28. Apr. 2024 · 
Parteien

Bodo Ramelow im Rundblick-Interview: „Wir dürfen die AfD nicht dämonisieren“

Der Thüringer Ministerpräsident Bodo Ramelow geht in einen spannenden Wahlkampf. Derzeit liegt in seinem Bundesland die AfD vorn – angeführt vom Rechtsextremisten Björn Höcke. Wieso ist die AfD in diesem Bundesland so stark – und wie sollte man mit dieser Partei am besten umgehen? Ramelow äußert sich im Interview mit dem Politikjournal Rundblick.

Bodo Ramelow spricht mit Klaus Wallbaum über den richtigen Umgang mit der AfD. | Foto: Kathi Seefeld

Rundblick: Herr Ramelow, wie ist die aktuelle politische Situation in Ihrem Bundesland?

Ramelow: Es gibt einen Unterschied zwischen der veröffentlichten Meinung und der politischen Wirklichkeit.

Rundblick: Inwiefern?

Ramelow: Glaubt man der bundesweiten Berichterstattung über Thüringen, so könnte morgen die Welt untergehen und die AfD den Ministerpräsidenten stellen. Die Wirklichkeit ist etwas anders. Wir haben in dieser Woche drei wichtige Gesetze durch den Landtag gebracht – die Reform des Schulgesetzes, die Beteiligung der Kommunen an den Windkraft-Einnahmen und eine Änderung der Verfassung, bei der das Ehrenamt dort als Staatsziel verankert wird. Hier findet gute Arbeit statt und - was uns vorher keiner zugetraut hätte – die Mehrheiten von Linken, SPD, Grünen und CDU stehen. Mal sind die Regierungsparteien die Initiatoren, mal ist es die CDU. Wenn ich nun die Leute im Lande frage, wie es ihnen geht, bekomme ich eine zweigeteilte Antwort. Viele erkennen an, dass sich ihre persönliche Lage wesentlich verbessert hat. Aber wenn ich nach der allgemeinen Lage frage, höre ich immer wieder: „Die Lage ist schlecht.“ Dabei stimmt das objektiv eben nicht, denn wir haben viele Unternehmen angesiedelt, die Arbeitslosigkeit ist kein großes Problem mehr, die Wirtschaftsdaten sind positiv.

Rundblick: Woran liegt das?

Ramelow: Ich nenne es „das ostdeutsche Paradoxon“. Ostdeutsch deshalb, weil wir diese Entwicklung schon seit fast 20 Jahren in Thüringen messen. Die deutsche Einheit ist ökonomisch gelungen. Aber psychologisch sind wir noch sehr weit davon entfernt, ein geeintes Land zu sein. In einer Gartenanlage habe ich letztens Leute getroffen, die erlebt haben, wie vor Jahren ihre Kinder in den Westen gegangen sind, da sie dort bessere berufliche Chancen haben. Sie berichten, dass die Kinder und die Enkel ab und zu noch zu Besuch kommen, sich sonst aber rar machen. Es sind viele Menschen zugewandert, ja. Aber die syrische Familie in der Nachbarschaft wird nicht als gleichberechtigt angenommen, der Mann aus Afghanistan auch nicht. Wir haben in Thüringen nur 7,6 Prozent Menschen, die Nicht-Deutsche sind. Aber viele Thüringer meinen, die Zuwanderung sei ein großes Problem und würde die Wirtschaft schwächen. Das erinnert mich ein wenig an meine Kindheit im niedersächsischen Osterholz-Scharmbeck. Wir waren Zugereiste, galten als Flüchtlinge – und waren nicht willkommen. Menschen aus Vietnam werden in Thüringen wiederum als fleißig, engagiert und angepasst wahrgenommen, sie sind tatsächlich willkommen. Man kannte diese Gruppe Zuwanderer schon aus DDR-Zeiten. Das Beispiel zeigt: Es spielt sich auch hier viel Irrationales ab.

Bodo Ramelow ist seit März 2020 wieder Ministerpräsident des Freistaates Thüringen. Das Amt hat er bereits von Dezember 2014 bis Februar 2020 inne gehabt. | Foto: Wallbaum


Rundblick: Wie nutzt die AfD diese Stimmung?

Ramelow: Die AfD skandiert „Deutschland den Deutschen – Ausländer raus!“ Das verfängt. Wenn ich bei denen nachfrage, die diese Ansicht teilen, heißt es stets, der Kollege aus der Ukraine oder aus Afghanistan sei ja gar nicht gemeint, es gehe um die Zuwanderung an sich. Menschen, die noch nie Flüchtlinge gesehen haben, wollen keine Flüchtlinge – und angefeuert werden sie über soziale Medien, die in diese Richtung agieren und inzwischen viel mehr Wirkungskraft haben als die Tageszeitungen. Was die AfD angeht – sie ist in Thüringen längst rechtsextrem. Alle Positionen, die noch als annähernd gemäßigt gelten konnten, sind von der Parteiführung inzwischen herausgedrängt worden. Ihre Politiker wurden abgesägt oder nicht mehr aufgestellt. Der Sonneberger Landrat Robert Sesselmann von der AfD merkt jetzt, dass man mit ausländerfeindlichen Parolen nicht weit kommt. Er sieht jetzt, dass er bei der Insolvenz des Krankenhauses geschickt agieren muss, um Schlimmeres zu verhindern. Er merkt, dass es bei einer unsicheren Böschung an der Kreisstraße um Recht und Gesetz geht. Wenn man auf „die da oben“ schimpft, wie es die AfD ständig tut, kommt man bei der Lösung solcher Probleme nicht weiter.

