Die CDU geht auf die Insel Borkum, die SPD in ein Hotel in Leer. In dieser Woche treffen sich die beiden Landtagsfraktionen der Großen Koalition zu ihren Klausurtagungen. Die Grünen gehen indes nach Helmstedt, dort wollen sie über Eckpunkte eines „ökologisch-sozialen Wandels der Wirtschaft“ diskutieren. Die SPD spricht über Kinder und Jugendliche in Zeiten der Pandemie, außerdem über die Sicherung der Energieversorgung. Bei der CDU stellt sich das zweite dieser Themen automatisch. Denn auf der Insel Borkum, die in diesem Jahr die Christdemokraten beheimatet, braut sich Protest gegen absehbare Genehmigung für die Erdgasbohrung am Rande des niedersächsischen Wattenmeeres zusammen.

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Noch im Oktober vergangenen Jahres hatte der Landtag einstimmig dafür votiert, dass die Landesregierung einen entsprechenden Antrag des holländischen Unternehmens One-Dyas ablehnt – wegen der unkalkulierbaren Auswirkungen auf die Ökologie auf Borkum. Es herrschen Ängste, dass die Natur in Mitleidenschaft gezogen werden könnte, dass es Erschütterungen geben könnte oder Schlamm aufgewühlt wird. Der Bürgermeister sagte im NDR, Benzol, Quecksilber und andere Schadstoffe könnten frei werden und die Natur belasten.

„Wir haben die Reise vor dem Angriff Putins auf die Ukraine geplant.“

Dirk Toepffer

Vergangenen Oktober wurden diese Hinweise stark gewichtet und führten zu einem Nein des Landtags. Die Landesregierung wurde aufgefordert, bei der Beteiligung ein Einverständnis strikt abzulehnen. Der Ukraine-Krieg hat die Lage verändert, der alte Landtagsbeschluss wurde vergangene Woche aufgehoben. Die Landesregierung will dem Planfeststellungsverfahren für die Förderung jetzt zustimmen – da jeder Kubikmeter Erdgas, der nicht aus Russland kommt, ein Schritt mehr zur energiepolitischen Unabhängigkeit sein kann. Viele Borkumer fürchten nun aber, dass sie mit ihren Ängsten nicht mehr ernst genommen werden. Christan Meyer (Grüne) forderte bisher vergeblich von der Landesregierung, die Unterlagen für die Bohrung einsehen zu wollen um jedes Detail genau überprüfen zu können. Insofern kommt die CDU gerade zur rechten Zeit und wird vor Ort gegenüber Borkumer Entscheidungsträgern viel Zeit darauf verwenden müssen, die neue politische Position der Landesregierung zu begründen. Ob man das nicht vorher hätte ahnen können? „Wir haben die Reise vor dem Angriff Putins auf die Ukraine geplant – und damals war für uns ausschlaggebend, dass wir genügend Übernachtungsmöglichkeiten an einem Ort finden mussten“, erklärte CDU-Fraktionschef Dirk Toepffer.

Corona-Pandemie hat die Reisen im Jahr 2020 gestoppt

Als die beiden großen Landtagsfraktionen von SPD und CDU eigentlich ihre Reisen antreten wollten, im Jahr 2020, mussten erste Pläne rasch wieder eingestampft werden: Die Corona-Krise ließ das nicht zu. Es verging Monat um Monat, und immer wieder sind die Konzepte angepasst worden. Am Ende nun kommt alles auf den letzten Drücker, und unfreiwillig ändern die Reisen ihren Charakter. Statt einer Erkundung fern der Heimat wird es eine längere Tagung in der Heimat. Und anstelle eines Ausflugs zur Verfestigung der innerfraktionellen Kontakte kommt es zu einer Art Abschiedstreffen. Denn die Fraktionen sind kurz nach der Aufstellung der Landeslisten für die Landtagswahl unterwegs, und von den neuen Kandidaten, die noch nicht im Parlament sind, darf niemand in dieser Funktion jetzt dabei sein. Dafür sind etliche Abgeordnete dabei, die bei der Landtagswahl am 9. Oktober nicht mehr antreten und sich teilweise ganz auf ein Ende ihrer politischen Aktivität einstellen. Andere wiederum beschränken sich künftig auf ihre kommunalen Mandate.

Im Landtag gilt bei den großen Fraktionen SPD und CDU seit Jahrzehnten eine feste, gleichwohl nicht fest fixierte Regel: Einmal je Wahlperiode unternehmen die Fraktionen eine längere Reise, die auch schon mal eine ganze Woche dauern darf. Früher wurde das öfter auch mit Auslandsreisen verknüpft, und der Sinn dieser Unternehmungen war ein doppelter: Zum einen sollte die Fraktion jenseits von Hannover klausurartig zusammenbleiben – ohne die Chance für einzelne, am Abend wieder eigene Wege zu gehen. Das Ganze diente also dem besseren Zusammenhalt. Zum anderen sollte die Tour, sofern sie ins Ausland führte, auch über den landespolitischen Horizont hinausragen und den Landtagsabgeordneten neue politische Welten zeigen. Wenn Ministerpräsident und Minister im Team waren, konnte das auch für politische Gesprächskontakte genutzt werden. Beides war diesmal nicht möglich, für Auslandsreisen ließ weder die Corona-Lage den nötigen Freiraum zu, noch die aktuelle politische Lage mit wachsenden Unsicherheiten und Problemen.

Die CDU nutzt nun die Insel Borkum, auf der sie in den vergangenen Jahren schon öfter Klausurtagungen der Fraktion veranstaltet hatte. Die SPD zieht es nach Leer, und zwar in die ostfriesische Heimat der Fraktionsvorsitzenden Johanne Modder, die selbst im Herbst aus dem Parlament ausscheidet. Damit wird das SPD-Treffen einmal mehr eine Abschiedsvorstellung. Die Grünen wollen in Helmstedt, an der alten innerdeutschen Grenze, auch über die politische Bildung und die Erwachsenenbildung reden. „Kein Ort ist dafür geeigneter als dieser“, sagt Fraktionschefin Julia Hamburg.