Bilanz des Wahlkampfs: Zwischen den Emotionen blieb kein Platz für Argumente
Es ist ja nicht so, dass es den Klassiker nicht gegeben hätte: Tatsächlich haben Vertreter verschiedener Parteien mit Publikum sachbezogen diskutiert. Das geschah auf Einladung von Interessenverbänden, lokalen Initiativen oder Lokalzeitungen. Was sagen die Kandidaten zum Thema X und Y, wie wollen sie die Region im Bundestag am besten vertreten? So etwas wurde häufig angeboten, und sehr oft muss es für die Zuhörer ein Erkenntnisgewinn gewesen sein. Sie merkten so, wie die Bewerber reagieren, wie tief sie im Thema sind, wie zugewandt sie auftreten. Es entstand eine Beziehung zwischen dem Wähler und denen, die gewählt werden wollen.

Das alles hat es auch in diesem Bundestagswahlkampf wieder gegeben. Aber war es prägend für diesen Wahlkampf? Eher nicht. Die Zeit vom Bruch der Ampel-Koalition am 6. November bis jetzt, also die vergangenen rund drei Monate, war von anderen Eindrücken begleitet. Da ist zum einen eine sehr scharfe, sehr auf Abgrenzung bedachte Art der Auseinandersetzung zwischen den Parteien. Galten Wahlkämpfe früher oft als „weichgespült“ und wurde gern behauptet, die Unterschiede zwischen den verschiedenen Parteien seien kaum erkennbar, so wird heute zuweilen das Gegenteil als Problem dargestellt: Die Positionen der Parteien lägen so weit auseinander, dass man sich zwischen ihnen kaum eine Koalition vorstellen könne. Gemeint waren CDU/CSU auf der einen Seite und auf der anderen die SPD oder die Grünen. Als die Union noch von Angela Merkel repräsentiert wurde, kam von den Sozialdemokraten oft der Vorwurf der „asymmetrischen Demobilisierung“. Das Vermeiden von Konflikten nützt demnach den Regierenden, also damals der Kanzlerin, da die Opposition kaum Ansatzpunkte dafür zeigen kann, wie sie es besser machen will. Dieser Mechanismus ist aktuell nicht zu beobachten, vor allem Friedrich Merz hat eine polarisierende, Widerspruch erzeugende Art – und die Bilanz der rot-grün-gelben Bundesregierung war nun auch alles andere als ein Beleg für eine erfolgreiche Arbeit. Die Schärfe, die gerade der amtierende Kanzler Olaf Scholz in den zurückliegenden Wochen in den Wahlkampf eingespeist wurde, trug ihren Teil dazu bei.

