„Es ist besser, CO2 im Boden zu haben als in der Atmosphäre“: Beim Nordsee-Kongress auf der Hannover-Messe findet Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck klare Worte zur CO2-Speicherung unter dem Meer. Der Grünen-Politiker berichtet von einem Meinungswechsel innerhalb der Bundesregierung, die dem „Carbon Capture and Storage“ (CCS) bis vor Kurzem noch skeptisch gegenüberstand. „Aber das haben wir überwunden“, sagte Habeck. Die jahrelangen Erfahrungen aus Norwegen hätten gezeigt, dass die Technologie sicher sei. Bereits im Mai könnte das neue Gesetz, das CCS auch auf deutschem Meeresboden erlaubt, zur Beschlussfassung kommen.

Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck spricht beim Nordsee-Kongress auf der Hannover-Messe. | Foto: Deutsche Messe AG | Redner: Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck

Trotz dieser Ankündigung hält sich die Aufbruchstimmung in der Industrie in Grenzen. „Dass CSS überhaupt so stark diskutiert wird, ist schon einmal ein Fortschritt“, freute sich Kathrin Dufour von Wintershall-Dea. Die Carbon-Management-Chefin von Europas größtem unabhängigen Erdgas- und Erdölproduzenten vermisst aber weiterhin eine Wertschöpfungskette für die CO2-Einlagerung. „Ich denke, dass es mehr als genug Nachfrage dafür gibt“, sagte Dufour. Die deutschen Kohlendioxid-Emittenten müssten aber noch an die Hand genommen werden, bevor sich hier ein lukratives Geschäftsmodell aufbauen lässt.

In Norwegen ist die Industrie zwar schon viele weiter, aber auch noch nicht am Ziel. „Wir in Norwegen speichern CO2 zuverlässig und sicher seit 1996“, berichtete Irene Rummelhoff vom norwegischen Staatskonzern Equinor. Geld verdienen können die Norweger mit der Kohlendioxid-Einlagerung aber bislang nicht. Zusammen mit Total-Energies und Shell bereitet Equinor derzeit das erste CCS-Projekt für die Privatwirtschaft vor: 2600 Meter unter der Nordsee wollen die drei Öl- und Gasmultis unter dem Projektnamen „Northern Lights“ bis 2030 mehr als 10 Millionen Tonnen CO2 einlagern, die mit Schiffen zum Lagerort in der Nähe der Shetlandinseln transportiert werden. „Als wir die Investmententscheidung getroffen haben, hatten wir noch keinen einzigen Kunden. Jetzt sind wir ausgebucht“, sagte Rummelhoff. Mehr als ein Leuchtturmprojekt ist das allerdings zunächst nicht. „Wenn wir Europa dekarbonisieren wollen, brauchen wir das alles im großen Maßstab“, betonte Svein-Erik Losnegard vom norwegischen Gasleitungsbetreiber Gassco. Er sprach von CO2-Speicherkapazitäten von 40 bis 60 Millionen Tonnen – pro Jahr.

„Northern Lights“ heißt das erste kommerzielle CCS-Projekt in der Nordsee. Das Kohlendioxid soll per Schiff zu einem Terminal in West-Norwegen gebracht werden, von wo aus das CO2 per Pipeline zum Speicherort gebracht und unter dem Meeresboden gespeichert wird. | Grafik: Northern Lights

Gassco betreibt ein Leitungsnetz von 8600 Kilometern Länge und liefert damit jährlich 100 Milliarden Kubikmeter Erdgas an andere europäische Staaten. Ein Großteil des Gases kommt über die Gaspipelines in Emden und Dornum (Kreis Aurich) an. „Bei der CO2-Speicherung sind Pipelines ebenfalls kosteneffizienter als der Transport mit dem Schiff“, sagte Losnegard. Die Investitionen in die dazugehörige Infrastruktur könne man allerdings nicht ins Blaue hinaus tätigen. Die ganze Wertschöpfungskette müsse auf den Pipeline-Transport ausgerichtet werden und es seien große Volumen-Zusagen aus der Industrie nötig. Sobald diese Voraussetzungen stimmen, stehe dem raschen Wachstum einer CCS-Dienstleistungsbranche nichts mehr im Weg. „Das Speicherpotenzial ist riesig“, versicherte Losnegard, der bei Gassco für den Aufbau neuer Geschäftsfelder zuständig ist.

In West-Norwegen entsteht eine Anlage, um CO2 tief unter dem Meeresboden einzuspeisen und zu lagern. | Foto: Northern Lights

Während es bei der CO2-Speicherung offenbar endlich vorangeht, gerät eines der Zugpferde der Energiewende ins Straucheln: „Offshore-Wind erlebt seine erste Krise“, sagte Equinor-Managerin Rummelhoff. Der Bau von Windrädern in der Nordsee drohe, aufgrund von hohen Kosten ins Stocken zu geraten. „In der Nordsee gibt es viel Potenzial für Windstrom. Unsere Sorge ist aber, dass es dafür keinen Markt gibt“, bestätigte Ove Petersen, CEO von GP Joule. Diese Warnung sollte aufhorchen lassen, denn das nordfriesische Unternehmen gehört sicher nicht zu den Bedenkenträgern der Energiewende, sondern zu den bundesweiten Vorreitern in den Bereichen Wind- und Solarenergie sowie Wasserstoff. Petersen warnte davor, dass hohe Anschlusskosten die Offshore-Windenergie unattraktiv machen. Rummelhoff wies zudem auf die Gefahr von Strom-Überangeboten zu gewissen Zeiten hin, die zu negativen Strompreisen für Offshore-Wind führen können. „Je mehr Erneuerbare Energie man ins System hineinsteckt, umso mehr Volatilität kommt heraus“, sagte die Energiemanagerin, die auch im Airbus-Aufsichtsrat sitzt. Um die Investitionen in Windkraft voranzutreiben, sei eine Umstrukturierung des Strommarktes nötig, betonte Rummelhoff.

