Wie weit sollte die Barrierefreiheit beim Bau neuer Gebäude gehen? In einer Anhörung  im Sozialausschuss zur neuen niedersächsischen Bauordnung haben Experten sowohl auf die Kosten als auch auf den Aufwand beim barrierefreien Bauen aufmerksam gemacht. „Es ist uns ein Anliegen, mit unserem Know-How zur Barrierefreiheit beizutragen. Die Forderung nach einer durchgängigen Barrierefreiheit sehen wir aber kritisch“, sagte Christiane Kraatz von der Architektenkammer Niedersachsen. „Wenn jeder Raum und jedes Hotelzimmer barrierefrei sein muss, führt das nicht nur zu deutlichen Kostensteigerungen. Es geht auch am Bedarf vorbei.“ Kraatz berief sich auf eine Studie aus Nordrhein-Westfalen, nach der das barrierefreie Bauen zu Kostensteigerungen zwischen 15 und 20 Prozent führt. Diese Größenordnung geht aus auch dem Bericht der Baukostensenkungskommission hervor.

Barrierefreies Bauen führt zu Kostensteigerungen zwischen 15 und 20 Prozent – Foto: MB.

Kraatz plädierte dafür, dass Thema Barrierefreiheit mit Augenmaß zu betrachten. Die Vorgaben bei Klimaschutz, Brandschutz und Barrierefreiheit führten inzwischen zu planerischen Zwängen, die teilweise gar nicht mehr lösbar seien oder nur mit erheblich höheren Kosten bewältigt werden könnten. Kraatz nannte als Beispiel den Bau einer Schule, bei dem die Türklinken auf einer Höhe von 85 Zentimeter angebracht, zugleich aber besonders breite Türen eingebaut werden mussten. Das führte dazu, dass man die Türen nur mit hohem Kraftaufwand öffnen und schließen konnte. Am Ende sei ein elektrischer Türöffner eingebaut worden – das führte zu erheblichen Kostensteigerungen. Auch die kommunalen Spitzenverbände bezeichneten die Barrierefreiheit als Kostentreiber. Sie plädierten für Erleichterungen bei kleineren Bauvorhaben. Ausnahmen könnten sich an der Quadratmeterzahl oder in Hotels und Gasthöfen an der Bettenanzahl orientieren.

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Die Landesbeauftragte für Menschen mit Behinderungen, Petra Wontorra, sagte dagegen, ein grundlegendes Prinzip der UN-Behindertenrechtskommission sei die Zugänglichkeit. Der demographische Wandel werde darüber hinaus zu einem zusätzlichen Bedarf bei barrierefreien Büros und Wohnungen führen. „Mir ist wichtig, dass wir mit diesem Gesetz Lücken schließen und keine neuen Lücken aufmachen.“ Barrierefreiheit dürfe nicht nur unter dem Kostenaspekt diskutiert werden. „Sie ist auch ein Qualitätsmerkmal. Und wenn Barrierefreiheit immer mehr zum Standard wird, dann wird sie auch günstiger.“ Wontorra zufolge reicht es nicht aus, nur zwei Wohnungen im Erdgeschoss barrierefrei zu gestalten. „Viele Menschen mit Behinderungen wollten gerade nicht im Erdgeschoss wohnen. Wer eine Mobilitätseinschränkung hat, traut sich dort zum Beispiel oft nicht, ein Fenster zu öffnen.“ Der Geschäftsführer des Blinden- und Sehbehindertenverbandes Niedersachsen, Hans-Werner Lange, stellte fest, die Bereitschaft zum barrierefreien Bauen sei in der Gesellschaft relevant gestiegen.

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Thema im Ausschuss waren ebenfalls die steigenden Baukosten. Der SPD-Politiker Marco Bunotte fragte, ob sich Baukosten senken ließen, wenn man die Verpflichtung für Stellplätze reduzieren würde. Das sehen die kommunalen Spitzenverbände allerdings skeptisch. Dort würde man sich zwar über eine stärkere Nutzung von Carsharing und Bussen und Bahnen freuen. Wenn Kinder den Führerschein bekämen, stünden allerdings bei vielen Familien in Niedersachsen eher mehr Autos vor der Tür. Für eine Lockerung der Stellplatzanforderungen spricht sich dagegen der Verband Haus und Grund aus. Die Entscheidung über Stellplätze sollte den Bauherren in eigener Verantwortung überlassen werden, heißt es in der Erklärung des Verbandes. Haus und Grund spricht sich darin auch erneut für eine Baupreisbremse aus. So müssten Bearbeitungsfristen für Baugenehmigungsverfahren eingeführt werden. Außerdem fordert der Verband „realitätsnähere Rechnungsmethoden“ bei der Kostenermittlung für energetische Anforderungen. Der CDU-Politiker Max Matthiesen verwies im Ausschuss mehrfach auf den Bericht der Baukostensenkungskommission. In dem fast 200 Seiten starken Bericht gibt das Bündnis für bezahlbares Bauen und Wohnen konkrete Empfehlungen, um die steigenden Baukosten in den Griff zu bekommen.