12. Apr. 2018 · Kommentar

74 Tage Präventivhaft für mögliche Terroristen? Das klingt sinnvoll

Darum geht es: Noch immer sind sich SPD und CDU uneins über die genaue Ausgestaltung des neuen Polizeigesetzes. In einem Kernpunkt gibt es jedoch einen Kompromiss, an dem nicht mehr gerüttelt werden sollte, findet Isabel Christian. Darf man jemanden einsperren, obwohl er noch nichts verbrochen hat? Im Grunde sind Präventivhaft und bürgerliche Freiheitsrechte unvereinbar. Und in einem Rechtsstaat ist die Freiheit jedes Einzelnen – vor allem vor staatlichen Repressalien – eines der höchsten Güter. Was aber, wenn Einzelne ihre Freiheit dazu missbrauchen wollen, um gegen Gesetze zu verstoßen und anderen nicht nur Freiheiten, sondern auch das Leben zu nehmen? In diesem Falle hat der Staat das Recht, diese Personen in Gewahrsam zu nehmen. In der Regel bleibt die Aufregung darüber in Grenzen. Fußballchaoten kommen in Gewahrsam, damit sie während eines Spiels nicht randalieren können, gleiches gilt für gewaltbereite Demonstranten. Diese Menschen werden in der Regel nach der Veranstaltung wieder entlassen, fast immer sitzen sie nur einige Stunden bis einen Tag in Gewahrsamszellen. Was aber soll man tun mit jemandem, der immer eine Gefahr darstellen kann, weil er irgendwo einen Anschlag plant? Momentan darf ein Richter nach dem geltenden niedersächsischen Polizeigesetz den Gewahrsam für maximal zehn Tage anordnen, wenn davon auszugehen ist, dass die Person eine Straftat begeht. Dafür müssen dem Richter aber ausreichend Beweise vorliegen. Das kann zwar gelingen, wie der Fall der beiden Gefährder aus Göttingen im vergangenen Jahr gezeigt hat. Doch die Ermittler der Polizei haben nicht nur unter Hochdruck gearbeitet, sie hatten auch Glück, dass die Verdächtigen ihnen in ihren Wohnungen so viele Beweise quasi „auf dem Silbertablett“ serviert haben. Es darf aber keine Frage des Glücks sein, ob Gefährder gestoppt werden oder nicht. Mit dem ursprünglichen Vorschlag der damaligen rot-grünen Landesregierung, die Frist auf vier Tage zu verkürzen, würde das Verhindern von Anschlägen noch mehr zum Russisch-Roulette. Je kürzer die Frist, umso schwieriger für die Polizei, gerichtsfeste Beweise zu finden, die eine konkret geplante Straftat tatsächlich belegen. Vor allem, wenn es um so etwas Diffuses wie einen Terroranschlag geht. Hier ist den Polizeibehörden beispielsweise durch Observation zwar bekannt, dass der Gefährder mit dem Gedanken an eine Tat spielt oder sie konkret plant. Aber wann und wo er das plant, und wer das Ziel ist, das ist auf dem passiven Wege in der Regel nicht zu erfahren. Das müssen die Beamten während der Gewahrsamszeit herausfinden. Natürlich ist dabei Eile geboten. Aber was wäre, wenn die Überweisung einer hohen Summe von einer Terrororganisation auf das Konto des Verdächtigen den Anschlagsplan beweisen könnte, die Bank aber Freitagmittag schon ins Wochenende geht? Der von der CDU zunächst vorgeschlagene Weg, den Gewahrsam für terroristische Gefährder auf bis zu anderthalb Jahre auszudehnen, ist mit rechtsstaatlichen Grundsätzen nicht zu vereinbaren. Einer Behördenmentalität, alles erst einmal in Ruhe zu prüfen und sacken zu lassen, darf mit solchen langen Fristen nicht Tür und Tor geöffnet werden. Und man braucht diese extreme Zeitspanne auch nicht. Wenn die Gefahr für einen Anschlag groß ist, wird die Polizei relativ schnell Beweise finden. Und wenn sich der Verdacht nicht erhärten lässt, dann muss das Grundrecht Vorrang haben. Im Koalitionsvertrag haben sich die Koalitionäre deshalb auf einen vernünftigen Mittelweg geeinigt: Ausreichend Zeit, insgesamt 74 Tage Präventivhaft maximal, damit die Ermittler Beweise für konkrete Straftaten finden können. Außerdem viele Mittel, gefährliche Personen überwachen zu können – Meldeauflagen, Fußfesseln und Kontaktsperren. Die Frage ist nur: Sollte das lediglich auf potenzielle Terroristen bezogen sein? Was ist mit anderen kriminellen Strukturen, in denen sich die Hintermänner und Finanziers der Terroristen bewegen? Eine Ausweitung der im Entwurf von Innenminister Boris Pistorius eng gefassten Bedingungen, unter denen die Polizei aktiv werden kann, erscheint sinnvoll und überlegenswert. 

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Dieser Artikel erschien in Ausgabe #70.
Martin Brüning
AutorMartin Brüning

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