93-jähriger früherer KZ-Wachmann muss mit Mord-Anklage rechnen
Als der frühere Auschwitz-Wachmann Oskar Gröning Mitte 2015 in Lüneburg vor Gericht stand und verurteilt wurde, meinten viele, dies sei „der letzte große NS-Prozess“ gewesen. Doch das könnte ein Irrtum gewesen sein. Die Staatsanwaltschaft Oldenburg teilte gestern dem Rundblick auf Anfrage mit, dass gegen einen 93-jährigen Mann „wegen des Verdachts der Beihilfe zum Mord“ ermittelt werde. Die Akten wurden weitergeleitet an die Generalstaatsanwaltschaft in Celle – denn dort sitzt ein Staatsanwalt, der sich auf diese Fälle spezialisiert hat. Der 93-Jährige, dessen Wohnort nicht mitgeteilt wurde, war 1942 und 1943 als Hundeführer und Wachmann für Konzentrationslager eingesetzt. Wo genau, wird auch nicht mitgeteilt. In dem Konzentrationslager sei es „zur Tötung einer Vielzahl von Menschen“ gekommen, heißt es weiter.
Dass der Mann nun mit einer Anklage wegen Beihilfe zum Mord rechnen muss, liegt an der geänderten Rechtsauffassung, die im Fall des verurteilten Oskar Gröning sogar vom Bundesgerichtshof bestätigt wurde. War es früher vor Gericht oft so, dass jedem Beschuldigten eine konkrete Beteiligung an einem Mord vorgeworfen werden musste, wenn er wegen Beihilfe schuldig gesprochen werden sollte, so hat sich die Rechtsprechung jetzt geändert – und zwar nicht erst mit dem Fall Gröning, sondern vorher schon im Fall des SS-Hilfsarbeiters John Demjanjuk, der 2011 vom Landgericht München wegen Beihilfe zum Mord in 28.000 Fällen verurteilt wurde. Damals meinten die Richter erstmals, der Angeklagte habe als „Teil der Vernichtungsmaschinerie“ gewirkt und sei deshalb schuldig. Diese Argumentation wurde vom Landgericht Lüneburg auch im Fall Gröning übernommen. Da eine BGH-Entscheidung bei Demjanjuk ausstand, weil der Angeklagte vorher starb, wurde vor wenigen Wochen bei Gröning dieses höchstrichterliche Urteil gesprochen – es bestätigte die Haltung der Richter in München und in Lüneburg.
So könnte es im Fall des 93-Jährigen zu einem Prozess vermutlich in Oldenburg kommen, allerdings nur, wenn die Ermittlungen in eine Anklage münden und der Mann auch gesund genug ist, vor Gericht gestellt zu werden. In einem anderen Fall, der die Region Hannover betrifft, ist dies nun allerdings nicht der Fall. Die Zentralstelle der Justizverwaltungen in Ludwigsburg, die alle Vorermittlungen zu NS-Tätern zusammenstellt, hatte auch den Namen eines 91-jährigen früheren Wachmanns aus der Region Hannover an die Staatsanwaltschaft Hannover übermittelt. Diese leitete den Fall zur Generalstaatsanwaltschaft Celle weiter – und dort wurde entschieden, wie ein Sprecher gestern dem Rundblick mitteilte, das Verfahren „mangels hinreichenden Tatverdachts einzustellen“. Dem heute 91-Jährigen wurde vorgeworfen, im Sommer 1944 als Angehöriger der Waffen-SS in Stutthof bei Danzig tätig gewesen zu sein. Zwischen Juli und Oktober 1944 war dieser Ort „Schauplatz systematischer Tötungen“, berichtet die Generalstaatanwaltschaft Celle, dabei sei auch das Giftgas Zyklon B eingesetzt worden. Neben dem Stammlager des Konzentrationslagers Stutthof habe es aber auch Außenlager gegeben, die dem Einsatz von Zwangsarbeitern gedient hätten. Da nicht klar nachzuweisen sei, ob der Beschuldigte seinen Dienst im Stammlager versah oder in einem der Außenlager, könne man auch nicht sicher sein, ob er von den Tötungen wusste. Daher muss der Mann nicht mehr mit einer Anklage rechnen.Dieser Artikel erschien in Ausgabe #232.