2. Okt. 2023 · 
Parteien

Auch wenn die Ampel wehtut – die SPD in Hannover lässt sich nicht irritieren

Zu Beginn richtet die niedersächsische SPD-Generalsekretärin Dörte Liebetruth einen emotionalen Appell an die Genossen: „Wir Sozialdemokraten haben doch allen Grund, selbstbewusst aufzutreten“, ruft sie den Delegierten des SPD-Bezirksparteitages Hannover in der Hamelner „Rattenfänger-Halle“ zu. Dann ergänzt sie: „Ja, wir sind immer kritisch mit uns selbst, und wir leben auch in rauen Zeiten.“ Die Reformen, meint die Generalsekretärin, „dauern auch manchmal zu lange“. Aber die Sozialdemokraten seien es, die „die praktischen Probleme des Alltags lösen“. Da sei doch schon viel passiert – auf Bundesebene und auch im Land. Der Applaus für Liebetruths Rede ist warm und freundlich, aber nicht euphorisch. Die SPD-Delegierten, die zum regulären Wahlparteitag in Hameln zusammengekommen sind, treffen sich zu überwiegend gut gelaunten, entspannten Gesprächen. Aber große Zufriedenheit mit der aktuellen Politik – das spürt man hier nicht.

Foto: Wallbaum

Was in den nächsten Stunden folgt, ist eine Mischung aus Routine und kritischer Bestandsaufnahme. Der bisherige Vorsitzende Matthias Miersch aus Laatzen, Vize-Chef der SPD-Bundestagsfraktion, Rechtsanwalt und Wortführer der „Parlamentarischen Linken“ in der SPD, bleibt auch die nächsten zwei Jahre Vorsitzender. Der SPD-Bezirk Hannover reicht von Harburg bis Göttingen, bildet fast die Hälfte des Landes Niedersachsen ab und hat mit 22.438 Mitgliedern knapp die Hälfte aller niedersächsischen SPD-Mitglieder. Dieser Bezirk ist seit Jahrzehnten einer der größten Machtfaktoren der Sozialdemokraten – weit stärker als der Landesverband, der nur ein Dachverband für die Bezirke Hannover, Weser-Ems, Braunschweig und Nord-Niedersachsen ist. Miersch steht innerhalb der SPD eher links, ist aber flügelübergreifend akzeptiert. Seine Wiederwahl fällt glänzend aus, für ihn sind 194 Delegierte, neun stimmen mit Nein und vier enthalten sich.

Die Vize-Vorsitzenden Svenja Stadler (Harburg) und Karola Margraf (Göttingen) werden im Amt bestätigt, neu kommt Landtags-Fraktionschef Grant Hendrik Tonne (Nienburg) hinzu. Auch hier sind, wie überhaupt, die Ergebnisse sehr gut. Die SPD rückt in harten Zeiten enger zusammen. Der Aufstieg von Tonne in den engeren Führungskreis des SPD-Bezirks hat seinen Grund in einer anderen Personalie. Der Landtagsabgeordnete Ulrich Watermann (Bad Pyrmont), der seit 30 Jahren dem Bezirksvorstand angehörte und als „Strippenzieher“ galt – manche sagen auch „der heimliche Vorsitzende“ – zieht sich aus der Vorstandsarbeit zurück. Er bleibt noch Schatzmeister im Landesverband und Landtagsabgeordneter, aber seine wohl mächtigste Stellung in der Partei verlässt er nun.

„Die Politik muss pragmatisch sein und Lösungen für die Menschen anbieten.“

So wird der SPD-Bezirksparteitag über weite Strecken zur Abschiedsveranstaltung für Watermann. Der Vorsitzende schilderte die bisherige Rolle seines scheidenden Vizes sehr deutlich: „Du hast, als es um die Aufstellung von Wahllisten ging, immer einen Ausgleich der Interessen versucht“, betont Miersch und fügt hinzu: „Das hat man dann auch an den Wahlergebnissen sehen können.“ Damit meint er, dass Watermann wegen seiner mächtigen und entscheidenden Stellung zumeist auf SPD-Parteitagen eher mäßige Ergebnisse bekam – häufig wurde er bestraft von denen, die meinten, sie seien bei den Personalentscheidungen der SPD zu kurz gekommen. Somit kam Watermann in die Rolle des SPD-internen Sündenbocks, doch ihn selbst, hart im Nehmen, warf das nicht um. Zumindest bei diesem Bezirksparteitag gibt es mehrfach, zu Beginn und dann noch mal aus Anlass seiner Ehrung im Mittelteil, stehende Ovationen für Watermann. Der scheidende Strippenzieher selbst ermahnt die Genossen: „Die Politik muss pragmatisch sein und Lösungen für die Menschen anbieten.“ Man könne auch hier, wie so oft, Willy Brandt zitieren. Der habe mal gesagt, die Politik solle sich „zum Teufel scheren, wenn sie es nicht schafft, das Leben der Menschen einfacher zu machen.“

