Wirtschaft im Dauertief: Wo bleibt der Impuls, der Mut macht?
Nach dem verpassten Sommermärchen steht der niedersächsischen Wirtschaft nun auch noch ein harter Winter bevor. „Die Industrie hat offensichtlich Standortprobleme, die Exporte stagnieren und die Konjunktur bleibt weiter impulslos“, kommentiert Maike Bielfeldt, Hauptgeschäftsführerin der IHK Niedersachsen (IHKN), die Ergebnisse der Herbstkonjunkturumfrage. Die ohnehin schlechte Stimmung hat sich weiter verschlechtert: Der IHKN-Konjunkturindikator sinkt um neun auf 75 Punkte, während der langjährige Durchschnitt bei 102 Punkten liegt. Nach der Corona-Pandemie und dem Ukraine-Krieg rutscht die Geschäftslaune zum dritten Mal innerhalb von vier Jahren in den Keller. „Wir haben dasselbe Tief, aber keine externen Effekte mehr“, sagt Bielfeldt. Das bedeutet im Umkehrschluss, dass die aktuelle Krise zum Teil hausgemacht ist. Ein nennenswerter Bürokratieabbau und Steuererleichterungen blieben aus, stattdessen nehmen die Unsicherheiten für die Unternehmen zu.
Bereits jeder dritte Betrieb (34 Prozent) zwischen Harz und Küste berichtet von einer schlechten Geschäftslage, nur noch jedes sechste Unternehmen (16 Prozent) meldet eine gute Lage – ein so großes Ungleichgewicht gab es zuletzt in der Hochphase der Corona-Pandemie sowie während der Finanz- und Wirtschaftskrisen 2002 und 2008. „Das Hauptproblem, das uns die Unternehmen zurückmelden, ist die wirtschaftspolitische Lage“, erklärt Bielfeldt. 67 Prozent der Unternehmen nennen die unstete Wirtschaftspolitik in Bund und EU als größtes Risiko, gefolgt von der schwachen Inlandsnachfrage (63 Prozent), den Arbeitskosten (56 Prozent) und dem Fachkräftemangel (55 Prozent). Die Energie- und Rohstoffpreise sind von Platz drei auf Platz fünf gefallen (43 Prozent).
- Alarmstufe Rot in der Industrie: Seit der Corona-Krise klagen Unternehmen im produzierenden Gewerbe zunehmend über sinkende Auftragseingänge. Mittlerweile beurteilt jeder zweite Industriebetrieb seinen Auftragsbestand als zu klein. „In der Automobilindustrie mit ihren Zulieferern herrscht Alarmstufe Rot“, warnt Bielfeldt. Im Bereich der sogenannten Investitionsgüter (Fahrzeugbau, Maschinenbau, Elektrotechnik) ist die Stimmung weiterhin überwiegend schlecht. In den energieintensiven Branchen (Chemie, Papier, Glas, Metallerzeugung) vermeldet kaum ein Unternehmen eine positive Geschäftslage. Die IHKN-Experten führen diesen Abwärtstrend auf steigende Arbeitskosten bei gleichzeitig sinkender Inlandsnachfrage zurück. Auch die Energiekosten sind nach wie vor hoch. Diese Faktoren spiegeln sich auch in den rückläufigen Investitionen wider. Kapazitätserweiterungen sind für die Unternehmen kaum noch ein Thema, auch beim Umweltschutz wird zunehmend auf die Bremse getreten. „Die Arbeitskosten sind für viele Unternehmen zu hoch. Investitionen finden, wenn überhaupt, im Ausland statt, manchmal sogar im europäischen Ausland, aber nicht hier in Niedersachsen“, so Bielfeldt.
