Eine gewisse Tradition hat das schon bei den Christdemokraten: Im Sommer, bei schönem Wetter, treffen sich die Chefs der CDU-Landesverbände von Niedersachsen und Sachsen-Anhalt im Harz zu einer Wanderung. Wenn die Tour beendet ist, kommen politische Wünsche auf den Tisch.

2022 hatte Bernd Althusmann den Wurmberg erklommen, diesmal hat sein Nachfolger Sebastian Lechner das „Torfhaus“ als Ziel – diejenige Stelle im Westen, von der aus während der deutschen Teilung bis 1989 der Brocken am besten zu sehen war. Der sachsen-anhaltinische Vertreter ist damals wie heute derselbe: Landeswirtschaftsminister und CDU-Landeschef Sven Schulze aus Magdeburg. Der 44-Jährige aus Quedlinburg ist Diplom-Wirtschaftsingenieur und irgendwie auch ein Beispiel für die deutsche Einheit. Er hatte nach dem Abitur in Aschersleben Umwelttechnik in Clausthal-Zellerfeld studiert. Ein Pendler zwischen den Ländern also.

Begleitet von Mitgliedern der CDU-Mittelstandsvereinigung (MIT) zogen die beiden Politiker durch die Natur, der Ranger Sebastian Berbalk vom Nationalpark Harz nutzte die Chance, die Vorzüge der Gegend anzupreisen. Zwar seien viele Besucher zunächst erschrocken, sobald sie gerade diesen Teil des Harzes sehen – auf großen Flächen sind die Fichten abgestorben, man sieht die grauen, dürren, aus dem Boden nach oben ragenden Stämme. Der Borkenkäfer, die Trockenheit und der Sturm haben den Bäumen zugesetzt. Was nachgewachsen ist, bleibt noch überschaubar, die Tristheit prägt den Anblick bisher noch.

Doch wenn man auf den „Goetheweg“ einbiegt, der den Namen deshalb trägt, weil Johann Wolfgang von Goethe hier schon vor knapp 250 Jahren wanderte, dann kann man auch schöne Seiten sehen: In manchen Baumresten nisten die Spechte, alte Holzreste werden zu Insektenhotels, direkt daneben liegt noch ein intaktes Moor, sogar der Sonnentau wächst hier. „Ich habe schon Schulklassen erlebt, die bei diesen Perspektiven spontan ihr Handy gezückt und Fotos gemacht haben“, berichtet Berbalk.

„Die Natur liebt die Freiheit, man darf ihr keine Grenzen setzen – dann entfaltet sie sich neu.“
Sebastian Berbalk, Nationalpark-Ranger
Der Nationalpark-Vertreter gehört zu den Anhängern der Philosophie, die Natur möglichst unberührt zu lassen und einfach abzuwarten, wenn die Fichten absterben. „Die Natur liebt die Freiheit, man darf ihr keine Grenzen setzen – dann entfaltet sie sich neu“, sagt der Ranger.

In der Tourismusbranche und auch in der CDU sehen das viele nicht so. Schulze beispielsweise tritt offen dafür ein, dass auch im Nationalpark „Brandschneisen“ geschlagen werden – wenigstens teilweise müssten abgestorbene Fichten beseitigt und die Holzreste abtransportiert werden, damit im Fall eines großen Waldbrandes die Feuerwehr besser an die Brandherde kommt und auch ein rasches Ausbreiten der Katastrophe verhindert wird. In Schierke auf sachsen-anhaltinischer Seite hat der Minister das durchgesetzt, in Niedersachsen bleibt man diesbezüglich noch zögerlich, hält es aber wegen der Bedingungen auch nicht für vordringlich.
Frank Wodsack, der den Investor für viele Touristeneinrichtungen am Torfhaus vertritt, verhehlt seine Sympathie für mehr Feuerschutzvorkehrungen nicht. Allerdings betont er gleichzeitig das gute Miteinander im Harz. Investoren, Nationalpark und die Landkreise Goslar und Göttingen im Westen, Harz im Osten würden gut zusammenwirken. Sie hätten erkannt, dass man nur miteinander die Region voranbringen könne. Und so steckt die Fremdenverkehrsbranche zurück, wenn sie etwa mit Plänen für neue Fußgängerbrücken oder anderen Investitionen an Auflagen der Naturschützer scheitert. Auf der anderen Seite kann sich aber auch der Tourismus entwickeln, gilt er doch als Quelle von Wohlstand und damit für wieder mehr Naturschutz.

