17. März 2020 · 
Inneres

Drastische Einschränkungen der Versammlungsfreiheit

Die seit gestern geltenden Auflagen für die Menschen in Niedersachsen zum Schutz vor der Corona-Infektion sind viel drastischer als noch am Montag mitgeteilt wurde. Verboten wird laut Erlass des Sozialministeriums bis zum 18. April jede Ansammlung im Freien (Richtgröße sind mehr als zehn Personen) und in geschlossenen Räumen jede private Versammlung mit mehr als 50 Teilnehmern. Zugleich werden alle öffentlichen Veranstaltungen untersagt mit Ausnahme von Sitzungen kommunaler Gremien oder Gremien des Landtags. Der Bus- und Bahnverkehr wird nicht eingeschränkt. Die Landkreise und kreisfreien Städte werden angewiesen, entsprechende Weisungen umzusetzen. In dieser Klarheit und Eindeutigkeit hatten Ministerpräsident Stephan Weil und Sozialministerin Carola Reimann am Montag die Einschränkungen noch nicht vorgestellt.

Beispiellose Einschränkung der Persönlichkeitsrechte

Derart weitreichende Beschränkungen der im Grundgesetz festgelegten Persönlichkeitsrechte hat es in der Geschichte der Bundesrepublik noch nicht gegeben. Am Dienstag tagte die Landesregierung und entschied weitere Schritte im Kampf gegen das Corona-Virus, diesmal bezogen auf die Hilfen für die von Umsatzeinbußen betroffene Wirtschaft. Wirtschaftsminister Bernd Althusmann sagte, das niedersächsische Bruttoinlandsprodukt von rund 300 Milliarden Euro drohe wegen der Corona-Krise um 3 Milliarden Euro zurückzugehen. Eine Reihe von Hilfsmaßnahmen wird in die Wege geleitet: Nachtragshaushalt: Der Nachtragsetat des Landes soll zunächst – wie bisher geplant – 400 Millionen Euro für Schutzkleidung und medizinisches Material enthalten. Dazu kommen noch mal eine Milliarde Euro für gezielte Hilfen, die kleinen und mittleren Unternehmen zugutekommen sollen. Zu diesem Zweck will die Regierung eine Ausnahmebestimmung der Schuldenbremse in der Landesverfassung nutzen, dass nämlich in Notsituationen (mit Zustimmung einer Zweidrittelmehrheit des Landtags) doch neue Kredite aufgenommen werden sollen. Dies soll in Höhe von einer Milliarde Euro geschehen. Hinzu wird noch der Bürgschaftsrahmen des Landes (bisher 2 Milliarden Euro) auf 3 Milliarden Euro erhöht. Genutzt wird dazu zunächst das Sondervermögen für die Hochschul-Medizin, das später dann wieder aufgestockt werden soll. Wegen des Baustillstands bei der UMG wird hier zunächst sowieso ein Teil nicht fällig. Der Nachtragshaushalt enthält Pauschalsummen, die vom Finanzminister verwaltet werden sollen. Wegen der Dringlichkeit war es nicht möglich, die Positionen titelscharf für einzelne Bereiche zu bestimmen, betonte Althusmann.
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Klimaschutz: Der Jahresabschluss 2019, der ein Plus von mehr als einer Milliarde Euro verzeichnen dürfte und Anfang April feststehen wird, soll später 400 Millionen Euro zur Corona-Krisenbekämpfung beisteuern. Bisher war hier ein Schwerpunkt beim Klimaschutz vorgesehen. Finanzminister Reinhold Hilbers sagte, derzeit sei „alles offen“. Wegen der aktuellen Krise wage er keine Vorhersagen darüber, wieviel Geld für welche Zwecke ausgegeben werden soll. Die Grünen forderten gestern, an einem Klimaschutzprogramm müsse in jedem Fall festgehalten werden. Unternehmenshilfen: Althusmann betonte, kleine und mittlere Unternehmen, die wegen der Corona-Krise in Schieflagen geraten, sollten über das Hilfsprogramm gestützt werden. Kreditangebote der N-Bank richteten sich an Firmen mit bis zu 10 und Firmen mit bis zu 49 Beschäftigten, auch Startups solle geholfen werden. Der Bund ergänze das mit dem Kurzarbeitergeld, der Steuerstundung und Hilfen für größere Unternehmen (etwa VW und TUI). Selbständige könnten auch Verdienstausfall geltend machen. Vier Mitarbeiter im niedersächsischen Wirtschaftsministerium widmen sich an einer Hotline den Sorgen der Firmen. Landtagssitzung im Krisenmodus: Nach jetzigem Plan soll der Landtag nächste Woche den Nachtragsetat verabschieden. Eine Zweidrittelmehrheit ist laut Verfassung nötig, um den Ausnahmetatbestand der Schuldenbremse wirksam werden zu lassen. Da von jeder größeren Versammlung eine Ansteckungsgefahr ausgeht, wird nun diskutiert, ob die Fraktionen in reduziertem Umfang antreten, die Staatssekretäre und Mitarbeiter weggeschickt werden und damit ein kleinerer Kreis von Abgeordneten zusammenkommt. Diesen Weg sieht die Verfassung jedoch gar nicht vor, sie erwähnt in Artikel 44 vielmehr, dass in solchen Situationen die Landesregierung eine Verordnung erlässt, die vom Ältestenrat des Landtags abgesegnet werden muss. Später, wenn die Krise vorüber ist, müsste der Landtag über die Verordnung abstimmen. Bisher ist in den Fraktionen keine Bereitschaft zur Inanspruchnahme dieses Verfassungsartikels erkennbar. Alles andere indes sieht die Verfassung für diesen speziellen Fall einer Infektionsgefahr gar nicht vor.
Dieser Artikel erschien in Ausgabe #053.
Niklas Kleinwächter
AutorNiklas Kleinwächter

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