Zuversichtlich zeigte sich dagegen Jürgen Tzschoppe, der beim staatlichen norwegischen Energiekonzern Statkraft für neue Energielösungen zuständig ist. „Wind wird billiger sein als fossile Brennstoffe – unabhängig von der CO2-Besteuerung“, sagte der Tzschoppe, der Elektrotechnik an der Universität Aachen studiert hat. Um negative Strompreise zu verhindern, gebe es verschiedene Lösungsansätze, die nur umgesetzt werden müssten. Sorgen macht er sich vielmehr darum, dass der Offshore-Ausbau aufgrund von Umweltschutzbedenken ausgebremst werden könnte. „Das müssen wir frühzeitig adressieren, um nicht auf Hürden zu stoßen“, sagte er. Laut GP-Joule-CEO Petersen sind die Akzeptanzprobleme für Windanlagen immer die gleichen – egal ob an Land oder auf See. Der Unterschied bestehe aber darin, dass man sich beim Onshore-Wind mit weitaus mehr Stakeholdern auseinandersetzen müsse. „Wir müssen das Bewusstsein dafür schaffen, wie dringend wir die Klimaziele erreichen müssen. Das erhöht die Akzeptanz“, sagte Petersen.

Diskutieren über das Potenzial von Erneuerbaren Energien in der Nordsee und den Anrainerstaaten (von links): Jürgen Tzschoppe, Ove Petersen, Irene Rummelhoff, Christoph von dem Bussche und Moderatorin Hanna Schrage aus dem niedersächsischen Wirtschaftsministerium. | Foto: Link


Beim Zukunftsthema Wasserstoff steht ebenfalls nicht alles zum Besten. „Die Definition von ‚grünem Wasserstoff‘ ist so anspruchsvoll, dass man fast keine Chance hat, damit wettbewerbsfähig zu sein“, beklagte Petersen. Es sei derzeit äußerst schwierig, einen Business-Case mit klimaneutralem Wasserstoff aufzubauen, weil es dafür keinen Markt gebe. Für Christoph von dem Bussche, CEO des deutschen Gasleistungsbetreibers Gascade, liegt die Lösung ganz nahe: „Ich habe mal gelernt: Wasserstoff ist ein farbloses Gas“, sagte der promovierte Chemiker. Um überhaupt für ein Hochlaufen der neuen Technologie zu sorgen, dürfe man sich nicht in der Diskussion um ‚grünen‘ oder ‚blauen‘ Wasserstoff verzetteln. Wichtiger sei es, neben der Elektrifizierung auch auf andere Energieträger zu setzen, denn Strom allein könne nicht alle Probleme lösen. „Es geht nicht darum, alles in jedem Land zur gleichen Zeit zu elektrifizieren“, bestätigte Equinor-Managerin Rummelhoff. Das sei allein aufgrund der hohen Kosten für neue Infrastruktur kaum zu schaffen. „Ein großer Vorteil von Wasserstoff ist, dass die bestehenden Netze weiter genutzt werden können“, ergänzte von dem Bussche.

Für Nils Klippenberg, CEO von Siemens in Norwegen, steht fest: „In der Industrie führt kein Weg an Wasserstoff vorbei.“ Den Wirtschaftsführer treibt deswegen vor allem die Frage um, ob dem produzierenden Gewerbe auch genug Wasserstoff zur Verfügung stehen wird, um Erdgas zu ersetzen. In vielen Industriebetrieben, die zuvor von Öl und Gas abhängig waren, habe bereits die Elektrifizierung stattgefunden. Weitere CO2-Einsparungen seien nur noch durch den Einsatz von Erneuerbaren Energien, Wasserstoff und die Einlagerung von Kohlendioxid möglich.

Über die mehr als 400 Kilometer lange Pipeline „AquaDuctus“ soll ab 2035 grüner Wasserstoff nach Deutschland kommen. | Grafik: Gascade

Doch während Norwegen beim Thema CCS den Deutschen voranprescht, sieht Statkraft-Manager Tzschoppe beim Aufbau von Wasserstoff-Pipeline eine andere Entwicklung. „Deutschland will hier schnell vorankommen und hat manchmal das Gefühl, dass Norwegen nicht schnell genug hinterherkommt“, sagte er. Das könnte sich nun jedoch ändern: Ebenfalls am Dienstag haben Gassco und Gascade eine Absichtserklärung unterzeichnet, die bis 2030 den Bau einer Wasserstoff-Pipeline namens „AquaDuctus“ von Norwegen durch die Nordsee in den Raum Wilhelmshaven vorsieht. „Damit geben wir eine Antwort auf die Frage, woher der für die Energiewende benötigte Wasserstoff kommen soll – und zwar in großen Mengen und zu wettbewerbsfähigen Konditionen“, versprach Gascade-Chef von dem Bussche. Er ist sich sicher: „AquaDuctus wird die deutsche Importroute für Offshore-Wasserstoff über den Nordseekorridor werden.“