„Da wird der Rechtsstaat mit dem Losverfahren gebogen“
„Feigling, Feigling“, rufen die etwa 1000 Demonstranten zwischen Landtagseingang und Marktkirche. Es ist nicht die erste Demonstration vor dem Landtag aber vermutlich eine der lautesten. In Niedersachsen gilt demnächst ein Mindestabstand von 100 Metern zwischen jeder Spielhalle. Die Kommunen sollen durch Losverfahren bestimmen, welche Spielhalle geschlossen werden muss. So macht es kein anderes Bundesland. Betroffen sind davon in Niedersachsen bis zu 3500 Mitarbeiter. „Es geht um unsere Ärsche!“, schallt es von der Bühne. Die Mitarbeiter fühlen sich von den Regierungsparteien SPD und Grüne im Stich gelassen.
„Die Situation ist heiß, eigentlich sind wir schon verbrannt“, sagt Heinz Basse, Vorsitzender der Automatenwirtschaft in Niedersachsen, im Gespräch mit dem Rundblick am Rande der Demonstration. Die Chancen, dass betroffene Spielhallen in mehreren Wochen doch nicht schließen müssen, hält er inzwischen eher für gering. Dabei werde die neue Regelung den Spielsüchtigen überhaupt nichts bringen, meint Basse.
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„Es ist nicht einem Spielsüchtigen geholfen, wenn man ihm 100 weitere Meter auferlegt. Eine Unterstützung geht nur durch Hilfe. Eine Reduzierung der Spielhallen bringt gar nichts“, sagt der Verbandsvorsitzende und hält die unterschiedlichen Regelungen in den Bundesländern für geradezu grotesk. „In einem Bundesland braucht ein Spieler offenbar hundert Meter, um einen klaren Kopf zu bekommen, im anderen Land sind es 500 Meter.“
„Wir fühlen uns wie Menschen zweiter Klasse“, sagen viele Demonstranten vor dem Landtag. Der Wirtschaftsminister bemühe sich zwar um den Homann-Standort in Dissen, was völlig richtig sei. Aber er vergesse die Mitarbeiter in den Spielhallen, die vor der Arbeitslosigkeit stünden. „Man hat den Eindruck, dass es Arbeitsplätze erster und zweiter Klasse gibt“, meint auch der FDP-Fraktionsvorsitzende Christian Dürr. „Hier geht es ja nicht um Unternehmen, die nicht mehr erfolgreich sind, wo der Markt manchmal auch hart sein kann. Hier sind die Arbeitsplätze nicht wirtschaftlich, sondern politisch in Gefahr.“
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Dürr fordert deshalb den Ministerpräsidenten dazu auf einzugreifen. „Menschlich und sozial unerträglich“ sei das Vorgehen von SPD und Grünen. „Da wird der Rechtsstaat mit dem Losverfahren gebogen. Die Betroffenen werden aus scheinbar moralischen Gründen an die Seite gedrängt.“ In Wahrheit passiere beim Spielerschutz aber gar nichts. Das Spiel werde einfach in den Graumarkt verdrängt.
Während draußen noch die Demonstranten stehen, bringt Dürr das Thema gleich zu Beginn der Landtagssitzung auf die Tagesordnung. Draußen bei der Demonstration hatten keine Politiker von SPD und Grünen das Mikrofon ergriffen, im Landtag aber geht Wirtschaftsminister Olaf Lies ans Rednerpult und verweist auf entsprechende Regelungen im Glücksspielstaatsvertrag. Der sehe nun einmal vor, das Suchtpotenzial weiter zu reduzieren. „Das Los ist am objektivsten, auch wenn es oft nicht fair ist. Ich gebe allerdings zu, dass es bei Spielhallen etwas ungewöhnlich ist“, meint Lies. Der Minister betont, dass die Spielhallen-Mitarbeiter selbstverständlich die gleiche Wertschätzung erführen wie Mitarbeiter anderer Branchen. Es habe aber schließlich auch eine fünfjährige Übergangszeit gegeben. Daran erinnert auch die Wirtschaftsexpertin der Grünen, Maaret Westphely. Der Ärger der Mitarbeiter vor der Tür richte sich deshalb genauso gegen die Arbeitgeber und deren Verantwortung. Auch sie hätten schließlich fünf Jahre Zeit gehabt.
Der SPD-Politiker Ulrich Watermann steht „objektiv besseren Vorschlägen“ offen gegenüber. Schließlich gebe es noch eine Anhörung, bei der diese Vorschläge eingebracht werden könnten. Zynisch, nennt das Christian Dürr. Die Anhörung erfolge am 10. August, aber die Schließungsverfügung komme schon zum 30. Juni. Die CDU-Politikerin Angelika Jahns nennt das Losverfahren „Hohn gegenüber den Arbeitnehmern“. „Nehmen Sie sich ein Herz und ein Beispiel an anderen Bundesländern“, appelliert sie an den Ministerpräsidenten.
Knapp 25 Minuten dauert die Debatte im Landtag. Die Demonstranten vor der Tür sind wieder gegangen, die kleine Bühne schon abgebaut. Nächster Tagesordnungspunkt: die Regierungserklärung des Ministerpräsidenten zu „Haushaltskonsolidierung und Pflege des öffentlichen Vermögen“. (MB.)