„Wir wollen nicht die Rolle eines Landvolks 2.0 annehmen“
Henriette Struß (28), Landwirtin aus Barsinghausen (Region Hannover) und Sprecherin der Initiative „Land schafft Verbindung“ in Niedersachsen, ist von den Lesern des Politikjournals Rundblick zur „Niedersächsin des Jahres 2019“ gewählt worden. Im Gespräch mit der Rundblick-Redaktion äußert sie sich zur Arbeit und zu den Besonderheiten ihrer Organisation.
Rundblick: Frau Struß, sind Sie eigentlich überrascht gewesen von den vielen Stimmen, die sich für Sie bei der Wahl zur „Niedersächsin des Jahres“ entschieden haben?
Struß: Ja, durchaus – obwohl ich ja weiß, wie gut wir vernetzt sind. Aber das Ergebnis war dann doch beeindruckend.
Rundblick: Wie schaffen Sie es denn, so gut organisiert zu sein?
Struß: Wir arbeiten vorwiegend über Whatsapp-Gruppen. Wenn einer unserer Mitglieder auf eine interessante Nachricht oder ein aktuelles Problem stößt, dann leitet er die Nachricht in der Whatsapp-Gruppe weiter. Im Raum Hannover haben wir drei Regionalgruppen, landesweit sind es etwa 100. Daneben gibt es noch spezielle Gruppen etwa für die Treckerfahrer. Ich gehöre zum Organisationsteam, das aus sieben Leuten besteht und regelmäßig beurteilen muss, welche Botschaften, die über die verschiedenen Whatsapp-Gruppen eingehen, für wichtig und interessant erachtet werden. Wenn das in bestimmten Fällen so ist, leite ich die Nachricht weiter – und kann so binnen Sekunden alle Regionalgruppen im Land erreichen, manchmal auch die bundesweit agierenden Gruppen.
Wir sind alle selbstständig, alle sind Chefs und haben eigene Unternehmen. Da ordnet man sich ungern unter.
Rundblick: Das heißt aber für Sie eine Menge Arbeit – Sie müssen ja quasi ständig am Bildschirm sitzen, lesen und entscheiden, was weitergeleitet werden soll…
Struß: Ja, ich habe mein Handy immer dabei. Gleich nach diesem Interview werde ich mich hinsetzen und die Nachrichten lesen. Das bindet Kräfte, aber wir sind ja mehrere im Team.
Rundblick: Sie haben eine mächtige Position. Kommt es darüber auch mal zum Streit?
Struß: Wir wollen von „Land schafft Verbindung“ kein „Landvolk 2.0“ werden – bei uns gibt es keine festen Strukturen, keine abgeschotteten Gremien. Wir stehen im ständigen Meinungsaustausch mit den Mitgliedern der Whatsapp-Gruppen, wir suchen ständig Rückkopplung. Außerdem haben wir Fachleute für Schweinezucht, Zuckerrüben, Pflanzenschutzmittel und so weiter. Ja, es gibt auch verschiedene Meinungen. Dann reden wir darüber im Orga-Team, welche Positionen jetzt vordringlich sind und welche wir zunächst zurückstellen. Dazu gibt es immer wieder auch Abstimmungen. Aber die Verständigung hat bisher immer reibungslos funktioniert.
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Rundblick: Sie haben mal gesagt, dass man bei drei Bauern nur dann eine einheitliche Meinung herstellen kann, wenn man vorher zwei davon totschlägt…
Struß: (lacht) Das ist nun mal so in der Landwirtschaft: Wir sind alle selbstständig, alle sind Chefs und haben eigene Unternehmen. Da ordnet man sich ungern unter. Aber auf der anderen Seite ist die Betroffenheit von politischen Entscheidungen überall gleich, das verbindet uns.
Rundblick: Läuft auch mal was aus dem Ruder? Bei der großen Kundgebung neulich vor dem Rathaus in Hannover hatte man den Eindruck, dass die Koordination nicht optimal war.
Struß: Aus dem Ruder ist nichts gelaufen. In der Rednerliste hat es leichte Veränderungen gegeben. Wir wollten eigentlich keine Politiker zu Wort kommen lassen. Dann kam ein CDU-Abgeordneter als Vertreter der Ministerin, prompt meldete sich noch ein SPD-Abgeordneter, FDP und Grüne waren für die Opposition da. Das lag an mir, weil ich es spontan zugelassen hatte. Hinterher kam Kritik, weil die Veranstaltung viel länger dauerte als geplant. Manche warfen mir auch vor, ich hätte die AfD ausgegrenzt, was gar nicht meine Absicht war. Mir ist die Parteizugehörigkeit egal, es geht mir um die Sache.
Rundblick: Wie schützen Sie sich vor Unterwanderungsversuchen?
Struß: In Erfurt hatte es bei einer Versammlung Versuche von rechtsextremen Kräften gegeben, die unter den Demonstranten waren und Stimmung machen wollten. In solchen Situationen, haben wir verabredet, soll der Versammlungsleiter das Recht haben, Teilnehmer auszuschließen.
Manche warfen mir vor, ich hätte die AfD ausgegrenzt, was gar nicht meine Absicht war. Mir ist die Parteizugehörigkeit egal, es geht mir um die Sache.
Rundblick: Bisher agieren Sie als Plattform, die vor allem andere reden lässt – etwa auf den Kundgebungen. Dort haben sie eher eine moderierende Rolle. Geht es Ihnen nur darum, den Protest zu artikulieren? Was machen Sie, wenn die Politiker sie um Rat fragen und ihre Haltung in politische Entscheidungen einfließen lassen wollen?
Struß: Wir sind jung, spontan und flexibel – daher haben wir bisher viel zugelassen auf den Kundgebungen. Künftig werden wir die Aktionsformen vermutlich verändern und spontaner auftreten. Wie wäre es etwa, wenn sich Bauern verabreden, mit dem Trecker einkaufen zu fahren? Sicher kann es sein, dass wir auch mit Politikern reden. Frau Otte-Kinast hat uns auch schon eingeladen.
Rundblick: Und in wessen Namen treten Sie dann dort auf? Wie sind Sie legitimiert?
Struß: Es geht nur mit Vertrauen und Transparenz. Über jedes Treffen werden Protokolle angefertigt und in die Whatsapp-Gruppen geschickt. Außerdem haben wir ja die Fachleute in den verschiedenen Fachgruppen, die immer dann hinzugezogen werden, wenn es um ein Spezialthema geht.
Rundblick: Aber legitimiert sind Sie ja eigentlich nicht, sie haben keinen gewählten Vorstand und keine Organisationsstrukturen…
Struß: Ende Januar haben sich 60 Vertreter in Verden getroffen, aus jedem Kreisverband kamen ein oder zwei Mitglieder. Wir haben uns dann darauf verständigt, ein Team von zwölf Vertretern, zu dem ich auch gehöre, als unsere kommissarische Vertretung zu benennen. Das war einstimmig.
Rundblick: Na, dann haben Sie ja doch schon einen Vorstand…
Struß: Wir nennen es „kommissarischen Beirat“…