4. Apr. 2024 · 
Soziales

Barbara Hartung: „Frauen brauchen keine Nachhilfe, sie brauchen Ermutigung“

Den Verdacht hatte Barbara Hartung schon lange. Doch immer wieder hieß es: „Das kann nicht sein.“ Das kann nicht sein, dass im ganzen Land Professorinnen weniger verdienen als männliche Kollegen. Okay, vielleicht im Einzelfall, aber dann hat die Kollegin halt schlecht verhandelt. Professorengehälter setzen sich zusammen aus einem Grundgehalt und einer leistungsbezogenen Zulage, die mit der Universität ausgehandelt werden kann. Hartung war damals Referatsleiterin für Naturwissenschaften, Forschungsethik und Gleichstellung im Wissenschaftsministerium. 2013 bekam sie die Chance, ihren Verdacht systematisch zu überprüfen.

Es zeigte sich: Der Unterschied betrug jährlich im Schnitt ein Monatsgehalt, rund 7000 Euro. „Wir haben alle anderen Faktoren herausgerechnet“, sagt die Juristin im Rückblick. „Es musste schon am Faktor Frau liegen.“ Ein unabhängiges Institut hat ihre Ergebnisse noch einmal bestätigt. „Wie auf dem Basar“: so beschrieben die neutralen Experten kopfschüttelnd, wie männliche Professoren um ihre Zulagen feilschten.

Männliche Professoren feilschten um ihre Zulagen wie auf dem Basar, zitiert Barbara Hartung das Urteil neutraler Experten. | Foto: Link

Heute regeln viele Hochschulen in Niedersachsen die Leistungsbezüge anders. Zum Beispiel werden bei der Bewertung von Leistungen Erziehungszeiten angerechnet, um mehr Fairness zwischen den Geschlechtern herzustellen. Barbara Hartung hat ihren Teil dazu beigetragen. „Man muss Daten sammeln und Transparenz herstellen – nicht nur in der Forschung, sondern auch bei der Gleichstellung von Männern und Frauen“, sagt sie. „Wenn die Fakten auf dem Tisch liegen, entsteht eine Diskussion. Daraus folgt Veränderung.“

Ihre Erfahrungen bringt sie jetzt, im Ruhestand, in neuer Funktion ein: Im November wurde die 68-Jährige zur Vorsitzenden des Landesfrauenrates gewählt. Sie gehört dem Gremium als Mitglied des Deutschen Juristinnenbundes an. Der Landesfrauenrat ist ein Dachverband, in dem zahlreiche und sehr unterschiedliche Vereinigungen von Frauen zusammengeschlossen sind: Berufsverbände und Non-Profit-Organisationen ebenso wie die Frauenorganisationen der Religionsgemeinschaften und Parteien – von der Linken bis zur CDU. „Ich lasse mich leicht in die Pflicht nehmen“, sagt Barbara Hartung. „Wenn ich etwas kann, dann mache ich das.“

„Wenn die Fakten auf dem Tisch liegen, entsteht eine Diskussion. Daraus folgt Veränderung.“

Es ist eine merkwürdige Zeit, um Frauenpolitik zu machen: Auf der einen Seite vermag ein kleines Sternchen (oder ein Doppelpunkt oder ein Unterstrich) die Gesellschaft zu polarisieren, auf der anderen Seite werden bleischwere Lasten der Vergangenheit stoisch weitergeschleppt. „Wir sind auf der Hut“, sagt Barbara Hartung. Die Corona-Krise habe eine Re-Traditionalisierung in den Familien mit sich gebracht. Das Fehlen von Betreuungsplätzen tut sein übriges, um Frauen in Abhängigkeit von ihrem Partner oder von Transferleistungen zu halten. Doch die Empörung in Geschlechterfragen entzündet sich anderswo: „Das Thema Sprache wird enorm hochgezogen“, meint Hartung. „Es ist ein scheinbar leichtes Thema. Nicht jeder hat ein Auto, aber jeder spricht.“

„Das generische Maskulinum ist längst überholt.“

Im Streit um das Gendersternchen, sagt sie, werde übersehen, dass eine Behördensprache, die Männer und Frauen gleichermaßen berücksichtigt, schon seit 1989 gesetzlich verankert ist. „Das generische Maskulinum ist längst überholt“, meint die Juristin. Doch jetzt erlebe es eine Renaissance als scheinbar sicherer Hafen vor einer Sprache, die sich nicht mehr nach Zuhause anfühlt, sondern den Geruch eines grün-alternativen Milieus an sich hat. Auch im Landesfrauenrat seien die Positionen dazu unterschiedlich, ob man „Politikerinnen und Politiker“ oder „Politiker – hörbare Pause – innen“ sagen sollte. „Wir halten Verbote für wenig zielführend“, sagt Hartung diplomatisch. „Sprache ändert sich. Wir beobachten die Entwicklung.“

