie nicht. Wenn er von der „Brücke der Herzen“ spricht, dann meint er, dass außer der Symbolik nicht viele Argumente für den Neubau sprächen. Rund um den Fähranleger in seiner Gemeinde hat sich ein Kleinod entwickelt, hier gibt es ein romantisches Fährhaus, Kanu-Paddler sind aktiv, hin und wieder wird ein Flohmarkt angeboten. Zur Kleinstadt-Idylle passt dann die von der Kommune selbst betriebene Fähre „Tanja“, Baujahr 1960, die in wenigen Minuten die Autos, Fahrräder und Landmaschinen übersetzt. Theoretisch könnte sie auch Lastwagen transportieren, doch für sie lohnt der Aufwand mit dem Fährpreis nicht.

Dehde nennt mehrere Gründe, warum er gegen die Brücke ist. Die Ruhe und Beschaulichkeit, die derzeit am Fähranleger herrsche, wäre mit einer großen Brücke mit vielen Betonpfeilern vorüber. Im Ort würden viele den vermutlich wachsenden Durchgangsverkehr, dann auch mit Lastwagen, mit großer Sorge sehen. Eine Ortsumgehung für Neu Darchau, die im Fall einer Brücke zwingend sein müsste, sei nicht Gegenstand der Planungen. 2020 haben die Neu Darchauer eine Bürgerbefragung in ihrer Gemeinde organisiert – und 88 Prozent seien dagegen gewesen, bei einer Beteiligung von 50 Prozent. Was sich Dehde weitaus besser vorstellen kann, wäre eine neue Fähre, die dann auch bei Niedrigwasser häufiger im Einsatz ist – also ein Konzept, das weitaus verlässlicher ist als das heutige. Eine solche Fähre würde aber wohl rund 5 Millionen Euro kosten – und das ist ein Betrag, den die kleine Gemeinde allein kaum wuppen kann. „Meine Blicke richten sich auch nach Hannover“, sagt Dehde.

Das ist vermutlich Zukunftsmusik – so wie die Brücke es auch ist. Auch 30 Jahre nach dem „Anschluss“ des Amtes Neuhaus an Niedersachsen hat dieses Thema von seiner Emotionalität nichts eingebüßt. Auf der Ostseite, in Darchau, gibt es nicht wenige, die sich einen Kommentar zu den Planungen lieber verkneifen. Es werde ja jedes Wort auf die Goldwaage gelegt, heißt es. Die „Brücke der Herzen“ weckt eben viele Emotionen, und das ist für eine nüchterne Verkehrsplanung nicht gerade eine ideale Voraussetzung.

Dieser Artikel erschien am 29.9.2023 in Ausgabe #169.
Klaus Wallbaum
AutorKlaus Wallbaum

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