wenn Sie einen Begriff wie „Utilitarismus“ einmal in der Landespressekonferenz hören wollen, dann müssen Sie schon warten, bis Bischof Ralf Meister einmal vorbeischaut. Der eine oder andere erinnert sich: Während Kant einen ständig kategorisch mit seinem Hang zur Pflichterfüllung nervt, sind die Utilitaristen viel angenehmer, weil es hier generell darum geht, welche Entscheidung allen den größten Nutzen oder auch das größte Glück bringt.
In der Corona-Krise gerät der Utilitarismus unglücklicherweise an seine Grenzen. Das Zitat von Bischof Meister aus der Landespressekonferenz von gestern:
Wenn das Ziel ist, dass ich möglichst viel Nutzen für möglichst viele Menschen in diesem Land garantieren will, dann kann ich mit einer gewissen Gelassenheit argumentieren, dass ich ein Prozent der Bevölkerung in den Pflegeheimen nicht so wichtig nehmen muss. Gegen eine solchen Diskurs stellen wir uns einmütig und in aller Schärfe.
Wir: Das ist in dem Fall ein Bündnis aus Kirche, Ärzteschaft und Politik, das sich zusammengefunden hat und für einen Ethik-Rat auf Landesebene eintritt (mehr dazu hier). Und an wen denken Sie beim oben gelesenen Zitat? Klar, Tübingens OB-Boris Palmer. Für seine Aussage, man rette gerade Menschen, „die in einem Jahr eh tot wären“, hätte John Stuart Mill, Philosoph und 1822 Mitgründer der Utilitaristische Gesellschaft in London, schon die passende Antwort parat gehabt: „Die Nützlichkeit einer Meinung ist selbst Meinungssache.“
Was Bischof Meister und Ärztekammer-Präsidentin Martina Wenker gestern zu Palmers geistigem Totalausfall einfiel, hören Sie hier:
https://www.youtube.com/watch?v=ogkbXhhmoPA„Hat es je eine Herrschaft gegeben, die den Herrschenden nicht natürlich erschien?“, hat ebenfalls Mill gefragt, und wenn die Sache mit dem Herrschen so natürlich ist, kann man auf Wahlen natürlich auch mal verzichten. Zum Beispiel in der hübschen Kleinstadt Uslar am Rande des Sollings.
Während in der Samtgemeinde Grasleben und im Flecken Ottersberg die Bürgermeister am Wochenende per Briefwahl gewählt wurden, hat der Kreis Northeim die für den 7. Juni geplante Wahl in Uslar erst einmal abgesagt. Sie wissen schon: Infektionsschutz und so. Aber geht das eigentlich so einfach per Allgemeinverfügung? Und ist das für den aktuellen Bürgermeister nun eigentlich ein Vor- oder Nachteil? Die Antworten sind so vielfältig wieder Utilitarismus – mehr dazu heute bei uns (leider nur für Abonnenten - kostenloses Probe-Abo hier).
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Wenn Mill sagte, dass ein Mann mit einer Überzeugung stärker ist als 99 Leute mit Interessen, dann sind zwei Männer mit zwei Überzeugungen stärker als 198 Leute mit Interessen. Keine schlechte Ausgangsposition für meinen Kollegen Klaus Wallbaum und mich. Im Pro & Contra befassen wir uns heute mit Hubertus Heils Gesetzesidee zum Recht auf Home-Office. Ganz nebenbei: Beide Texte wurden hier in den Rundblick-Redaktion geschrieben.
Dieser Donnerstag wird übrigens nicht so spannend, wie Sie vielleicht denken. Um 14 Uhr telefonieren sich zwar heute wieder Kanzlerin und Ministerpräsidenten zusammen, viel entschieden wird dabei aber voraussichtlich nicht. Vermutlich sind alle schon damit beschäftigt, ihr langes Wochenende zu planen. Sie werden also nichts verpassen, wenn Sie am 1. Mai keinen Rundblick in Ihrem Mail-Posteingang finden. Und falls doch etwas Spannendes passiert: Es gibt ja dieses nützliche Internet.
Prosa ist das geschrieben, wo alle Zeilen bis zum Rand laufen - Poesie ist, wo einige Zeilen noch vor dem Rand aufhören
So hat es der Utilitarist Jeremy Bentham gesagt. In welche Kategorie diese TagesKolumne gehört, überlasse ich Ihnen. Vielleicht ist es ja auch einfach nur, um ebenfalls mit Bentham zu sprechen „Unsinn auf Stelzen“.
Ich wünsche Ihnen einen glücklichen Wochenausklang
Martin Brüning