In der Mitte ihres Berufslebens hat Barbara Hartung noch einmal studiert: „Mediation“ an der Fernuniversität Hagen. Das hilft. Vor allem, sagt sie, habe sie gelernt, das Zuhören zu intensivieren. Denn am Ende geht es darum, das Gegenüber zu verstehen und etwas zu entdecken, was verbindet. Sie ist in einem konservativen Elternhaus in Bonn großgeworden. Sie lernte Latein und Griechisch, spielt Flöte und Harfe. So wie vier Generationen ihrer Familie zuvor entschied sie sich für ein Jurastudium. Feminismus war damals noch kein Thema für sie, Gerechtigkeit aber schon immer. „Die Bestrebungen der 68er Bewegung kamen erst mit Verspätung bei uns an der juristischen Fakultät an“, erzählt sie. Ein wichtiger frauenpolitischer Impuls war für sie ein Vortrag der CDU-Politikerin Rita Süssmuth, den sie 1982 als Berufsanfängerin hörte. Die damalige Direktorin des Instituts Frau und Gesellschaft in Hannover forderte ein „Ende der Bescheidenheit“.

„Frauen neigen dazu, ihre Fähigkeiten zu gering einzuschätzen. Sie brauchen keine Nachhilfe, sie brauchen Ermutigung.“

Für Hartung wurde das zu einem Leitmotiv: als erste weibliche Frauenbeauftragte 1990 im Innenministerium und später im Ministerium für Wissenschaft und Kultur, wo sie das Programm „Niedersachsen-Technikum“ installierte. Das Technikum gibt es immer noch: Abiturientinnen können hier über ein bezahltes Praktikum in einen technischen Beruf hineinschnuppern und parallel dazu erste Leistungspunkte an der Universität erwerben. „Frauen neigen dazu, ihre Fähigkeiten zu gering einzuschätzen“, sagt Hartung. „Sie brauchen keine Nachhilfe, sie brauchen Ermutigung.“ Für sie war es immer wieder faszinierend, wie selbstbewusst die jungen Frauen am Ende des sechsmonatigen Programms ihre Projekte präsentierten. „Sie erleben Selbstwirksamkeit. Auf der fachlichen Ebene merken sie: Ich kann das.“

Was in der Wissenschaft gilt, gelte auch in der Politik, ist Hartung überzeugt. „Wir haben doch Frauen gefragt“, sagen Kommunalpolitiker achselzuckend, wenn sie erklären, dass die Liste wieder überwiegend männlich besetzt ist. „Ihr müsst sie nochmal fragen, um die Schwelle des Selbstzweifels zu überwinden!“, fordert Hartung. In ihrer Kindheit schrieben Mädchen einander ins Poesiealbum: „Sei wie das Veilchen im Moose / bescheiden, sittsam und rein / und nicht wie die stolze Rose / die stets bewundert will sein.“ Heute hat das „Veilchen-Syndrom“, wie sie es nennt, andere Gesichter. Aber eines ist gleichgeblieben: „Frauen sind immer noch zu bescheiden.“

Barbara Hartung (rechts) im Gespräch mit Rundblick-Redakteurin Anne Beelte-Altwig. | Foto: Link

Sie selbst hat gewagt, was sich wenige Frauen in den 1980er Jahren erlaubt haben: Jeweils ein halbes Jahr nach der Geburt ihrer beiden Kinder kehrte sie in den Job zurück, wechselte sogar als junge Mutter in eine Leitungsposition. „Es war viel Aufwand und viel Kampf“, sagt sie rückblickend – und nicht zu schaffen ohne zahlreiche Frauen, die gegen Bezahlung die Sorgearbeit übernahmen. Ende der 1990er Jahre stellte sie einen Antrag auf Homeoffice. Es dauerte zwei Jahre, bis im Ministerium dazu eine Richtlinie verabschiedet wurde. „Heimarbeit“ wurde in besonderen Notlagen erlaubt, jedoch mussten die Kolleginnen alle drei Monate nachweisen, dass die Notlage weiter anhält. Hartungs eigener Antrag allerdings wurde abgelehnt: Sie könne sich ja in ihrer Position bezahlte Unterstützung leisten.

Im Landesfrauenrat bleibt sie ihren Lebensthemen treu: Aktuell macht sich der Dachverband für eine geschlechtergerechte Verteilung öffentlicher Mittel stark, von Fachleuten „Gender Budgeting“ genannt. Auch hier folgt Hartung ihrer Strategie: Daten sammeln, Schieflagen transparent machen und zeigen, welche Nachteile für die ganze Gesellschaft aus Ungerechtigkeiten entstehen. Denn bescheiden waren Frauen lange genug.

Dieser Artikel erschien am 5.4.2024 in Ausgabe #063.
Anne Beelte-Altwig
AutorinAnne Beelte-Altwig

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