21. Mai 2017 · Inneres

Braucht das Land Programme für die Mhallamiye-Kurden?

Die Kriminalität unter sogenannten Mhallamiye-Kurden ist offenbar größer als angenommen. Seit 2002 registriert das Landeskriminalamt (LKA) eine stetig steigende Zahl von Ermittlungsverfahren. Im vergangenen Jahr wurden erstmals mehr als 1000 Ermittlungsfälle verzeichnet, die sich gegen Angehörige der Mhallamiye-Kurden richteten. Immer wieder weist das LKA auf die Problematik hin, doch in der Landespolitik verhallt die Mahnung weitgehend ungehört. Weder gibt es einen landesweiten Aktionsplan der Sicherheitsbehörden im Umgang mit Mhallamiye, noch ein Engagement auf sozialer Ebene. Das Sozialministerium hat für die Integration von Mhallamiye in den vergangenen Jahren nicht ein einziges Projekt gefördert oder ins Leben gerufen. „Man darf die Augen vor dem Problem aber nicht verschließen“, sagt die CDU-Abgeordnete Angelika Jahns. Ein Staat, der die Etablierung von Parallelgesellschaften dulde, habe auf der Sicherheitsebene versagt. Mhallamiye-Kurden, in den Sicherheitsbehörden als M-Kurden abgekürzt, stammen aus dem türkisch-syrischen Grenzgebiet und sind ein eigener Volksstamm. Über die Jahrzehnte wanderten sie in den Libanon aus und flüchteten in den siebziger Jahren vor dem Krieg nach Deutschland. In Niedersachsen ließen sie sich vor allem im Raum Hannover, Braunschweig, Hildesheim, Göttingen, Osnabrück und Lüneburg nieder. Das LKA geht davon aus, dass mittlerweile rund 2500 Mhallamiye in mindestens fünf Clans in Niedersachsen leben. Mhallamiye fallen häufig dadurch auf, dass sie den Staat und seine Behörden komplett ablehnen. Sie leben nach einer eigenen Wertekultur, allen Menschen außerhalb ihres Clans wird per se misstraut. So gibt es immer wieder Angriffe von Mhallamiye-Angehörigen auf Rettungskräfte, Bedrohung von Justizangestellten oder gewalttätigen Auseinandersetzungen mit Angehörigen anderer Clans. Erst im Januar waren Angehörige zweier Clans am Hauptbahnhof in Hannover in eine Messerstecherei verwickelt und in der vergangenen Woche waren sechs Mitglieder einer Familie in Hameln zu Bewährungsstrafen verurteilt worden, weil sie nach dem Fenstersturz eines Angehörigen Polizisten und Krankenhauspersonal verletzt hatten. Dass die Zahl der Ermittlungsverfahren steigt, heißt aber nicht zwangsläufig, dass die kriminellen Aktivitäten der Mhallamiye zunehmen. Ein Erklärungsansatz sind die Erkenntnisse, die das LKA stetig über die Mhallamiye gewinnt. Etwa zur Zusammensetzung von Clanstrukturen und deren Mitglieder. Denn da Mhallamiye keine Staatsangehörigkeit ist, werden die Taten statistisch nicht gesondert erfasst. „Es gibt aber bestimmte Familiennamen und Geburtsorte, die den Schluss zulassen, dass die Person Teil eines Mhallamiye-Clans ist“, sagt LKA-Sprecher Frank Federau. Durch die wachsenden Erkenntnisse können den Mhallamiye in Niedersachsen möglicherweise Straftaten zugeordnet werden. Nach dem Vorfall in Hameln hatte Innenminister Boris Pistorius einen landesweiten Aktionsplan gegen kriminelle Aktivitäten von Mhallamiye-Kurden mit dem Hinweis abgelehnt, das seien vor allem lokal auftretende Probleme.  Eine konsequentere Strafverfolgung durch Polizei und Justiz genüge. Die CDU-Abgeordnete Jahns sieht das anders. „Ich halte es für problematisch, dass die Landesregierung die Verantwortung auf die Kommunen abwälzt“, sagt sie. Man dürfe die betroffenen Städte und Gemeinden damit nicht allein lassen, denn die Vielschichtigkeit des Problems überfordere sie. Vor allem bei der Integration von Mhallamiye kommen Kommunen mit ihren unterschiedlichen Zuständigkeiten nicht weiter. In Essen etwa hat die Stadt deshalb ein Programm aufgelegt, in dem sich zwei Sozialarbeiter nur um den Kontakt zu Mhallamiye-Familien bemühen. „So etwas brauchen wir in Niedersachsen auch“, sagt Jahns. „Wir müssen Sozialarbeiter und Mitarbeiter der Sozialbehörden schulen und den Kontakt zu den Familien suchen.“ Dabei gehe es vor allem darum, ihnen zu verdeutlichen, dass ihre Art der Konfliktbewältigung nicht der des Staates entspricht, in der sie leben. Das Sozialministerium ist bereit, solche Projekte finanziell zu unterstützen, doch es fehlt offenbar an Angeboten. Nach Auskunft des Ministeriums gab es in den vergangenen Jahren keinen Antrag auf Förderung eines Projekts für die Integration von Mhallamiye.
Dieser Artikel erschien in Ausgabe #95.
Martin Brüning
AutorMartin Brüning

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