Rundblick: Was sollte man tun, um die AfD zu entzaubern?

Ramelow: Alle Versuche, sie zu entzaubern, schlagen fehl. Tilo Jung hat vier Stunden lang versucht, den AfD-Spitzenkandidaten Maximilian Krah zu knacken – es ist ihm nicht gelungen. Jedes Argument hat Krah umgedreht. Dass aber einer seiner Mitarbeiter offenbar für China spioniert hat, bringt jetzt die AfD in Turbulenzen. Oder das TV-Duell zwischen Mario Voigt von der CDU und Björn Höcke von der AfD, da haben anschließend 40 Prozent der Befragten gesagt, sie seien in ihrer Haltung bestärkt worden. Wir dürfen doch der AfD nicht noch mehr Bühnen dafür bieten, ihre Propaganda zu vertreten.

Rundblick: Was soll man dann tun?

Ramelow: Ich nehme einen Politiker wie Höcke in all seinen Ankündigungen ernst. Wenn er sagt, dass er die Inklusion ablehne, dann rede ich mit Eltern betroffener Kinder und frage sie, was sie davon halten. Wenn er meint: „Die EU muss sterben“, dann spreche ich mit den Firmen, die ihre Existenz den EU-Außenhandelsbeziehungen verdanken. Wir haben 92 Weltmarktführer in Thüringen. Für die ist Europa die Basis und sie produzieren für den gesamten europäischen Markt. Mein Ansatz ist: Ich muss die 70 Prozent erreichen, die nicht die AfD wählen wollen – und muss ihnen zeigen, was wir bisher in der Politik geschafft haben. Und sie müssen wissen, was droht, wenn die AfD mehr als 30 Prozent der Sitze im Landtag erreicht. Wenn ich aber den Diskurs beginne mit der Formulierung „Die größte Gefahr ist Höcke“, dann habe ich schon verloren. Wir dürfen die AfD nicht dämonisieren.

Rundblick: Warum, ist die Gefahr etwa nicht so groß?

Ramelow: Doch, aber der Aufstieg der AfD in Deutschland ist nun auch nichts Außergewöhnliches. Wir erleben das überall in Europa. Wenige Wochen vor der niederländischen Parlamentswahl war ich dort, es hieß, dass Geert Wilders keine Rolle mehr spiele. Wenig später war er der große Wahlsieger. Aber, meine Botschaft lautet: Von einem guten Ergebnis für die AfD geht doch immer auch eine Aufforderung an die demokratischen Parteien aus, konstruktiv zur Lösung der anstehenden Probleme zusammenzuwirken. In Thüringen können wir da auf eine lange Zeit erfolgreichen Zusammenwirkens zurückblicken – auch schon zu der Zeit, als die AfD noch nicht im Landtag saß. Als es um den Rückkauf der Stromtrassen ging oder den Einstieg des Landes bei Jenoptik, da habe ich als Oppositionspolitiker auch an schwierigen Entscheidungen mitgewirkt. Das lief unter den christdemokratischen Ministerpräsidenten Bernhard Vogel, Dieter Althaus und Christine Lieberknecht genauso gut und reibungslos wie später in der Zeit der von mir geführten Regierungen.

Bodo Ramelow (links) im Gespräch mit Klaus Wallbaum. | Foto: Kathi Seefeld


Rundblick:
Nun hat die CDU noch einen Unvereinbarkeitsbeschluss, der sich auch auf Ihre Partei, die Linkspartei, bezieht. Was halten Sie davon?

Ramelow: Das halte ich für ein Überbleibsel des „Kalten Krieges“. 34 Jahre nach der deutschen Einheit müssen die 70 Prozent des politischen Spektrums, die zu diesem System stehen, aufeinander zugehen. Viele in der CDU haben offenbar noch nicht begriffen, dass dies ein völlig normaler Umgang ist. Dazu zählt dann übrigens auch, dass sich der einstige hessische Ministerpräsident Volker Bouffier zu seinem Abschied eine Rede von mir gewünscht hat und sein Nachfolger Boris Rhein und ich uns ebenfalls wertschätzen. Das zeigt: Viele Akteure in der CDU sind schon viel weiter, als es dieser veraltete Unvereinbarkeitsbeschluss zum Ausdruck bringt.

Dieser Artikel erschien am 29.4.2024 in Ausgabe #079.
Klaus Wallbaum
AutorKlaus Wallbaum

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