Ein Schock war Corona für die Wirtschaft in Niedersachsen – und vielen sitzt er jetzt noch in den Gliedern, bald anderthalb Jahre nach Ausbruch der Krise. Was aber lernen wir daraus, was muss jetzt anders werden? Am Montag (14. Juni) sind die Vertreter der Sozialpartner, Arbeitgeber und Gewerkschaften, im Corona-Sonderausschuss des Landtags zu Wort gekommen. Sie äußerten sich zu der Frage, was der Staat jetzt machen muss – und in einem Punkt scheint zunächst große Einigkeit zu herrschen: Der Ruf nach kräftigen und entschlossenen Zukunfts-Investitionen ertönt.

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Dann aber folgt die Frage, ob das nun zur Not auch über weitere Schulden des Staates geregelt werden soll. Dazu sagte Volker Schmidt, Hauptgeschäftsführer der niedersächsischen Metall-Arbeitgeber: „Allein der Bund plant für 2021 mit einer Rekord-Neuverschuldung von 240 Milliarden Euro, 2020 waren es 130 Milliarden Euro. Auch das Land Niedersachsen hat 2020 einen Rekordbetrag von 8,8 Milliarden Euro zu verzeichnen. Insofern hat alles ein Preisschild, auch die wirtschaftlichen Folgen der Pandemiebekämpfung.“

Im Positionspapier des DGB heißt es hingegen: „Aus unserer Sicht braucht Niedersachsen ein Konjunktur- und Investitionsprogramm, das mit einem großen Volumen ausgestattet ist, nachhaltige Ziele verfolgt und unmittelbare Impulse setzt.“ Während man also bei den Arbeitgebern eine Grundskepsis gegenüber ausufernder Staatsverschuldung heraushört, ertönen bei den Gewerkschaften die Rufe nach viel mehr Staatstätigkeit – ohne Rücksicht auf die Kassenlage.

Hier nun die Schwerpunkte in der Bewertung der beiden Seiten:

Arbeitgeberverband Niedersachsenmetall:

Hauptgeschäftsführer Schmidt berichtet zunächst, dass die Wirtschaftshilfen zur Minderung der Pandemie unterschiedliche Wirkung gehabt hätten. Die Kurzarbeiter-Regelung und die Erweiterung der steuerlichen Verlustvorträge seien von den Firmen positiv bewertet worden, die befristete Mehrwertsteuersenkung und die „November-Hilfe“ seien hingegen nicht auf positive Resonanz gestoßen. Das Programm „Neustart Niedersachsen“ sei kritisiert worden, weil viele Antragsteller trotz Einhaltung der Frist nicht berücksichtigt worden waren. Es zeige sich, dass viele kleine und mittlere Unternehmen wegen der Corona-Arbeitsschutzvorkehrungen „erheblich belastet“ seien. Das fange an bei der Kostenbeteiligung für die Corona-Tests, die den Mitarbeitern als Angebot gegeben werden mussten, führe über andere Hygienemaßnahmen und ende bei der Homeoffice-Pflicht.

„In Deutschland sind die Kosten für Hygienekonzepte, Homeoffice und Tests vielfach höher als die Wirtschaftshilfen für Betriebe“, beklagt Schmidt. Österreich regele das wesentlich besser. In Niedersachsen hänge 60 Prozent der industriellen Wertschöpfung an automobilnahen Zweigen. Der massive Rückgang der Auto-Herstellungszahlen könne sich stark auf die Arbeitsplätze auswirken – 40 Prozent der Automobilzulieferer hätten für 2021 angekündigt, im Durchschnitt ein Fünftel ihrer Stellen abbauen zu wollen. Falsch wären laut Schmidt jetzt zusätzliche bürokratische Lasten, höhere Sozialabgaben und Steuern – nötig seien vielmehr steuerpolitische Signale für mehr Investitionen, so etwa die rückstandslose Abschaffung des Solidaritätszuschlags. Dass das von der Bundesregierung versprochene „Belastungsmoratorium“ für die Betriebe nicht umgesetzt werde, blockiere bei eigentlich notwendigen neuen Investitionen – und erzeuge „Vertrauensverlust“.

