Trotz Rekordwerten sei die Stimmung in der Agrarbranche angespannt. Das berichteten die Wirtschaftsprüfer von Ernst & Young (EY) gestern bei der Vorstellung des aktuellen Konjunkturbarometers Agribusiness. Darin analysiert EY gemeinsam mit der Universität Göttingen die Wirtschaftszahlen der vor- und nachgelagerten Gewerbe rund um die Landwirtschaft – von der Saatgut- und Futtermittelindustrie bis zur Molkerei oder dem Schlachter, von den Landmaschinenproduzenten bis zum Hersteller von Pflanzenschutzmitteln.


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Experimentierfelder sollen Bauern die Digitalisierung näherbringen


Grund für die schlechte Stimmung sei der Druck von außen bei gleichzeitig ausbleibenden Zukunftsaussichten, erläutert EY-Niederlassungsleiter Christian Janze. Die Landwirtschaft stehe unter einem enormen Nachhaltigkeitsdruck. Gleichzeitig werde durch neue Freihandelsabkommen der Wettbewerb gesteigert. Vor allem die ressourcenintensive Nahrungsmittelindustrie mache sich deshalb Sorgen um den Wirtschaftsstandort Deutschland.

„Es fehlt das positiv besetzte Zukunftsthema. Es fehlt der strategische Ansatz, wie wir in Zukunft Lebensmittel produzieren und den Wettbewerb regeln wollen“, sagt Janze. Ganz anders sei das in der Automobilindustrie. Dort werde der Transformationsprozess mit viel Geld unterstützt, etwa indem man die Elektromobilität marktfähig macht. Eine vergleichbar große Anstrengung vermisst Janze bei den bevorstehenden Veränderungen in der Agrarbranche. Dabei nimmt er allerdings die Branche selbst nicht aus der Pflicht. Diese habe zu lange die Zeichen der Zeit nicht erkannt und die Agrarministerien als verlängerten Arm der Bauernverbände verstanden. Jetzt müsse die Branche zeigen, wofür sie steht.

Digitalisierung könnte „positives Zukunftsthema“ der Agrarbranche werden

Beim Blick auf die aktuellen Zahlen machen sich die Wirtschaftsprüfer besonders Sorgen um den Bereich der Landtechnik. Zwar steige dort die Anzahl der Betriebe, und auch die Zahl der Beschäftigten habe 2019 ein Zehn-Jahres-Hoch erreicht. Der Umsatz ging jedoch zurück und lag im vergangenen Jahr nach ersten Berechnungen nur noch bei 8,4 Milliarden Euro. In der Langzeitbetrachtung ist das kein schlechter Wert, doch im Vergleich zum Vorjahr stellt er einen Rückgang um 2,7 Prozent dar. Für Janze drücken diese Zahlen wachsende Unsicherheit bei Investitionen aus.

Dabei erkennt er gerade im technischen Bereich die Zukunft der Branche. Das vermisste Zukunftsthema liege seiner Ansicht nach auf der Hand: die Digitalisierung. Doch hier dürfe die Branche nun nicht den Anschluss verlieren. Allerdings zeigt sich Janze auch zuversichtlich. Niedersachsen biete gute Voraussetzungen, es gebe viele Start-Ups sowie Forschungs- und Fördereinrichtungen. Es habe sich „geradezu ein Silicon Valley der Landtechnik-Branche“ gebildet, sagt er. Auch diese Entwicklung spiegele sich in den Zahlen des Konjunkturbarometers wider. Es gebe zahlreiche Neugründungen von kleinen Unternehmen, in denen über Innovationen nachgedacht werde – zum Beispiel über neue Wege der Vermarktung oder die alternative Erzeugung tierischer Eiweiße.

Positiver Trend in der Ernährungsindustrie – wegen der Schweinepest in China

In der Ernährungsindustrie ist der Umsatz laut des Konjunkturbarometers im vergangenen Jahr wieder gestiegen und liegt bei etwa 184 Milliarden Euro. Die beiden größten Wirtschaftszweige, die Fleisch- und die Molkereiwirtschaft, stehen dabei insgesamt gut da: Die Umsätze steigen und liegen mitunter auf einem Rekordniveau. Doch die Zahlen seien mit Vorsicht zu genießen, gerade in der Fleischwirtschaft mahnt Janze vor einem Sonderkonjunktureffekt. Insgesamt gehe die Nachfrage nach Geflügel weiter nach oben, berichtet Marie Diekmann von der Uni Göttingen. Bei Schwein- und Rindfleisch halte aber der Abwärtstrend an.

Positive Effekte auf den Schweinefleischexport habe es im vergangenen Jahr nur deshalb gegeben, weil China mit der afrikanischen Schweinepest zu kämpfen habe. „Daraus darf man aber keine dauerhaft starke Position ableiten“, sagt Janze. „Wir profitieren da jetzt von, aber das muss so nicht bleiben.“ Insgesamt sei der Schweinebestand in Deutschland rückläufig. Das liege vor allem an der Verschärfung des Düngerechts und den höheren Tierwohlstandards. Das Geschäftsklima in der Fleischwirtschaft, vor allem bei Schlachtern und im Bereich der Fleischverarbeitung, sei deshalb in der Tendenz überwiegend negativ, berichten die Wissenschaftler.