Die Absage kam schriftlich  – und sie wurde über die Nachrichten verbreitet. Passend zum Beginn des Bundesparteitags der Linken an diesem Wochenende in Hannover platzierte Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil per Zeitungsinterview eine deutliche Meinungsäußerung: Ein Bündnis von SPD, Grünen und Linken auf Bundesebene halte er „nicht für eine realistische Option“ und „auch nicht für erstrebenswert“. Die Kluft zwischen SPD und Linken sei einfach zu tief. Dazu passt noch ein anderes Bild. Zum Auftakt dieses Bundesdelegiertentreffens in der Kongresshalle, immerhin der stärksten Oppositionspartei im Bund, hatte der sozialdemokratische Oberbürgermeister Stefan Schostok kein Grußwort gehalten. Ein Affront gegen die Linken? Oder hatte die Partei Schostok gar nicht formell eingeladen, wie es nötig gewesen wäre? Bis Sonntag ließ sich das nicht klären. Die Nachricht von Schostoks Fehlen heizte jedenfalls auf den langen Fluren des Tagungszentrums die Spekulationen kräftig an. Sucht die SPD derzeit besonders sichtbar die Distanz zur Linkspartei?

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Tatsächlich erleben die Anhänger von Rot-Rot-Grün an diesem Wochenende in Hannover erst einmal eine Ernüchterung. Die Vorsitzenden Bernd Riexinger und Katja Kipping werfen dem SPD-Kanzlerkandidaten Martin Schulz Versagen vor, das Linken-Urgestein Gregor Gysi meint, dass die SPD dabei sei, eine Bündnisperspektive „zu vedaddeln“, und die Spitzenkandidaten Dietmar Bartsch und Sahra Wagenknecht schimpfen auch auf die SPD. „Es reicht nicht, den Zugführer auszuwechseln. Der Zug der SPD muss in eine andere Richtung fahren“, meint Bartsch. „Einen deutschen Jeremy Corbyn würde die Linke gern zum Kanzler wählen. Es steht nur leider nicht in unserer Macht, aus Martin Schulz einen deutschen Jeremy Corbyn zu machen“, meint Wagenknecht. Derzeit nehme aber „kein normaler Mensch dem Martin Schulz noch ab, dass er für einen Politikwechsel steht“. Wie sind diese Signale zu verstehen? „Für Rot-Rot-Grün im Bund steht es schlecht, weil die SPD auf keinen Fall einen Lagerwahlkampf führen will“, meint Victor Perli aus Wolfenbüttel, Platz vier der niedersächsischen Landesliste für die Bundestagswahl. Trotzdem: Die niedersächsischen Linken-Politiker, die als Gastgeber dieses Bundesparteitags auftreten, wirken keinesfalls enttäuscht und resigniert, auch nicht diejenigen, die von einer Perspektive auf Regierungsbeteiligung träumen.

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Hans-Henning Adler aus Oldenburg, neben Anja Stoeck aus Winsen/Luhe der Spitzenkandidat der Linken für die Landtagswahl, sieht in der SPD eine diffuse Stimmung. „Viele in der Landespartei würden sich viel lieber uns annähern als der FDP“, sagt er und schreibt beispielsweise dem Oldenburger Oberbürgermeister Jürgen Krogmann diese Position zu. Auf jeden Fall sehe er eine realistische Chance auf ein rot-rot-grünes Bündnis nach der niedersächsischen Landtagswahl am 14. Januar 2018: „Nehmen wir an, im Bund gibt es wieder eine Große Koalition mit der SPD als Juniorpartner, oder auch ein schwarz-gelbes Bündnis. Dann wird die SPD eher nach links rücken – und eine Kooperation mit uns wird wahrscheinlicher“, betont Adler. Immerhin: Als er und Stoeck zu den Spitzenkandidaten ihrer Partei für die Landtagswahl gewählt wurden, bekamen beide Glückwünsche auch von SPD und Grünen, sagen sie. „Die ersten SMS kamen von Politikern dieser beiden, früher noch als von eigenen Genossen“, meint Stoeck.

Aber liegen da nicht viele schwere Brocken auf dem Weg in Richtung Rot-Rot-Grün? Deutlich wird auf dem Bundesparteitag, wie weit große Teile der Partei beispielsweise vom außenpolitischen Grundkonsens in Deutschland entfernt sind. Vor allem die im Westen, auch in Niedersachsen starke „antikapitalistische Linke“ (AKL) verlangt den sofortigen und bedingungslosen Austritt aus der Nato, sieht Deutschland im westlichen Bündnis schlecht aufgehoben und nennt die Nato „ein aggressives Kriegsbündnis“ (so die Bundestagsabgeordnete Inge Höger). Als eine Kommunistin aus Afghanistan ans Rednerpult tritt und erklärt, die USA hätten das größte Interesse am Terrorismus in ihrem Land, weil sie Asien schwächen wollten, erheben sich die Delegierten und skandieren: „Hoch – die – internationale – Solidarität!“ Ist die Linke also auf radikalem Linkskurs? Nach der Landtagswahl, meint Niedersachsen-Spitzenkandidat Adler, spielten all diese Fragen sicher keine Rolle: „Über die Außenpolitik und die Bundeswehrstandorte wird nun mal nicht im Landtag entschieden, über die Grundlagen der Verteilung von Armut und Reichtum und über die Steuerpolitik auch nicht.“

Doch mit der „antikapitalistischen Linken“, deren Stärke manche auf ein Viertel der Mitgliedschaft schätzen, muss auch der Linken-Landesverband rechnen, das wurde schon beim Beschluss über das Landtagswahlprogramm Ende Mai deutlich. Diese Gruppierung steht einer Regierungsbeteiligung mit deutlicher Skepsis, teilweise gar mit offener Ablehnung gegenüber, und weil die Vertreter der AKL auf Landesparteitagen sehr rege und aktiv sind, könnten sie manchen Plan von Adler und Stoeck torpedieren. Umgekehrt kann auch das Wirken der AKL denjenigen Kräften bei SPD und Linken Rückenwind geben, die die Linkspartei für einen unsicheren Kantonisten und damit nicht für koalitionstauglich halten. Immerhin gibt es in der Vergangenheit dieser Gruppierung auch einige unschöne Erlebnisse. So ist ein AKL-Wortführer der Göttinger Heino Berg, und es hatte über ihn schon Versuche der sogenannten „Sozialistischen Alternative“ (SAV) gegeben, die AKL und damit die Linkspartei in Niedersachsen zu unterwandern. Geglückt war das nicht, aber immerhin bleibt die trotzkistische SAV in der Linkspartei präsent. Im Vorraum des Bundesparteitags hat sie einen Stand aufgebaut. Ihr Motto lautet: „Ideen für den Widerstand“. (kw)