Zwei Minister betreiben ihr erstes Insektenhotel
Moos und Schneckenhäuser, Baumrinde und Tannenzapfen, Äste und Bambusstäbe – das ist das ungewöhnliche Material, aus dem die Einrichtung des neusten Luxushotels in Hannover gemacht ist. Auf drei Baumstämmen ist das Haus errichtet und soll schon bald vielen Gästen eine angenehme Heimstatt bieten. Allerdings ist das Hotel relativ klein, hat viele Löcher in den Wänden und es liegt direkt an einer vielbefahrenen Hauptstraße. Für den Menschen klingt das nicht besonders verlockend, doch für den ist es auch gar nicht gemacht.
Am Leineufer, direkt vor dem wuchtigen Bau des Ministeriums für Wissenschaft und Kultur, eröffnete gestern das erste interministerielle Insektenhotel der Landesregierung. Künftig soll der knapp zwei Meter hohe Bau Hummeln und Wildbienen, Schweb- und Florfliegen sowie Ohrwürmern ein Zuhause bieten. Dazu wurden an den drei Fronten des Insektenhotels übergroße Setzkästen mit allerlei Material ausgestattet, das den kleinen Krabblern eine ansprechende Umgebung zum Nisten bieten soll. Denn genau solche Räume werden gerade in den Städten immer knapper.
Zur Einweihung des ungewöhnlichen Neubaus luden Wissenschaftsminister Björn Thümler und Agrarministerin Barbara Otte-Kinast (beide CDU). Die Idee dazu kam den beiden Kabinettsmitgliedern im niedersächsischen Landtag – allerdings nicht in einem Ausschuss oder als Ergebnis einer spannenden Debatte während der Plenarwoche, sondern bei einem Plausch, den Thümler und Otte-Kinast als Sitznachbarn auf der Regierungsbank abhielten (vermutlich hörten sie gerade nicht so genau zu, was offiziell debattiert wurde). Thümler wollte gerne eine Blühwiese auf dem Grünstreifen vor seinem Ministerium anlegen lassen, und Otte-Kinast überzeugte ihn davon, dass sich dort zusätzlich auch ein Insektenhotel gut machen würde. Die Blühwiese gibt es dort nun schon seit dem Frühjahr, das Insektenhotel errichteten Auszubildende der Landesforsten in der vergangenen Woche.
Ein bisschen mehr Natur in die Großstadt zu bekommen, ist ganz offensichtlich ein Herzensanliegen von Niedersachsens Agrarministerin. Sie brennt für dieses Thema und möchte möglichst viele andere mit ins Boot holen. „Schauen Sie mal, unser neues Insektenhotel“, rief sie sodann gestern sichtlich stolz einem vorbeiradelnden Senioren-Paar zu, das neugierig auf die Ansammlung auf dem Ministeriumsrasen schaute. Sie will die Menschen begeistern und mitnehmen bei dieser ökologischen Umgestaltung der Stadt von unten. „Urban Gardening“ nennt sich neudeutsch das Anlegen solcher kleinen Gärtchen oder bunten Wiesen mitten in der Stadt. Wissenschaftsminister Thümler ist der Meinung, das müsse nun Schule machen: „Biodiversität soll nicht nur ein Schlagwort sein, sondern Nachhaltigkeit in die Stadt holen“, sagte der Minister und appellierte an die Bevölkerung: „Bitte macht es nach!“
Nicht erst, seitdem sich die Landesregierung auf ihren ganz besonderen „niedersächsische Weg“ für mehr Artenschutz begeben hat, achtet die Agrarministerin auf solche kleine ökologischen Prestigeprojekte. An symbolträchtiger Stelle, nämlich zwischen dem Umwelt- und dem Agrarministerium in Hannovers Calenberger Neustadt, findet man daher seit mehr als zwei Jahren eine bunte Blühwiese. Statt Schottergarten, Rindenmulch oder einer blütenlosen Hecke wachsen hier wildes Gras und wilde Blumen. Dieses kleine Insektenparadies war Otte-Kinasts erster Schritt in ihrer Mission, den Artenschutz in die Stadt zu bekommen. Im vergangenen Jahr wurden an gleicher Stelle langlebigere Blühstauten angepflanzt.
Doch damit noch nicht genug: Abseits des öffentlichen Blicks stehen im Garten des Ministeriums inzwischen auch vier Bienenstöcke. Dort ist sogar jetzt im Herbst noch ein buntes Treiben der Honigbienen zu beobachten. Damit die fleißigen Insekten aber auch genug Nahrung finden, hat die Ministerin noch weitere Vorkehrungen an ihrem Haus getroffen. „Die Blumenkästen im Karten und auch vorne am großen Sitzungssaal werden nur noch mit bienenfreundlichen Blumen bepflanzt“, erzählt Otte-Kinast. Artenschutz geht auch im Kleinen, will sie damit zeigen, und zum Nachahmen animieren.
Otte-Kinast setzt auf Vorbildfunktion
Doch es ginge noch so viel mehr. Lässt die Ministerin den Blick im Garten ihres Ministeriums schweifen, fallen ihr noch weitere Rasenflächen ins Auge. Solche schnöden Grünflächen sollen weichen, wünscht sich Otte-Kinast, sie sollen wild werden, naturnah. Der gut gepflegte englische Rasen, einst Ausdruck von Ordnung und Anstand, bei dem weder Moos noch irgendein anderer Wildwuchs zugelassen werden, ist genau das Gegenteil von dem, was sich die CDU-Ministerin wünscht. Dabei blickt sie nicht nur auf die Rasenflächen entlang ihres eigenen Ministeriums, sondern auch rund um die Neustädter Hof- und Stadtkirche oder das evangelische Landeskirchenamt, das man vom Ministeriumsgarten aus gut sehen kann.
Da müsse man mal ins Gespräch kommen, sagt sie, auch mit den Kommunen. Denn man müsse genau schauen, wem welche Flächen gehören. Steht man beispielweise vorm Haupteingang vom Agrarministerium, erkennt man linkerhand die Blühwiese des Agrarministeriums. Doch auf der rechten Seite des Eingangsportals ist es nicht so bunt, die Fläche gehört nämlich der Landeshauptstadt. „Wir müssen auch die Bauhöfe und die Stadtverwaltung in die Pflicht nehmen“, meint Otte-Kinast.
Wäre da nicht ein Gesetz gut, das die Menschen zwingt, Grünflächen naturnah zu gestalten, Dächer zu begrünen und in ihren Gärten auch Insektenhotels aufzustellen? Davon hält die Ministerin nichts. Sie setzt stattdessen auf das positive Vorbild und die kleinen Schritte – damit erreiche man mehr als mit Zwang. Ihren Kabinettskollegen konnte sie mit ihrer Begeisterung bereits anstecken. Nach der Blühwiese und dem Insektenhotel sollen im kommenden Jahr nun auch Bienenstöcke folgen, kündigte Thümler an. Auf diesen Effekt setzt Otte-Kinast nun auch beim Rest der Bevölkerung. Ausreichend Flächen finden sich jedenfalls, wenn man nur genau danach schaut.
Von Niklas Kleinwächter