Foto: Wallbaum

Watermanns Appell ist zum einen eine Absage an die Ideologen, die auch im SPD-Bezirk Hannover immer wieder bemerkbar werden. Aber zum anderen kann man darin auch eine Kritik an der Arbeit der Ampel-Regierung in Berlin erkennen. Das kommt im Rechenschaftsbericht des Vorsitzenden Miersch noch klarer zum Vorschein. Die SPD, sagt Miersch, müsse in diesen schwierigen Zeiten klare Impulse aussenden. Dann lobt er Olaf Scholz und sagt, er sei „froh und stolz, dass wir einen Kanzler haben, der sorgfältig abwägt bei den Waffenlieferungen“. Beifall bleibt an dieser Stelle aus, erst wenig später, beim allgemeinen Friedensappell, folgt Applaus. Aber Miersch fügt noch einige kritische Passagen zur Arbeit der Ampel-Koalition an: Wer in diesen Zeiten bei der Demokratieförderung kürzen wolle – gemeint ist die Bundesregierung – dem müsse „ein Stoppschild gezeigt werden“. Dann sagt Miersch noch: „Manchmal geht einem dieser Ampel-Streit schon auf die Nerven, das muss sich ganz schnell ändern.“ Dabei müsse man sehen, dass die SPD der stärkste Partner in der Regierung sei und den Kanzler stelle. Das Wort „Führungsanspruch“ vermeidet der SPD-Bezirkschef allerdings, es steht nur unausgesprochen im Raum. Beifall erntet Miersch trotzdem.

Die Probleme der Bundesregierung sind nicht die einzige Schwierigkeit, die den Genossen derzeit zu schaffen macht. Seit Jahren schon plagen die Partei auch die strukturellen Veränderungen – obwohl die Parteifinanzen, auch dank guter Wahlergebnisse, nach den Worten von Schatzmeister Stephan Klecha geordnet sind. Der hauptamtliche Geschäftsführer Christoph Matterne schildert auf dem Parteitag die Lage: Vor zehn Jahren hatte der stolze SPD-Bezirk, einer der größten bundesweit, noch knapp 6400 mehr Mitglieder als heute. Trotz der 8000 Neueintritte in dieser Zeit ist die Bilanz negativ – weil sehr viele alte Genossen gestorben sind.

Der SPD-Bezirk zählt noch 30 Unterbezirke in den Landkreisen und kreisfreien Städten, und nach der Beteuerung von Miersch bleibt es das oberste Ziel, in jedem Unterbezirk die Zuständigkeit eines hauptamtlichen Mitarbeiters sicherzustellen. Immer mehr Aufgaben indes werden in der SPD zentralisiert, so wickelt die SPD Dortmund schon seit drei Jahren für den SPD-Bezirk Hannover viele Verwaltungsaufgaben ab. Schatzmeister Klecha ergänzt, die SPD könne sich „viele Doppelstrukturen nicht mehr leisten“. Konkreter wird er nicht, aber der Landesvorsitzende Stephan Weil hatte jüngst schon angekündigt, man wolle hier das Verhältnis von Landesverband und den vier Bezirksverbänden noch mal überprüfen. Auch er ging damals nicht stärker ins Detail.

Weil fehlt bei diesem Bezirksparteitag – er ist als Redner einer Demonstration gegen Rechtsextremismus in Eschede gefordert. Auch die beiden Landesminister des SPD-Bezirks glänzen durch Abwesenheit, Wiebke Osigus (Europa) und Andreas Philippi (Soziales). So bleibt der Bezirksparteitag in diesem Jahr ohne Anbindung an die Landesregierung.

Dieser Artikel erschien am 4.10.2023 in Ausgabe #170.
Klaus Wallbaum
AutorKlaus Wallbaum

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