Seit dem vergangenen Sonnabend hat Niedersachsen eine neue Jagdzeitverordnung. Das klingt nun genauso unspektakulär, wie die Pressemitteilung, die das Landesagrarministerium dazu am Montag verschickt hat. In wenigen Worten wird darin kurz erklärt, dass vor allem die Jagd auf Wildschweine zum Schutz vor der „afrikanischen Schweinepest“ erleichtert werden soll. Alle Jagdmethoden werden erlaubt, auch Nachtsichttechnik darf eingesetzt werden. Damit die Aufforstung der Wälder gelingen kann, dürfen zudem künftig auch schon junge Rehe und Hirsche geschossen werden. Und dann steht da noch etwas zu Wasservögeln und einer Sonderregelung bezüglich der Nonnengans. Doch die neue Jagdzeitverordnung birgt politischen Sprengstoff. Lange haben Jäger und Umweltschützer auf die Neuregelung gewartet – und das Ergebnis sorgt nun zumindest aufseiten der Jagdscheinbesitzer für eine erhebliche Verärgerung.

Grund für den Ärger ist derweil nichts, was in der Verordnung geändert wurde – sondern gerade das, was nicht geändert wurde. Als „absolut nicht nachvollziehbar“ und „höchst undemokratisch“, gar als einen „Schlag ins Gesicht der Jäger“ bezeichnete Helmut Dammann-Tamke am Montag die neue Jagdzeitverordnung des Landes. Der Präsident der Landesjägerschaft, der zeitgleich CDU-Landtagsabgeordneter ist, hat sich daher zusammen mit dem ehemaligen Agrarminister Hans-Heinrich Ehlen, jetzt Präsident des Zentralverbandes der Jagdgenossenschaften und Eidgenossenschaften in Niedersachsen (ZJEN), zu einem bemerkenswerten Schritt entschieden: Sie empfehlen ihren Mitgliedern, ruhende Normenkontrollanträge gegen die Jagdzeitverordnung wieder aufzunehmen. Sie rufen also zum juristischen Kampf gegen die Festlegung der Landesregierung auf.

Was bringt die Weidmänner so auf? Seit Jahren schwelt ein Streit zwischen Jagd-Verbänden und Landesregierung über die Schutzzeiten spezieller Gänsearten: Die Saat- und die Blässgans sind in Niedersachsen ganzjährig geschützt und bleiben das nun auch, für die Nonnengans gibt es nun neuerdings eine komplizierte Ausnahmeregelung. Die Klagen über zu viele Fraßschäden werden derweil von Jahr zu Jahr lauter, Landwirte wollen die Tiere wahlweise bejagen oder staatliche Wiedergutmachung für die Schäden an den Feldern erhalten. Im vergangenen Jahr beschäftigte sich der Agrarausschuss des Landtags immer wieder mit der Frage, wie mit dem hohen Gänseaufkommen besonders an Niedersachsens Küsten umgegangen werden sollte. „Niedersachsen hat eine besondere Verantwortung für überwinternde Arten“, konstatierte dabei im September Heinz Düttmann, zuständiger Fachreferent im Umweltministerium. Das Land sei verpflichtet, für den günstigen Erhaltungszustand der Arten zu sorgen, und da sei man auf einem guten Weg. Zu diesem Zweck seien bereits 125.000 Hektar Land zu Vogelschutzgebieten nach EU-Recht erklärt worden, so der Ministeriumsmitarbeiter – und dabei sei das Wattenmeer als Naturschutzgebiet noch gar nicht mitgezählt.

Die Maßnahmen zeigten auch Wirkung: Die Blässgans habe stabil hohe Bestände, bei der Nonnengans gebe es weiterhin Zuwächse. Doch die anwachsenden Bestände führen nun automatisch zu anwachsenden Konflikten mit Landwirten innerhalb und außerhalb der ausgewiesenen Schutzgebiete. In dieser Angelegenheit standen und stehen sich die Interessenverbände diametral entgegen: Während die Naturschutzverbände die Ausweitung der Vogelschutzgebiete und ein strenges Jagdverbot forderten, wollten die Jagdverbände zur alten Jagdzeitverordnung zurück, Bläss- und Saatgänse jagen und Jagdbeschränkungen in Vogelschutzgebieten nur auf Vertragsbasis zulassen, berichtete der Ministeriumsmitarbeiter Düttmann im Agrarausschuss.

