Das momentan segensreiche Wirken der Europaministerin Birgit Honé
Darum geht es: Noch knapp drei Wochen haben britische und europäische Unterhändler Zeit, ein Abkommen für die Zeit nach dem Austritt Großbritanniens aus der Europäischen Union vorzulegen. Andernfalls könnte im kommenden März ein „Brexit“ ohne jegliche Vereinbarungen geschehen. Niedersachsen bereitet sich auf einen solchen Fall schon vor. Ein Kommentar von Isabel Christian.
Die Wahl von Donald Trump zum US-Präsidenten vor knapp zwei Jahren hat wohl am eindrücklichsten gezeigt, dass die Gesellschaft einen Punkt erreicht hat, an dem Emotionen überzeugender wirken können als Argumente. Genauso wenig, wie man sich im Sommer 2016 nicht hatte vorstellen können, dass Trump vier Monate später tatsächlich US-Präsident wird, so hat nach dem Referendum in Großbritannien sicher auch kaum jemand daran gedacht, dass das Vereinigte Königreich 2019 ohne vertragliches Sicherheitsnetz aus der EU ausscheiden könne. Doch ein halbes Jahr vor dem Stichtag zum „Brexit“ scheint ein harter Austritt nicht nur weiterhin möglich, er scheint sogar wahrscheinlich. Nun mag man sagen, wenn sie lieber gar keinen Vertrag mit der EU haben als einen schlechten, dann solle man die Briten doch in ihr Unglück rennen lassen. Doch so einfach ist das nicht. Denn der harte „Brexit“ hat auch tiefgreifende Folgen für die EU, Deutschland und Niedersachsen.
Für das niedersächsische Europaministerium ist der näher rückende „Brexit“ ein kleiner Glücksfall. Denn seit seiner Einrichtung haftet dem Ministerium der Ruf an, eigentlich überflüssig zu sein. Außer der Bündelung von repräsentativen Aufgaben könne die Behörde nicht viel bewegen. Im Bund nicht und auf EU-Ebene schon gar nicht. Schließlich ist Niedersachsen dort nur eine von mehreren Hundert Regionen. Doch durch ihr Engagement für Niedersachsen beim „Brexit“ zeigt Ministerin Birgit Honé jetzt, dass sie sich voll und ganz auf das Thema konzentrieren kann – und damit auch für den nötigen Informationsfluss sorgt. Wie in der EU und im Bund auch arbeitet das Europaministerium zurzeit an einer Art „Notfallplan“. Regelungen, die dann in Kraft treten, wenn alles EU-Recht vor der Küste von Dover endet. Das betrifft in erster Linie die Wirtschaft. Auch wenn sich Unternehmen darauf vorbereiten, ihre Im- und Exportgeschäfte mit Großbritannien bereits nach unten schrauben, so wird Großbritannien dennoch ein wichtiger Handelspartner bleiben. Und wenn am 30. März 2019, einen Tag nach dem Brexit, die britischen Lastwagenfahrer am Hafen von Portsmouth stehen, um ihre Fracht nach Niedersachsen zu bringen, so muss dieser Fall so gut wie möglich vorbereitet sein. Wenn ein Passagierflugzeug am gleichen Tag in Hannover abhebt, um nach London zu fliegen, muss sicher sein, dass es dort auch landen kann. Auch die Verwaltung ist von einem harten „Brexit“ betroffen. Das Europaministerium hat eine Abfrage bei den anderen Ministerien gemacht, welche Bereiche inwieweit vom „Brexit“ betroffen wären. Das Ergebnis listet mehr als 240 Fälle auf. Darunter sind auch drängende Fragen: Briten, die als Beamte in Niedersachsen arbeiten, stünden ohne Gesetzesänderung am Tag nach dem „Brexit“ vor riesigen arbeitsrechtlichen Schwierigkeiten.
Nun spielt sich das Aushandeln dieser „Notfallpläne“ in erster Linie auf Bundes- und Europaebene ab, das meiste betrifft schließlich nicht nur Niedersachsen. Doch es ist ein Gewinn, wenn eine Behörde die Kapazitäten und das Netzwerk hat, Niedersachsen in diesem Prozess hör- und sichtbar zu vertreten. Sie kann auf Spezifika hinweisen und für die umfassenderen Fälle Lösungen vorschlagen, die im niedersächsischen Sinne sind. Honé vermittelt auf jeden Fall den Eindruck, dass sie diese Möglichkeit der Einflussnahme nutzt, wodurch Niedersachsen im Ländervergleich durchaus als Aktivposten erscheint. Dadurch steigt zum einen die Chance, dass Niedersachsen nach einem harten „Brexit“ keine unangenehme Überraschung erlebt, zum anderen profiliert sich das Ministerium als Ansprechpartner für europapolitische Belange. Man kann die Notfallpläne aus dem Haus Honé als Panikmache bezeichnen, als Übervorsicht. Doch Donald Trump, die momentane Instabilität der EU und die aktuellen Krisenherde in der Welt sollten uns gelehrt haben, dass im sogenannten „postfaktischen Zeitalter“ vieles vorher Unvorstellbare möglich ist, auch ein harter Brexit. Und dem unvorbereitet zu begegnen, wäre die schlechteste aller Möglichkeiten.
Mail an die Autorin dieses KommentarsDieser Artikel erschien in Ausgabe #173.