Eine Beziehungsgeschichte: Wie die SPD sich Gerhard Schröder annähert
Die ganz schlimmen Zeiten für ihn sind vorüber, ganz offenkundig. Im ersten Jahr nach Putins Angriffskrieg auf die Ukraine war Gerhard Schröder in seiner SPD nicht wohlgelitten, es trat ihm teilweise krasse Ablehnung entgegen. Hatte er doch selbst wenige Wochen vor dem denkwürdigen 24. Februar 2022 noch erklärt, die Ukraine solle „mit dem Säbelrasseln aufhören“. Dann kam der Angriff, und der Altkanzler weigerte sich anfangs beharrlich, auch nur eine geringe Distanz zu Wladimir Putin erkennen zu lassen. Das mobilisierte seine innerparteilichen Gegner, es gab aus mehreren Ortsvereinen Anträge auf einen Parteiausschluss. Es wurde einsam um ihn, er schien verlassen zu sein.
Das Folgejahr, 2023, verlief für Schröder weit angenehmer. Seine parteiinternen Gegner scheiterten mit ihren Vorstößen, den „Genossen Gerd“, den sie fortan nicht mehr so nennen wollten, herauszuwerfen. Seine Haltung zu Putin änderte Schröder nicht, immerhin verurteilte er den Krieg – und für seine Versuche, als Vermittler aufzutreten, erntete er zwar wenig Respekt. Aber die von manchen ihm gegenüber gezeigte Verachtung ließ im Laufe der Monate dann doch nach. Die Ehrung für 60 Jahre SPD-Mitgliedschaft, die wochenlang fraglich erschien, fand dann im Oktober 2023 doch noch in einem würdevollen Rahmen statt. Das spricht für eine Wiederannäherung.
Am 7. April wird Gerhard Schröder 80 Jahre alt, und in diesem Augenblick scheinen sich die großen Linien wieder zu seinem Wohlbefinden zu bewegen. Dafür lassen sich Symbole nennen. Das von ihm gespendete Fenster in der hannoverschen Marktkirche, das der Schröder-Freund und Künstler Markus Lüpertz gestaltet hat, ist eingebaut – auch wenn die Kirche mit einem Trick dafür sorgte, dass der von russischen Staatskonzernen bezahlte Schröder nicht als Spender in Erscheinung tritt. Aber Schröder war selbst zugegen, als das Fenster erstmals gezeigt wurde. Und seine Freunde aus der SPD, Weggefährten von früher, waren auch dabei. Sie fehlten auch nicht, als seine 60-jährige Parteimitgliedschaft anstand. Dieser Anlass wurde entgegen manchen Erwartungen auch gefeiert – fast so, als wäre vorher nichts geschehen.
Die Beziehung zwischen Schröder und seiner SPD lässt sich jetzt, rund um seinen 80. Geburtstag, so beschreiben: Seine scharfen Kritiker, die sich zuletzt an seiner Russland-Nähe rieben und von denen früher schon viele seine Hartz-Reformen bekämpften, sind leiser geworden. Einer der schärfsten Gegner der Moskau-Nähe in den eigenen Reihen, der SPD-Außenpolitiker Michael Roth, hat vor wenigen Tagen seinen Rückzug angekündigt. Er wirkte kraftlos – auch, weil er zu wenig Gehör bei den Sozialdemokraten fand?
Viele Schröder-Gegner haben offenbar den geringen Erfolg ihres parteiinternen Protestes erkannt. Einige haben es akzeptiert, andere sind resigniert. Die führenden SPD-Politiker – unter ihnen Stephan Weil und der frühere glühende Schröder-Anhänger Lars Klingbeil – halten weiter Distanz zu ihm. Dafür dürften auch taktische Gründe maßgeblich sein, denn immer noch ziemt es sich nicht für leitende Sozialdemokraten, ein gutes Verhältnis zu ihm zuzugeben. Schröder selbst weiß das und unternimmt deshalb auch keine Versuche, an diesem Zustand etwas zu ändern. Das mittlere Management der SPD aber und sein Freundeskreis aus Hannover stehen wieder offener und klarer zu ihm. Sie praktizieren die Normalisierung des Verhältnisses. Bereiten sie auch eine Versöhnung vor?
Eine neue politische Weichenstellung der Sozialdemokratie legt diese Vermutung nahe. In der Partei werden die Stimmen der Russland-Versteher wieder offensiver. Damit erscheint die Partei in ihrer Außenpolitik so widersprüchlich und unkalkulierbar, dass sich eine Reihe sozialdemokratischer Historiker schon aufgefordert sieht, den Verantwortlichen rund um Kanzler Olaf Scholz eine „Realitätsverweigerung“ vorzuhalten. In der Friedenssehnsucht gehe die Erkenntnis unter, dass ein Putin, dem man nicht klar seine Grenzen aufzeigt, zu immer neuen imperialistischen Abenteuern neigt. Das meint beispielsweise der Historiker Heinrich August Winkler. Niemand hat den neuen Kurs der SPD so deutlich ausgedrückt wie der Bundestagsfraktionsvorsitzende Rolf Mützenich, der sich Mitte März offen für ein „Einfrieren“ des Krieges aussprach – also für ein Akzeptieren des Status quo.
