Eigentlich verdienen die Politiker ein dickes Lob, die sich endlich herantrauen an eine kommunale Neuordnung. Denn die Gebietsstrukturen in Niedersachsen passen schon seit vielen Jahren nicht mehr zueinander. Hier ist die Region Hannover mit einer Million Einwohner – dort der Landkreis Lüchow-Dannenberg mit 49.000. Und im Großraum Braunschweig tummeln sich gleich sieben Einheiten in gegenseitiger Konkurrenz – die Kreise Helmstedt, Gifhorn, Wolfenbüttel und Peine und die Städte Salzgitter, Braunschweig und Wolfsburg. Gerade für diesen Raum Braunschweig haben SPD und Grüne schon vor geraumer einen Reformplan vorgelegt, der nächstes Jahr vermutlich im Plenum verabschiedet werden soll. Doch bringt er wirklich eine Verbesserung – oder verschlimmert er im Gegenteil die Missstände?
Vorgesehen ist, dass der Zweckverband für Braunschweig, der das Braunschweiger Land umfasst und bisher nur ein loser Verbund für den Nahverkehr und die Regionalplanung ist, von 2021 an kräftig gestärkt wird. Er soll weitere Zuständigkeiten erhalten, etwa Hochwasserschutz und Tourismus, die anderen Ebenen sollen aber nicht zugleich Kompetenzen abgeben. Vor allem soll der Zweckverband eine vom Volk gewählte Verbandsversammlung bekommen. Das heißt: Der Großraumverband hat künftig in der Region Gewicht – und Wohlmeinende hoffen, er werde dieses dann ordnend und steuernd einsetzen. Dies setzt allerdings bei allen Beteiligten viel guten Willen voraus. Auf horizontaler Ebene müssten die Landräte und Oberbürgermeister, ihre Kreistage und Räte ehrfurchtsvoll einsehen, dass ja jetzt ein neuer Großraumverband besteht und entscheiden will. Auf vertikaler Ebene gilt das auch: Da ist zunächst die Gemeinde mit dem Gemeinderat, oft dann noch darüber die Samtgemeinde, dann kommt der Landkreis mit dem Kreistag und ganz zum Schluss noch als Sahnehäubchen ein Großraumverband mit Verbandsversammlung. Ein Landesbeauftragter für Braunschweig, der koordinierend wirken soll, ist zusätzlich noch auf dem Parkett, und ganz oben sind noch der Bund und die EU. Einige Beobachter sprechen hinter vorgehaltener Hand schon von einer pausenlosen Konkurrenz der verschiedenen Ebenen. Ob das am Ende zur gedeihlichen Weiterentwicklung der Region führt, darf bezweifelt werden.
In Hannover gab es das auch schon mal: Über den Räten der 20 Städte und Gemeinden im Landkreis noch den Kreistag, daneben den Rat der Landeshauptstadt und als Zwischengremium den Großraumverband, der zunächst auch eine direkt gewählte Versammlung hatte. Als die Akteure das ewige Gerangel um Kompetenzen und Machtfragen und das Imponiergehabe satt hatten, wurde erst die Direktwahl der Großraumversammlung gestrichen, später dann der Großraum selbst – und Landeshauptstadt und Landkreis mussten zur Region verschmelzen. Die ungesunde Vielfalt an Gremien und Vertretungen wurde zugunsten einer einfachen, klar gegliederten Verwaltung reformiert. Die Väter des jetzigen Braunschweiger Reformplans sind drauf und dran, die Fehler aus Hannover zu wiederholen. Nur den Jüngeren von ihnen ist es nachzusehen, weil sie die früheren Abläufe in Hannover nicht kennen. Die Erfahrenen machen den Irrsinn wider besseres Wissen.
Warum geschieht das überhaupt? Den Druck, in der Region Braunschweig etwas neu zu ordnen, gibt es seit vielen Jahren. Der frühere Oberbürgermeister Gert Hoffmann hatte sich immer wieder mit Fusionsgedanken vorgewagt – und auch die Braunschweiger Größen in der SPD um den früheren Ministerpräsidenten Gerhard Glogowski, SPD-Bezirkschef Hubertus Heil und Innen-Staatssekretär Stephan Manke wollten Änderungen. Vielleicht hat sie auf halbem Wege der Mut verlassen, oder sie fürchteten, mit einer richtigen Reform eine Initialzündung für eine landesweite Kreisreform zu geben. Vielleicht hatten auch die Rufe nach mehr Direktwahlen, ausgehend von den Grünen, den Ausschlag gegeben.
Herausgekommen ist nun ein Plan, der vermutlich nicht helfen, sondern Chaos stiften wird. Und solange Rot-Grün verbissen an dieser Idee einer Großraum-Aufwertung festhält, ist der Weg zu einer echten Reform blockiert. Man könnte doch, um Braunschweig und Wolfsburg herum, die Kreise Gifhorn und Peine zu einem Nord-Kreis verschmelzen und Helmstedt, Wolfenbüttel und Salzgitter zu einem Süd-Kreis. Das wäre sinnvoll – doch im Landtag will derzeit niemand etwas von solchen Ideen hören. Da wird immer noch die Angst vor einer Gebietsreform spürbar, die irrational ist und jene vernünftige Gestaltung verhindert. Stattdessen denkt man sich lieber komplizierte, unpraktikable Modelle aus, deren Dürftigkeit jedem, der sich näher mit Verwaltung auskennt, sofort einleuchtet. So ist das, wenn man ganz viele Interessen unter einen Hut bringen – und vor allem zeigen will, dass man überhaupt etwas getan hat. Vorausschauende Politik sieht allerdings ganz anders aus. Vielleicht haben wir ja noch Glück – und der Plan verschwindet still in der Schublade der Koalition. Zu wünschen wäre es jedenfalls. (kw)Dieser Artikel erschien in Ausgabe #223.