5. Apr. 2020 · 
Inneres

Droht der Katastrophenfall? Vorsorglich sichert das Land die Freistellung von Helfern zu

Wenn es nötig wird, können die Kreise und kreisfreien Städte jetzt schon die Helfer der Rettungsorganisationen (etwa THW, Johanniter, DRK oder ASB und Malteser, aber auch der Feuerwehr) mobilisieren. Das gilt beispielsweise für Hilfsdienste in Krankenhäusern, wenn dort Personalmangel bei den Pflegekräften bestehen sollte. Einen entsprechenden Erlass haben – bisher unbemerkt von der Öffentlichkeit – die beiden Minister Reinhold Hilbers (Finanzen) und Boris Pistorius (Innen) bereits vor einigen Tagen herausgegeben. Darin stellt das Land zunächst 20 Millionen Euro bereit, damit zur Not die Helfer der Rettungsorganisationen für diese Tätigkeiten verpflichtet werden und ein Anspruch auf Verdienstausfall bei ihren Arbeitgebern geltend gemacht werden kann. https://www.youtube.com/watch?v=28Z7-8VGKyA Das Land wolle „auch ohne Ausrufung des Katastrophenfalls“ die Mitarbeiter dieser Organisationen „so stellen, dass ihnen aus ihrer Mitwirkung bei der Bewältigung der gegenwärtigen Corona-Krise kein persönlicher oder finanzieller Nachteil entsteht“, heißt es in dem Schreiben der beiden Minister, das dem Politikjournal Rundblick vorliegt.

Landräte und Oberbürgermeister übernähmen Kontrolle

Sollte es in Niedersachsen zu Engpässen in der Krankenversorgung kommen, weil womöglich nicht ausreichend Beatmungsgeräte für die Intensivbetten der Corona-Patienten bereitstehen, so könnte durchaus ein „Katastrophenfall“ festgestellt werden. Das würde bedeuten, dass die Landräte der Landkreise und die Oberbürgermeister der kreisfreien Städte dann die Entscheidungsgewalt an sich ziehen müssten, unterstützt von den Polizeidirektionen des Landes. Bisher ist diese Regelung in Niedersachsen noch stark auf regionale Unglücke ausgerichtet – beispielsweise Waldbrände. https://www.youtube.com/watch?v=ZFSdW79PwYQ Das Besondere an der Corona-Krise, nämlich die überregionale Betroffenheit nicht nur im ganzen Land, sondern bundes- und sogar weltweit, wird vom bisher geltenden Gesetz nicht erfasst. Nun war es zufällig so, dass just in den Wochen vor Ausbruch der Corona-Epidemie im Innenministerium Pläne reiften, den Katastrophenschutz neu zu organisieren – auf überregionaler Ebene sollten nicht mehr die sechs Polizeidirektionen zuständig sein, sondern ein eigenes Landesamt sollte entstehen in Loy bei Celle. Triebkraft der Reform, heißt es, sei der Leitungsstab der Feuerwehren, der sich aus den Polizeidirektionen herauslösen und keine untergeordnete Rolle gegenüber den Polizeipräsidenten mehr hinnehmen wolle. Eine andere Frage wäre, ob ein neues Katastrophenschutz-Amt dann auch Durchgriffsrechte auf die Landräte und Oberbürgermeister bekommen könnte. Im Lichte der Corona-Krise dürften diese Fragen, sobald die Krise vorüber ist, noch einmal völlig neu bewertet werden.

Bisher gibt es noch keinen Katastrophenfall, doch die Krisensituation hat schon zu einem Kräftemessen zwischen Land und Kommunen geführt, wie diese Beispiele zeigen:

Öffnung von Gartenmärkten: Erst hatte das Land eine „Allgemeinverfügung“ erlassen, in der Bau- und Pflanzenmärkte weiter geöffnet haben durften. Einige Kreise, etwa Osnabrück, wichen davon ab, verschärften ihre Vorschrift und verfügten die Schließung. Als später der Landes-Krisenstab die Schließung allgemein wollte, erließ er eine Rechtsverordnung, an die alle Kreise gebunden waren und ihnen keine Spielraum mehr erlaubten. So war es später auch wieder bei der Öffnung der Märkte. Die allerdings wurde in ihrer konkreten Regelung so spät festgelegt, nämlich erst am vergangenen Freitag, einen Tag vor der Wiederöffnung, dass dies für manche Pflanzenhändler zu spät kam. Debatte um Behelfskrankenhäuser: In einigen Städten, so Braunschweig, Göttingen und Hannover, werden die Pläne für Behelfskliniken vorangetrieben. Dabei ist die Finanzierung noch ungeregelt, denn ohne Aufnahme in den Krankenhausplan des Landes könnte der Betrieb später kaum über die Kassen abgerechnet werden. Eine andere Frage ist, ob es sinnvoll wäre, solche neuen Kliniken mit einem völlig neuen und unerfahrenen Personalstamm aus dem Boden zu stampfen – oder ob die Alternative, vorhandene Kliniken etwa mit Personal der Rettungsdienste zu verstärken, schneller und reibungsloser umzusetzen wäre. Gebremste Revision des AKW Grohnde: Eigentlich hatte Preußen-Elektra als Betreiber des Kernkraftwerks Grohnde geplant, gleich nach Ostern mit einer zweiwöchigen Revision zu beginnen. Dazu hätten 1000 Experten aus ganz Deutschland nach Emmerthal (Kreis Hameln-Pyrmont) kommen müssen. Wegen der erhöhten Ansteckungsgefahr hat das Land diese Form der Revision gebremst und eine neue vereinbart – es kommen lediglich bis zu 300 Mitarbeiter, und zwar verteilt über sechs statt bisher zwei Wochen. So werde das Kraftwerk zwar länger vom Netz sein, doch die Versorgungssicherheit sei gewährleistet, sagte Umweltminister Olaf Lies. Er vermutet nicht, dass Preußen-Elektra daraus Entschädigungsansprüche ableiten werde. Dies könnte ein Testfall für die Revision am AKW Lingen sein, die für Mai vorgesehen ist. Den Grünen warf Lies vor, sich in der Debatte „nicht anständig“ zu verhalten, weil sie die Corona-Krise als Argument nutzten, ihre schon lange gehegte Forderung nach vorzeitigem Komplett-Ausstieg aus der Atomkraft zu wiederholen.
Dieser Artikel erschien in Ausgabe #066.
Niklas Kleinwächter
AutorNiklas Kleinwächter

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