Also waren die Bedingungen diesmal für einen richtig meinungsstarken, debattenreichen und lebhaften Wahlkampf ideal. Trotzdem ist der Disput, das Ringen um den richtigen Weg, der Austausch von Pro- und Contra-Argumenten, auch diesmal nicht charakteristisch gewesen. Vielleicht hat man es noch am stärksten erlebt in den Bundestagsdebatten, die durchweg spannend waren. Aber im Wahlkampf selbst, auf der Straße und in den Veranstaltungen? Hier konnte man den Eindruck bekommen, dass die Akteure lieber das offene Gefecht mit Andersdenkenden meiden. Sie wollten lieber über- als miteinander reden und gern polemisieren. Woran liegt das?
Bevor eine Erklärung versucht wird, hier zunächst ein paar Eindrücke: Kundgebungen auf öffentlichen Plätzen, mit denen nicht nur das Stammpublikum erreicht werden soll, sondern auch die interessierte und womöglich zufällig anwesende Menge, sind eher die Ausnahme gewesen. Christian Lindner hat es in Hannover getan, das Ergebnis war durchaus erfolgversprechend. Die wenigen Zwischenrufer hatten seinen Vortrag eher bereichert als gestört. Die meisten anderen Veranstaltungen aber wurden in geschlossenen Räumen angeboten – und mit vorheriger Anmeldung. Dabei ging es oft um Fachthemen wie Gesundheit, Betriebsrätearbeit oder Altersversorgung. Friedrich Merz, Annalena Baerbock und Olaf Scholz kamen auch nach Hannover, aber auch hier beharrten die Veranstalter auf einer Vorprüfung der Teilnehmer. Das hinderte etwa eine pro-palästinensische Gruppe nicht daran, sich mit versteckten Spruchbändern einzuschleusen und die Rede der Bundesaußenministerin zu unterbrechen. Sie wurden dann von Sicherheitskräften aus dem großen Saal abgeführt – doch bei vielen Anwesenden blieb ein Gefühl der Beklemmung zurück.
Was ist die Ursache dieser Bunkermentalität, die in diesem Wahlkampf öfter als früher zu beobachten war? Liegt es nur an den kalten Temperaturen? Vielleicht sind die Parteien auf einen wirklich harten Streit über ihre Politik gar nicht ausreichend vorbereitet. Vielleicht bevorzugen sie daher Termine, bei denen ihr Spitzenpersonal vor allem Applaus und Zuspruch erntet. Denn das kann ja anspornen und Zuversicht spenden. Vielleicht liegt es aber auch an einer fortschreitenden Verrohung der Sitten. Man sollte sich nicht täuschen: Auch früher schon sind Wahlveranstaltungen gestört worden, Angela Merkel hat das wiederholt erlebt – beispielsweise in Hannover. Im Landtagswahlkampf 2022 musste Stephan Weil diese Erfahrung auch machen, die Corona-Zeit hatte zur Radikalisierung bestimmter Gruppen beigetragen. Heute aber scheinen Grenzen noch häufiger und noch drastischer überschritten zu werden. Ein Beispiel ist das, was sich am Rande der Großkundgebung der „Omas gegen rechts“ in Hannover am 8. Februar ereignete: Aufgebrachte Demonstranten umzingelten den AfD-Informationsstand und wollten so offenbar verhindern, dass interessierte Bürger zur AfD vordringen konnten. Die Polizei baute sich in schwerer Montur zwischen dem Stand und den Protestierenden auf. Die Szenerie war teilweise so angsteinflößend, dass die Wahlkampfstände von SPD und CDU in der unmittelbaren Nachbarschaft gar keine Aufmerksamkeit mehr ernteten. Später gab es auch am CDU-Stand einige Rangeleien.

Dieser Wahlkampf wird womöglich wegen der Härte der Auseinandersetzung in Erinnerung bleiben, vielleicht auch wegen der weltweit bedrohlichen Rahmenbedingungen – die enorme Krise der Wirtschaft, die internationale Verunsicherung nach der Wahl von Donald Trump zum US-Präsidenten und die Anschläge von psychisch gestörten oder auch islamistisch motivierten Attentätern auf Menschengruppen. Gelang es den Parteien, trotzdem einen rationalen Diskurs zu organisieren? Als besonders vorbildlich, stark argumentativ und der Meinungsbildung förderlich kann man das Ringen der Parteien um die Wähler nicht bezeichnen. Man bekam weniger den Eindruck, dass die Kandidaten und ihre Helfer vorrangig das Gespräch mit den Wählern suchen – und hatte eher das Gefühl, dass sie sich abschotten und die Geschlossenheit ihrer eigenen Anhängerschaft suchen. Der Themenvielfalt – von der Sozial-, über die Wirtschafts- bis zur Umwelt- und Energiepolitik – diente der Wahlkampf auch nicht gerade. Die Migration überlagerte alles andere, angefacht noch von den Warnungen und Mahnungen, dass dieses Thema ja vor allem der ungeliebten AfD diene. Das Ergebnis war die Polarisierung zwischen denen, die Änderungen in den Regeln für die Zuwanderung haben wollen und denen, die bei jedem Schritt in diese Richtung einen neuen Faschismus aufkeimen sahen. Dazwischen blieb kaum noch Platz für eine differenzierte Auseinandersetzung über andere Sachfragen.
Der Winterwahlkampf des Jahres 2025 war kurz und aufwühlend – aber keineswegs vorbildlich. Das kann man besser machen, und die Parteien werden Gelegenheiten dazu haben. Die nächsten Wahlen sind nicht mehr weit weg.
Dieser Artikel erschien am 20.02.2025 in der Ausgabe #034.
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