Wie soll nun künftig mit den Gänsen umgegangen werden? Im September erläuterte Düttmann, im Agrar- und Umweltministerium habe man sich auf folgendes verständigt: In den EU-Vogelschutzgebieten ist der Schutz der Tiere vorrangig. Kommt es dort zu Gänsefraßschäden, werden die Landwirte weiterhin entschädigt. Die Landesregierung bietet den betroffenen Landwirten einen Ausgleich über Agrarumweltmaßnahmen an. Nach Angaben des Ministeriumsmitarbeiters werden darüber jährlich 8,1 Millionen Euro an Ausgleichszahlungen geleistet und damit 28.000 Hektar Acker- und Grünland bewirtschaftet. Darüber hinaus hat man in Niedersachsen das sogenannte Rastspitzenmodell entwickelt: In jenen Regionen, in denen besonders viele Gänse überwintern, können Landwirte eine Sonderzahlung erhalten, wenn der entstandene Schaden weit über dem liegt, was durch Agrarumweltmaßnahmen abgedeckt wird. Derzeit arbeitet die Landwirtschaftskammer daran, dieses Modell auch auf Grünland zu übertragen. Außerhalb der Schutzgebiete gibt es jedoch keine Entschädigungszahlungen, denn dort gelten auch keine besonderen Beschränkungen. Jenseits der Schutzgebiete müsse der Schaden dann in Grenzen gehalten werden – zur Not auch mit jagdlichen Mitteln, erklärte Düttmann. Auf genau diese Ausführungen berufen sich nun die Jäger. Im Protokoll sei vermerkt worden, dass es eine Jagd auf Blässgänse außerhalb der Schutzgebiete geben werde – in der Verordnung taucht diese angekündigte Änderung jetzt aber nicht mehr auf.

Argumente gegen die Jagd der Gänse führte im Landtag die Grünen-Agrarpolitikerin Miriam Staudte ins Feld. Sie berief sich dabei auf eine Studie, die aufgezeigt habe, dass sich mit der Jagd die Gänseschäden nicht vermeiden ließen. Im Agrarausschuss des Landtags mahnte sie, die Forderung nach der Gänsejagd sei zwar populär, berge aber die Gefahr, dass die falschen Gänse gejagt würden – zumal sich aus der Distanz nicht alle Arten gut unterscheiden ließen. Aus dem Ministerium wurden diese Einwände jedoch relativiert. Die Jagd habe sehr wohl einen Einfluss – nämlich ließe sich damit die Populationsgröße beeinflussen. Zudem sei die Jagd auch ein Störfaktor. Die Jagd außerhalb der Schutzgebiete könnte also gezielt so eingesetzt werden, dass die Tiere in die extra dafür vorgesehenen Regionen gelenkt werden. Hinzu komme, dass zu einem echten Gänsemanagement auch mit einem Monitoring verbunden wäre. Die Tierzahlen und auch die Abschüsse müssten dokumentiert werden. Der Abschuss einer falschen Gänse-Art könnte so also auffliegen. Ganz sicher wäre das bei den Blässgänsen, die von den Schweden besonders geschützt und deshalb auch mit Sendern versehen werden.

Im Ringen um den richtigen Umgang mit den Gänsen hat nun aber das Umweltministerium seine Mitzeichnung für die ursprünglich geplante Änderung der Jagdzeitverordnung zurückgezogen. Das Agrarministerium wiederum hat auf der Jagd auf Blässgänse offenbar nicht bestanden. Aus Sicht der Landesjägerschaft lässt sich dieser Schritt fachlich nicht begründen. ZJEN-Präsident Ehlen sieht gar die Glaubwürdigkeit der Ministerien beschädigt: „Während Jäger und Grundbesitzer ihr Engagement bei der Wildschadensverhütung, Seuchenbekämpfung, Nutriabejagung und im Artenschutz nie in Frage gestellt haben, nimmt die Politik das Jagdrecht als verbrieftes Eigentumsrecht offensichtlich nicht mehr wahr.“ Der Streit zwischen Jägern und Landesregierung wird nun vor dem Oberverwaltungsgericht ausgetragen.