Drei Fraktionen loben Demonstrationen, die AfD aber beklagt eine „Hexenjagd“
Am ersten Tag der diesjährigen Sitzung des Landtags standen zwei Themen im Vordergrund: die aktuellen Proteste gegen Rechtsextremismus, die auch in Niedersachsen starken Widerhall gefunden haben, und die Hochwassersituation zum Jahreswechsel, die im Großen und Ganzen reibungslos gemanagt worden ist. Zu dieser Flut läuft derzeit noch die Schadensaufnahme, doch der Landtag hat am Mittwoch mit großer Mehrheit über einen Nachtragshaushaltsplan schon 111 Millionen Euro an Hilfen bereitgestellt.
Damit sollen Kommunen, Unternehmen und Hausbesitzer entschädigt werden, zugleich sollen weitere Investitionen in den Hochwasserschutz – etwa für höhere Deiche – verstärkt werden. Der zweite wichtige Punkt in der Plenarsitzung kreiste um die Demonstrationen, die seit Mitte Januar bundesweit Hunderttausende auf die Straße gebracht haben. Die SPD beantragte das Thema für eine aktuelle Debatte unter der Überschrift „Wir sind mehr“, die AfD tat Gleiches, nannte das Thema aber „Linker Empörungstsunami gegen die Demokratie“.
Breites Lob für Demonstrationen
Sowohl Grant Hendrik Tonne und Wiard Siebels (beide SPD), als auch Sebastian Lechner (CDU) und Anne Kura (Grüne) verteidigten die Demonstrationen gegen Rechtsextremismus. Tonne meinte, die AfD reagiere deshalb so gereizt auf diese Welle an Kundgebungen, „weil sie sich ertappt fühlt“. Das Mitte Januar bekannt gewordene Treffen von Rechtsextremisten in Potsdam, an dem auch AfD-Vertreter teilgenommen hätten, habe Ungeheuerlichkeiten offenbart – nämlich den Plan von Massendeportationen.
CDU-Chef Lechner ergänzte, die Teilnehmer der Treffen in Potsdam hätten eine „großangelegte Abschiebung“ von Menschen mit Migrationshintergrund geplant, das unterscheide sich von der Rückführung von abgelehnten Asylbewerbern ohne Bleiberecht. Kura von den Grünen sagte, die gegenwärtigen Demonstrationen seien „die größte und breiteste Bewegung in der Bundesrepublik“. Ministerpräsident Stephan Weil warf der AfD Niedersachsen vor, dass sie sich von Björn Höcke nicht deutlich genug distanziere, in Northeim sei der Thüringer gar vom AfD-Kreisverband geehrt worden.
AfD spricht von „Hexenjagd“
Der AfD-Abgeordnete Klaus Wichmann warf den Vertretern der anderen Parteien vor, sie würden „stumpfe Behauptungen“ verbreiten. Die angebliche Massendeportation sei gar nicht Gegenstand des Treffens in Potsdam gewesen. Gleichwohl distanzierte sich auch Wichmann vom Chef der Identitären Bewegung, Martin Sellner, der ein Hauptredner in Potsdam gewesen war. Die etablierten Parteien und viele Medien würden Halbwahrheiten verbreiten und damit Stimmungen erzeugen.
In Wahrheit wendeten sich die „Demonstrationen gegen Rechtsextremismus“ nur gegen die AfD, und dabei werde fälschlicherweise behauptet, die AfD sei eine rechtsextreme Partei. „Das ist sie aber nicht“, betonte Wichmann und fügte hinzu, die breite Mehrheit der Bevölkerung erkenne diesen Widerspruch.
Regierungserklärung zum Hochwasser
Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) kündigte an, dass die Helfer beim „Weihnachtshochwasser“ im Dezember und Januar mit einem „Ehrenzeichen in Form einer Bandschnalle“ ausgezeichnet werden sollen. Das Land werde auch „Dankveranstaltungen, die gerne auch Feste sein können“ unterstützen. Weil sprach sich erneut dafür aus, die Elementarversicherung für alle Hausbesitzer zur Pflicht zu machen. Er habe „kein Verständnis dafür, dass der Bundesjustizminister diese Frage schon seit vielen Monaten verschiebt und verzögert“. Was Niedersachsen angehe, sei die Planungsbeschleunigung wichtig – denn gestiegene Anforderungen im Vergaberecht, Baurecht, Verfahrensrecht und Naturschutzrecht führten zu immer längeren Verfahren.
Oppositionsführer Sebastian Lechner (CDU) lobte das Innenministerium für das Krisenmanagement während des Weihnachtshochwassers, knüpfte dann aber harsche Kritik hinzu. Auf die Novelle des Brand- und Katastrophenschutzgesetzes, das die Helfer-Freistellungsregeln einheitlich regelt, „warten wir jetzt schon sehr lange“. Mehrere konkrete Vorhaben seien derzeit blockiert. So sei die Landesregierung bisher nicht in der Lage, eine Finanzlücke von sechs Millionen Euro für ein Rückhaltebecken in Seesen-Bornhausen zu schließen. In Oldenburg-Achterdiek hätten Bäume die Sicherheit des Deiches gefährdet – aber Landesbehörden hätten nicht früh genug reagiert. In Jork (Kreis Stade) gebe es Pläne für Deicherhöhungen schon seit 2018, aber die Naturschutzbehörden stünden auf der Bremse.
In Hitzacker (Kreis Lüchow-Dannenberg) stünden schon seit zehn Jahren 43 Millionen Euro für besseren Deichschutz bereit, passiert sei wegen eines Konflikts zwischen Biosphärenreservat und NLWKN bisher noch nichts. In Sachsen-Anhalt werde viel mehr für den Deichschutz getan als in Niedersachsen, betonte Lechner – und es sei höchste Zeit, dem Hochwasserschutz Vorrang vor dem Naturschutz einzuräumen. SPD-Fraktionschef Grant Hendrik Tonne widersprach: Der CDU-Fraktionschef zeichne „ein Zerrbild“, denn tatsächlich sei schon viel geschehen – und beim aktuellen Hochwasser hätten „alle Räder gut ineinandergegriffen“.
Dieser Artikel erschien am 08.02.2024 in der Ausgabe #024.
Karrieren, Krisen & Kontroversen
Meilensteine der niedersächsischen Landespolitik
Jetzt vorbestellen