- Der Konsum zieht nicht an: Im Einzelhandel haben sich die Hoffnungen auf einen Aufschwung trotz hoher Tarifabschlüsse und Lohnsteigerungen nicht erfüllt – im Gegenteil. „Wir müssen leider feststellen, dass die Konsumneigung weiter zurückgeht“, berichtet Bielfeldt. Die wachsende Kaufkraft sei nur im Lebensmittelhandel, bei Gesundheitsprodukten und im Tourismus spürbar. „Die Menschen wollen reisen, sparen dafür aber an anderer Stelle, was besonders Restaurants zu spüren bekommen“, erklärt die IHKN-Hauptgeschäftsführerin. Auch Baumärkte, Elektronikfachhändler, Möbelhäuser und Bekleidungsgeschäfte berichten von einer schwachen Entwicklung. Bielfeldt: „Der Großhandel meldet die schlechteste Geschäftslage seit 25 Jahren.“
- Weniger Dienstleistungen gefragt: Banken und Versicherungen berichten von guten Geschäften, während die Dienstleistungsbranche deutliche Einschnitte verzeichnet. Selbst die IT-Branche meldet mittlerweile rückläufige Geschäfte und düstere Aussichten. Dagegen brummt das Geschäft bei Wirtschaftsprüfern und Steuerberatern. „Die müssen sich schließlich um die wachsende Bürokratie kümmern“, bemerkt Bielfeldt.
- Logistik unter Kostendruck: Nach der Erhöhung der Lastwagen-Maut stöhnen die Transportunternehmen über gestiegene Arbeitskosten. Zudem bleibt der Fahrermangel ein Dauerproblem, weshalb sich die Unternehmen mehr Flexibilität und weniger starre Vorgaben bei den Arbeitszeiten wünschen. Die Bauwirtschaft bleibt indes weiter zwiegespalten: Während der Bau von Straßen und Infrastruktur floriert, bleibt die Lage im Wohnungsbau trotz einer erneuten Zinssenkung durch die Europäische Zentralbank weiter schwierig.
- Externe Impulse fehlen: Eine wachsende Weltwirtschaft wird die niedersächsische Industrie nicht mit nach oben ziehen, glauben die Unternehmen. Die Exporterwartungen sind erneut gesunken und liegen tief im negativen Bereich. Dies liegt unter anderem an den bevorstehenden Präsidentschaftswahlen in den USA. Zwar habe der „Inflation Reduction Act“ von Präsident Joe Biden vor allem in den USA für Wachstum gesorgt, aber auch deutsche Unternehmen hätten davon profitiert, erklärt Bielfeldt. Sollte jedoch Donald Trump ins Weiße Haus zurückkehren, könnte das Investitionsprogramm gestoppt werden. Ein weiteres Unsicherheitsmoment sind die Strafzölle auf chinesische Elektroautos, die ab dem 1. November in Kraft treten sollen. „Wir sehen großes Gefährdungspotenzial und befürchten eine Eskalationsspirale“, warnt Bielfeldt.
- Politik muss handeln: „Der Wirtschaftsstandort ist schlicht zu teuer und zu träge“, fasst Bielfeldt die Probleme zusammen und fordert: „Bürokratie, Genehmigungsverfahren, Steuern – alles ist reformbedürftig. Alles, was Investitionen anreizt, muss auf die politische Agenda.“ Die Wirtschaft warte dringend auf einen „Mut machenden Impulsgeber“. Zur Verbesserung der Stimmungslage hält die Volkswirtin eine Senkung der Unternehmenssteuern und Steuererleichterungen für Investitionen für den richtigen Weg. „Dieses Thema muss dringend angegangen werden. Wir sind in Europa immer noch Spitzenreiter in dieser Hinsicht“, betont Bielfeldt. Die niedersächsische Landesregierung habe mit der Reform der Bauordnung und der Einführung einer zentralen Ausländerbehörde erste Schritte unternommen. Ob Rot-Grün den Bürokratieabbau mit seiner Beschleunigungsinitiative entschlossener vorantreiben wird als die Bundesregierung, bleibe abzuwarten. „Die Verbändebeteiligung ist gut gelaufen. Jetzt müssen wir abwarten, was in den nächsten Wochen und Monaten passiert“, so Bielfeldt. Vor allem durch die Digitalisierung von Verwaltungsprozessen könne die Landesregierung den Unternehmen einen Standortvorteil bieten. Doch hier betont Bielfeldt: „Die Digitalisierung der Verwaltung funktioniert nicht, wenn sie nicht zentral gesteuert wird.“ Bislang sei dies in Niedersachsen nicht der Fall.
Dieser Artikel erschien am 22.10.2024 in der Ausgabe #184.
Karrieren, Krisen & Kontroversen
Meilensteine der niedersächsischen Landespolitik
Jetzt vorbestellen