DGB-Landesbezirk:

Johannes Grabbe vom DGB-Landesbezirk Niedersachsen-Bremen stellt zunächst fest, dass sich 60 Prozent der Beschäftigten in der ersten und der zweiten Corona-Welle „mit ihrem Arbeitgeber zufrieden“ gezeigt hätten. Was die Belastungen angeht, gebe es große Unterschiede in den Berufsgruppen. Selbstständige und Angehörige der Dienstleistungsberufe seien besonders betroffen gewesen. Ungerechtigkeiten gebe es beim Homeoffice, da in der Produktion und beim Dienstleistungsbereich viele diese Chance nicht hätten nutzen können. Wenn es nun dauerhaft um die Ausstattung mit Heimarbeitsplätzen gehe, sollten Betriebs- und Personalräte frühzeitig von den Firmen- und Behördenleitungen eingebunden werden. Nötig sei zur Belebung der Wirtschaft eine Steigerung der privaten Konsumausgaben, dazu müsse „die Einkommenssituation privater Haushalte gestärkt werden“. Der DGB folgert: „Dann füllen sich die Auftragsbücher der Unternehmen wieder.“

Ein Recht auf Weiterbildung, ein „öffentlicher Beschäftigungssektor mit fairen Bedingungen für Langzeitarbeitslose“ und entsprechende Förderprogramme seien nötig. Die N-Bank habe in der Corona-Krise dankeswert gearbeitet, aber man habe auch ihre „Grenzen“ gespürt. Für eine notwendige Investitionsoffensive müsse die N-Bank „von einer vergleichsweisen kleinen Förder- zu einer schlagkräftigen Infrastrukturbank ausgebaut werden“. Der DGB pocht auf den Sonntagsschutz, auf die Arbeitszeitverordnung und auf Standards bei der Vergabe öffentlicher Aufträge. Wie Niedersachsenmetall übt auch der DGB Kritik an den „Neustart“-Programmen des niedersächsischen Wirtschaftsministeriums. Es fehlten nachvollziehbare Kriterien ebenso wie eine Erfolgskontrolle.

Industrie- und Handelskammer Lüneburg-Wolfsburg:

Michael Zeinert, Hauptgeschäftsführer der IHK Lüneburg-Wolfsburg, nennt mehrere Mängel im niedersächsischen Corona-Krisenmanagement. So hätten die unterschiedlichen Regeln zwischen benachbarten Landkreisen dazu geführt, dass ein „Einkaufstourismus“ entsteht. Widersprüchliche Regeln hätten zumeist kleinen Fachgeschäften geschadet – und weil die Zeitspanne zwischen der Festlegung einer neuen Verordnung und ihrer Umsetzung viel zu kurz gewesen sei, hätten Handel, Gaststätten und Hotels oft nicht schnell genug reagieren könne. Gerade zu Beginn der Pandemie sei die öffentliche Verwaltung „massiv überfordert“ gewesen – der gravierende Mangel an digitalen Wegen sei sichtbar geworden. Jetzt müssten die Genehmigungs- und Planungsverfahren drastisch verkürzt werden, der Handel brauche „maximale Flexibilität hinsichtlich der Ladenöffnungszeiten“.

Verkaufsoffene Sonntage seien sinnvoll, damit die Kundenströme entzerrt werden können. Die IHK wendet sich gegen den Plan, die Flächen-Neuversiegelung bis 2030 auf unter drei Hektar täglich zu drücken – denn „die Wirtschaft kann ohne die Ausweisung ausreichender und leistungsfähiger Industrie- und Gewerbeflächen nicht wachsen und wettbewerbsfähig bleiben“. Nicht ausreichend sei zudem die Aussage des Landes, beim Breitbandausbau 25 Prozent der Kosten übernehmen zu wollen – denn dann blieben die Kommunen auf 15 Prozent sitzen, gerade mit Blick auf die dünnbesiedelten, unwirtschaftlichen Zonen. Das Land solle hier, wie der Bund es erlaubt hat, die volle Förderung ausschöpfen und 40 Prozent der Kosten tragen. Noch eine weitere Forderung rundet den IHK-Katalog ab: Damit die Gewerbesteuerspirale der Kommunen nicht ständig steigt, solle endlich eine Schranke im Kommunalen Finanzausgleich beschlossen werden – eine Forderung, die etwa vom Bund der Steuerzahler und von der FDP schon vor längerer Zeit erhoben wurde. (kw)