Oberbürgermeister Frank Klingebiel (CDU) will es unbedingt, die CDU im Landtag auch – und Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) hat nun eine ernsthafte Prüfung zugesagt. Es könnte sein, dass ab Mitte Juni in Salzgitter eine sogenannte „negative Wohnsitzauflage“ wirksam wird. Das würde dann bedeuten: Wenn ein als Asylbewerber anerkannter Flüchtling, der Sozialleistungen erhält, sich niederlassen möchte, kann er überall in Deutschland hinziehen – nur nicht nach Salzgitter.

Gut für die Zukunft oder schlecht für das Image? Der Landtag diskutiert über eine negative Wohnsitzauflage Foto: Stadt Salzgitter

Das Aufenthaltsgesetz des Bundes erlaubt es, eine solche Auflage für drei Jahre zu verhängen. Voraussetzung ist aber, dass sich die Landesregierung dazu entschließt. Die Stadt Salzgitter war in den vergangenen Monaten ein besonders begehrtes Zuzugsziel für Flüchtlinge – im Schnitt leben hier 178 von ihnen je 10.000 Einwohner, im Landesdurchschnitt sind es hingegen nur 58. In Salzgitter herrscht die Sorge, eine „syrische Community“ könne sich entwickeln und dies könne die Vorstufe einer Ghettobildung sein. Salzgitter hat 5100 Flüchtlinge bei 106.000 Einwohnern, die Landeshauptstadt Hannover hat 500.000 Einwohner und 3800 Flüchtlinge. Am Donnerstag diskutiert der Landtag über dieses Thema.

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Wie dramatisch die Situation ist, hat Klingebiel wiederholt mit der Landesregierung besprochen. „Irgendwann ist das Boot voll und die Sorge ist dann, dass wir die zwingend notwendige Integration nicht mehr erfolgreich vermitteln können“, sagte der Oberbürgermeister gestern dem Politikjournal Rundblick. So hatten sich im vergangenen Jahr 2400 Zuwanderer auf den Weg nach Salzgitter gemacht. Es locken hier frühere Werkswohnungen, von denen noch rund 3000 leer stehen, die aber teilweise in marodem Zustand sind und deshalb günstig angeboten werden. Sie konzentrieren sich in bestimmten Stadtteilen. In den ersten Monaten dieses Jahres sind noch einmal 400 Flüchtlinge nach Salzgitter gekommen.

Klingebiel hat errechnet, dass er 10 Millionen Euro bräuchte, um zehn neue Krippen- und zehn neue Kindergartengruppen für die Flüchtlingskinder zu bauen, noch einmal vier Millionen jährlich für deren Betrieb. Die 180 Millionen Euro des Bundes aber, die das Land jeweils in diesem und nächsten Jahr für die Integration, Erwachsenenbildung und Kindergärten für Flüchtlinge ausgibt, würden nicht einmal annähernd reichen, die Mehrkosten der von Zuwanderung besonders betroffenen Kommunen zu decken. Das beträfe neben Salzgitter noch Delmenhorst, Wilhelmshaven, Oldenburg und Emden, die Landkreise Vechta und einige Kreise mit mittelgroßen Städten. Ein in dieser Situation nötiges System des Finanzausgleichs aber, das die Kommunen mit besonders vielen Flüchtlingen gezielt unterstützt, fehlt in Niedersachsen bisher.

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Weil hat, wie verlautet, gegenüber Klingebiel auf mögliche ernste Folgen eines Zuzugsverbots hingewiesen: Salzgitter wäre dann die ersten Stadt bundesweit, die sich gegen neue Flüchtlinge sperrt – und das würde ein merkwürdiges Licht auf die Stadt wirken, die in der Vergangenheit stets den Ruf hatte, besonders offen und hilfsbereit zu sein. Trotzdem signalisiert die Landesregierung Bereitschaft zu diesem Schritt, obwohl die Wohnsitzauflage an sich auch in der rot-grünen Koalition Niedersachsens umstritten ist, da viele Grüne nichts davon halten. Die sogenannte „positive“ Auflage, die besagt, neuankommenden Flüchtlingen bestimmte Wohnorte vorzugeben, hat auch juristische Tücken. In Nordrhein-Westfalen gilt sie, und der Deutsche Städtetag berichtet auch, viele Kommunen im Ruhrgebiet hätten seitdem „eine deutliche Entlastung“ gespürt.

Umgekehrt hat das Verwaltungsgericht Arnsberg in vielen Fällen, in denen Flüchtlinge gegen die Auflage klagten, ihnen Recht gegeben. Für Salzgitter ist jetzt aber eine „negative“ Auflage im Gespräch, die juristisch wohl einfacher durchzusetzen wäre. Sie würde besagen, dass Salzgitter derart überlastet ist mit der Integration der vorhandenen Zuwanderer, dass man keine weiteren aufnehmen könne. Ob es dazu kommt, wird die Landesregierung vermutlich nicht vor Mitte Juni entscheiden. In den Kommunen wächst die Befürchtung, eine solche „Lex Salzgitter“ könnte die einzige Antwort auf das landesweite Problem der ungleichmäßigen Ansiedlung anerkannter Flüchtlinge sein.