7. Sept. 2023 · 
Kultur

Christen und Juden gemeinsam: Beide sollen mehr voneinander lernen

Die Spitzen der christlichen und jüdischen Religionsgemeinschaften in Niedersachsen haben sich zusammengeschlossen, um über Möglichkeiten interreligiöser Kontakte zu informieren. Auf der Internetseite www.juedisches-niedersachsen.de sind zahlreiche Orte vorgestellt, an denen das Judentum gelebt wird oder in der Geschichte gelebt wurde. Eine interaktive Landkarte erleichtert die Orientierung. Jetzt geht noch eine zusätzliche Website ans Netz. Sie präsentiert Orte, an denen Christen und Juden miteinander ins Gespräch kommen können. Die URL lautet www.orte-der-begegnung.de. Sie richtet sich insbesondere an Lehrkräfte, Fachleute in der Erwachsenenbildung und Geistliche.

Stellen die neue Internetseite „Orte der Begegnung mit jüdischem Leben“ vor (von links): Moderatorin Prof. Ursula Rudnick, Bischof Heiner Wilmer, Kirchenpräsidentin Susanne Bei der Wieden, Konstantin Seidler vom Landesverband der Israelitischen Kultusgemeinden und Michael Fürst, Präsident des Landesverbands der Jüdischen Gemeinden. | Foto: Beelte-Altwig

„Das ist eine einzigartige christlich-jüdisch-ökumenische Kooperation“, lobte Prof. Ursula Rudnick, Referentin für Kirche und Judentum der evangelisch-lutherischen Landeskirche Hannovers, bei der Vorstellung der Website. Die Initiative ging von der – deutlich kleineren – evangelisch-reformierten Kirche aus, die als erste für eine Broschüre zum Thema recherchiert hatte. Die katholischen Bistümer Hildesheim und Osnabrück und die jüdischen Landesverbände sind ebenfalls beteiligt. Die meisten jüdischen Gemeinden in Niedersachsen kooperieren mit den Websites.

Susanne Bei der Wieden, Kirchenpräsidentin der Evangelisch-reformierten Kirche, betonte, wie wichtig es für Christen ist, vom Judentum zu lernen; einerseits für das eigene Selbstverständnis, denn schließlich war Jesus selbst ein Jude. Anderseits lasse sich auch vom Judentum lernen, als Minderheit in der Gesellschaft zu leben: „Als Kirchen gehen wir darauf zu“, sagte Bei der Wieden voraus.

„Wir sind oft gezwungen, über Negatives zu sprechen: Konflikte in Israel, die Shoa und ein veraltetes religiöses Leben.“

Konstantin Seidler, Landesverband der Israelitischen Kultusgemeinden

Heiner Wilmer, der katholische Bischof von Hildesheim, sagte: „Das Judentum gehört zur DNA unserer Gesellschaft.“ Ohne den Einfluss der Tora seien die Werte der Französischen Revolution und der Aufklärung nicht denkbar. „Wir sind oft gezwungen, über Negatives zu sprechen: Konflikte in Israel, die Shoa und ein veraltetes religiöses Leben“, betonte Konstantin Seidler vom Landesverband der Israelitischen Kultusgemeinden, der die progressiven Juden in Niedersachsen vertritt. Er rief dazu auf, statt dieser negativen Fokussierung für ein positives Miteinander zu streiten.

Michael Fürst, Präsident des Landesverbandes der Jüdischen Gemeinden von Niedersachsen, plädierte scherzhaft dafür, das Projekt auf Bayern auszudehnen. Er nannte die Flugblatt-Affäre um den Vize-Ministerpräsidenten Hubert Aiwanger „fürchterlich“ und kritisierte: „Er hat offensichtlich nichts gelernt.“ Fürst hat keine Befürchtungen, dass eine verbesserte Auffindbarkeit jüdischer Orte auch eine Gefährdung durch Vandalismus bedeuten könnte. Im Gespräch mit dem Politikjournal Rundblick sagte er: „Das ist völliger Quatsch. Wir sind mitten im Leben.“

Die Vorstellung der Website war einer der ersten Auftritte des neuen Landesbeauftragten gegen Antisemitismus, Gerhard Wegner. Er plädiert dafür, im Schulunterricht nicht nur das Leiden, sondern auch den Widerstand von Juden gegen den Holocaust zu behandeln. Es dürfte kein Bild in den Köpfen entstehen, dass ein „guter Jude“ demütig zu sein habe. „Empathie ist die Voraussetzung für das Lernen über das Judentum, aber das reicht nicht“, meint Wegner: Fundiertes Wissen müsse hinzukommen.


Dieser Artikel erschien am 8.9.2023 in Ausgabe #154.
Anne Beelte-Altwig
AutorinAnne Beelte-Altwig

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