Zuzugsstopp für Flüchtlinge: Darum ist Weils Entscheidung gewagt
Darum geht es: Ministerpräsident Stephan Weil hat sich für eine Zuzugssperre für Flüchtlinge in Salzgitter entschieden – und treibt damit nicht nur viele Grüne zur Weißglut. Dazu ein Kommentar von Klaus Wallbaum.
Wer eine ausgefeilte Strategie hinter dem jüngsten Vorstoß von Ministerpräsident Stephan Weil vermutet, liegt wohl falsch. Ein Teil der Sozialdemokraten wird denken, dass der Regierungschef sich endlich vom lästigen grünen Koalitionspartner befreie, dass er endlich einen eigenständigen Weg einschlage. In der Tat legt sein Votum für eine Zuzugssperre für Flüchtlinge diese Einschätzung nah. Doch Weil ist kein zweiter Gerhard Schröder, der am Ende der ersten rot-grünen Koalition 1994 so stark war, dass er mit seiner Politik auf eine absolute Mehrheit der Sozialdemokraten zusteuern konnte. Für Weil müsste klar sein: Auch nach der Landtagswahl am 15. Oktober dürfte er auf Koalitionspartner angewiesen sein, wenn er denn überhaupt die Chance erhält, als Regierungspartner gefragt zu werden. Für eine Fortsetzung von Rot-Grün aber ist diese Initiative eine denkbar schlechte Basis.
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Das macht nun das Dilemma der Sozialdemokraten deutlich: Der rechte Flügel wird zunächst angetan sein über Weils neuen Kurs in der Flüchtlingspolitik. Der linke Flügel aber, zu dem Weil selbst bisher auch immer gerechnet wurde, dürfte hochgradig irritiert sein. Klar, die Grünen haben sich mit der Aufstellung ihrer Landesliste in eine extreme Ecke katapultiert, weder CDU noch FDP halten sie für bündnisfähig. Damit ketten sie sich an die Sozialdemokraten. Aber heißt das automatisch, dass die Grünen jede Wendung von Stephan Weil still murrend mittragen werden, noch dazu, wenn diese so sehr an den Kernbestand rot-grüner Politik geht wie diese Einschränkung der Freizügigkeit für Flüchtlinge? Wohl nicht. Die jüngste Neubestimmung des Ministerpräsidenten passt auch zu zwei anderen aktuellen Entwicklungen nicht: Erstens haben die meisten Befragten in einer aktuellen NDR-Umfrage angegeben, Rot-Grün sei ihre Lieblingskonstellation nach der Landtagswahl. Nun wird aber offenbar, wie aufgebraucht die Gemeinsamkeiten zwischen beiden Parteien tatsächlich sind. Zweitens hatte Weil noch vor wenigen Tagen in einem Interview offen bekundet, am liebsten wolle er die rot-grüne Koalition fortsetzen – und er werde alles dafür tun, dass sie bestätigt wird. Passt sein plötzlicher Affront an die Adresse der Grünen dazu?
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Zunächst ist festzuhalten, dass der Schritt in der Sache durchaus sinnvoll ist, in Salzgitter wartet man auf eine solche Wohnsitzauflage schon seit fast einem Jahr. Man kann rätseln, welche Motive Weil geritten haben, gerade jetzt damit aufzutreten. Konnte er nicht anders, weil die Lage in Salzgitter sich derart zugespitzt hätte? Das scheidet aus, denn die zwei Monate hätte er noch warten können, die Zuzugssperre wäre dann eines der ersten Themen der neuen Regierung geworden. Nein, Weil provoziert die Grünen kurz vor der Wahl bewusst. Vermutlich will er als starker, handlungsfähiger Ministerpräsident erscheinen – ganz so, wie es Gerhard Schröder früher mal getan hat. Es ging ihm wohl um das eigene Profil, die eigene Statur. Doch was sollen die SPD-Wahlkämpfer davon halten? In den ersten Reaktionen aus der SPD-Landtagsfraktion klingt Zurückhaltung durch – Weils Vorstoß wird sehr vorsichtig bewertet. Wenn die Sozialdemokraten nun an den Wahlkampfständen der Grünen als jene beschimpft werden, die für „einen herben Rückschlag in der menschenrechtsbasierten Flüchtlingspolitik“ (Belit Onay) verantwortlich seien, so bringt das nicht nur den linken Flügel der Sozialdemokraten in die Defensive. Damit stürzt er die ganze Partei in Erklärungsnöte, die als wesentliche Rechtfertigung ihrer Regierungsarbeit bisher immer auch „eine Willkommenskultur gegenüber Zuwanderern“ gepredigt hatte.
Tatsächlich sagt der Vorgang viel über die momentanen Nöte der SPD aus. Sozialdemokraten und Grüne stehen sich längst nicht mehr so nah, wie es die führenden Politiker beider Parteien behaupten. Aber für eine Hinwendung zur CDU, in die Richtung einer Großen Koalition, fehlen bei den Sozialdemokraten auch klare Anzeichen. Viele Kommunalpolitiker wollen das sicher, aber bei den Funktionären in den Ortsvereinen und Unterbezirken, die an den Wahlkampfständen Flyer verteilen und Bürger überzeugen sollen, dürfte das mehrheitlich auf wenig Begeisterung stoßen. Und dass die Befürworter von Schwarz-Rot in der SPD nach der Bundestagswahl größer werden, ist wohl auch nicht zu erwarten.