Das beste Beispiel ist Torfhaus selbst. Noch 2009, berichtet Wodsack, standen hier nur wenige Holzhütten und ein Kiosk. Das war ein Startpunkt für Wanderungen und für einen schönen Blick zum Brocken, mehr aber nicht. Jetzt lockt hier ein hochklassiges Hotel, daneben mehrere Ferienhäuser. In der „Bavaria-Alm“ kann man gut essen, bald kommt noch ein „Wienerwald“-Restaurant hinzu – die Investoren haben sich vorgenommen, diese traditionsreiche Marke neu zu beleben, den Anfang dafür soll Torfhaus im Harz machen.
Im Herbst dürfte auch der neue Torfhaus-Turm fertig sein, eine Attraktion in unmittelbarer Nachbarschaft. Geschäftsführer Hannes Mairinger, ein Österreicher, rechnet mit der Fertigstellung im Oktober oder November. Das Wetter habe zu Verzögerungen geführt. 65 Meter soll das Gebäude in die Höhe ragen, man kann zu Fuß oder auch mit dem Lift nach oben gelangen. Bei 45 Metern gibt es eine Aussichtsplattform mit gläsernem Untergrund. Seitlich werden noch Rutschen angebracht. Vorbild für das knapp 10 Millionen Euro Projekt ist die „Pyramidenkogel“ am Wörthersee in Kärnten.

„In Torfhaus fahren auf der Bundesstraße täglich eine Million Autos vorbei – und ich rechne damit, dass die Kinder die Rutsche erkennen und rufen: Halt‘ an, Papa – da will ich auch hin“, sagt Mairinger. Ganz günstig dürfte der Ausflug dann aber wohl auch nicht sein. Passt das hier in Torfhaus? Auf Rundblick-Anfrage sagt Friedhart Knolle, seit Jahren das Gesicht der Naturschützer im Harz, dass es im Wesentlichen ein gutes Einvernehmen mit dem Tourismus gebe. „Wir müssen allerdings aufpassen, dass es nicht zu einer ,Verballermannisierung‘ des Harzes kommt, zu einem Vordringen des lauten, schrillen Massentourismus.“ Die meisten Leute, die in diese Gegend kommen, wollten eben weg von der Hektik und Hyper-Aktivität der Großstadt. Das dürfe man nicht vergessen oder durch zu viel Event-Angebote gefährden.

Bei ihrer Harzwanderung lassen die CDU-Politiker Schulze und Lechner keinen Zweifel daran, wie sehr sie die Tourismus-Investitionen im Harz befürworten. Immerhin haben die Corona-Krise und die warmen Sommer der vergangenen Jahre (2023 mal ausgenommen) bewiesen, dass deutsche und niedersächsische Touristenziele stärker als bisher gefragt sein können. Und an Ideen mangelt es nicht, wie Wodsack und der MIT-Landesvorsitzende Holger Bormann deutlich machen.
Wie ist es etwa mit der schon vor 15 Jahren vorgetragenen Idee, die im Ostharz so beliebte „Harzer Schmalspurbahn“ in den Westen zu verlängern – nämlich von Elend in Sachsen-Anhalt nach Braunlage in Niedersachsen? Das Vorhaben würde mindestens 15 Millionen Euro an Investitionen kosten und an jährlichen Unterhaltungskosten noch mal mindestens eine Million Euro. Schon vor zehn Jahren haben beide Landesregierungen in Magdeburg und Hannover das Projekt geprüft und damals – wegen der Kosten – eine Realisierung verworfen.
Wodsack meint nun, man könne neu darüber nachdenken. Knolle sagt auf Anfrage, die Naturschützer würden sich nicht quer stellen, obwohl sicher dafür Bäume gefällt werden müssten. Was wäre, wenn ein privater Investor käme? Schulze nennt die Schmalspurbahn „einen riesigen Magneten für den Fremdenverkehr“. Die gegenwärtige sachsen-anhaltinische Koalition aus CDU, SPD und Grünen habe das Vorhaben sogar in ihren Koalitionsvertrag geschrieben. Lechner zeigt sich aufgeschlossen: Investitionen im Harz, sagt er etwas allgemeiner, seien auch in einer von ihm angestrebten späteren Koalition, in der die Niedersachsen-CDU beteiligt ist, „ein wichtiger Bestandteil“. Das ist aber, räumt er gleich ein, momentan Zukunftsmusik.