Mit dieser Haltung hat Mützenich die Koalitionspartner Grüne und FDP nicht nur irritiert, sondern schon düpiert. Das Mützenich-Diktum steht auch im harten Widerspruch zu der bislang von Bundesaußenministerin Annalena Baerbock vertretenen Position, dass sich ein Kriegsverbrecher wie Putin nur durch Stärke, Entschlossenheit und Gegenwehr aufhalten lässt, nicht aber durch Einlenken und Klein-Beigeben. Nun gibt es Interpreten, die in der Mützenich-Aussage eine von der Parteiführung in Gang gebrachte politische Neuprofilierung der SPD erkennen wollen. Die allgemeine Sehnsucht der Deutschen nach einer raschen Beendigung des Krieges in der Ukraine werde von den Sozialdemokraten genutzt, sich vor der Europawahl im Juni und den ostdeutschen Landtagswahlen im Spätsommer als „Friedenspartei“ zu profilieren.
Schröder selbst muss sich davon nicht angesprochen fühlen. Und doch ist er, der Ruheständler, bei diesem Thema mitten im Zentrum der SPD. Bei ihm fällt auf, dass er selbst in den vergangenen Monaten auch nicht untätig war. Er hat verschiedentlich den Kontakt zu alten Weggefährten gesucht und Missstimmungen ausgeräumt. Auch in Saarbrücken war er bei Oskar Lafontaine, dem alten Erzfeind. Dass die beiden nun enge Freunde geworden wären, lässt sich nicht behaupten. Aber Schröder tat seinen Anteil, um die Hand auszustrecken. Das hat er in verschiedenen anderen Begegnungen wiederholt, etwa gegenüber Wolfgang Jüttner, dem langjährigen Mitstreiter und Rivalen. Ist es nun Altersmilde, die ihn getrieben hat? Womöglich ist es die Einsicht eines in Alter gereiften Mannes, dass er in seiner aktiven Zeit auch manches übertrieben und manchen Gegner unfair behandelt hat. Womöglich tut ihm einiges, was er tat, rückblickend sogar leid. Oder geht es ihm nur darum, zum 80. Geburtstag die menschliche Seite zu zeigen?
Jedenfalls vermeidet es der Jubilar nach wie vor nicht, mit für ihn gewohnt deutlichen Formulierungen in die öffentliche Diskussion einzugreifen. Die Mützenich-Linie gefällt Schröder, das hat er jüngst in einem Interview für die Deutsche Presse-Agentur hervorgehoben. Schröder ging sogar so weit, dem Bundeskanzler Olaf Scholz zu wünschen, dass er sich als „Friedenskanzler“ verstehe. So viel Lob für Scholz aus dem Mund von Schröder hat es lange, lange nicht gegeben. Nur weiß man nie, wie ernst gemeint solche Worte sind, denn bekanntlich verstehen sich Schröder und Scholz schon lange nicht mehr gut. Auch in der SPD hört man viele Vorbehalte, die Schröder begegnen, immer wieder. Er sei ein Sprücheklopfer, ziele mit öffentlichen Aussagen auf Effekte – und es gehe ihm nicht um Überzeugungen, sondern nur um sein eigenes Ego. Einige halten ihn sogar für beratungsresistent – ein Ergebnis der Tatsache, dass er jahrzehntelang von folgsamen Ja-Sagern umgeben war.
Aber ist das wirklich schon die ganze Wahrheit? Die aktuelle außenpolitische Wende der Sozialdemokraten spricht eine andere Sprache und gibt Anlass zu der Vermutung, dass sein Einfluss doch noch gegeben ist. Diejenigen, die für einen offenen Draht nach Moskau werben, scharen sich nach wie vor um den Altkanzler – auch wenn viele das wohl nie offen zugeben würden. Zum 80. Geburtstag hat Schröder, der zwischenzeitlich Verlassene, wieder Grund zur Hoffnung, bald wieder in der Mitte zu stehen – und zumindest die Schmach abzustreifen, in der eigenen Partei als „Outlaw“ verschrien zu sein. Die Voraussetzungen dafür sind denkbar gut. Die Zeiten, in denen er eine Unperson war und reihenweise seine Ehrentitel verlor, sind gegenwärtig weit, weit weg. Für ihn kann es wohl kaum ein schöneres Geburtstagsgeschenk geben.
Dieser Artikel erschien am 04.04.2024 in der Ausgabe #062.
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