Die Corona-Pandemie zeigt, wie schnell uns unerwartete Ereignisse massiv verunsichern können. Das gilt auch für die Politiker. Die parlamentarischen Prozesse sind seit vielen Jahrzehnten eingeübt und ritualisiert, manchmal sogar so sehr, dass einige daran Überdruss empfinden. Und nun waren auf einmal die Kontakte, Versammlungen und Gruppentreffen, das Salz der Demokratie, nicht mehr erwünscht. Sie galten sogar als gefährlich. Kontaktbeschränkungen wurden staatlich verordnet.

Wie aber funktioniert die Demokratie ohne direkte Kontakte der Menschen und Entscheidungsträger? Die Abgeordneten im Landtag wirkten hochgradig irritiert, suchten nach Auswegen und neuen Beschäftigungsmöglichkeiten. Sie waren zeitweise sogar neidisch auf die Journalisten, die in der Öffentlichkeit Fragen an die Regierung stellen konnten, während das Parlament sich anfangs freiwillig zurückgezogen hatte. Insofern war das Jahr 2020 ein Jahr der Verwirrungen.

Foto: Jakob Brüning

Eigentlich können wir uns noch glücklich schätzen, dass die Corona-Krise erst 2020 ausgebrochen ist und nicht schon 1970. Wirklich? So ganz richtig ist diese These nicht, denn auch vor genau 50 Jahren hatten wir eine Epidemie, die Honkong-Grippe, an der weltweit eine Million Menschen starben. Aber 1970 hatte das Thema keine so beherrschende öffentliche Wirkung wie Corona heute, die Angst war auch nicht verbreitet. Stellen wir uns vor, damals wären im großen Stil Geschäfte geschlossen worden, es wären Versammlungen untersagt und Abstandsregeln verfügt worden. Ein Chaos wäre vermutlich die Folge gewesen, weil das in der Tat viele Kontakte verhindert hätte.

Heute können wir Konferenzen per Video abhalten, Gremien können auf diese Weise Vereinbarungen aushandeln und Entscheidungen absegnen. Jeder hat ein Handy, das ihn an jedem Ort zu jeder Zeit mit den aktuellen Nachrichten versorgen kann und überall erreichbar werden lässt. Das ist schon ganz viel, es gewährleistet die Funktionsfähigkeit der Gesellschaft auch bei strengen Schutzvorkehrungen und Abschottungen in Notsituationen wie diesen. Aber es ist wiederum auch noch wenig, wenn man die Frage beleuchtet, ob der Fortschritt der Digitalisierung nicht noch viel weiter hätte sein müssen.


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Das bedeutet einen Arbeitsauftrag an die Politik. Soll nun der Landtag die Corona-Verordnung stärker mitbestimmen? Nein, denn das wäre ein Wetteifern mit der Exekutive. Das Parlament soll nun gerade keine kurzfristigen, der Not geschuldeten Festlegungen verfügen, dies ist die Aufgabe der Regierung. Das Parlament soll die großen Weichen stellen, nötige Veränderungen anschieben und langfristige Fehlentwicklungen stoppen. Zum Beispiel hier:

Der Staat braucht eine radikale Verwaltungsreform: Enorme Corona-Schulden bei Land und Kommunen, Fachkräftemangel und viel zu langsame Entscheidungsprozesse – all das zwingt zu radikalen Veränderungen. Begleitend zu einer konsequenten Digitalisierung von Verwaltungsabläufen müssen diese massiv vereinfacht werden, Datenschutzhürden müssen fallen, Anhörungs- und Einspruchsrechte müssen gekürzt werden. Hierarchieebenen müssen kippen. Was die dazu tätige Regierungskommission der Landesregierung vorgelegt hat, verdient die Bewertung „lächerlich“ – das ist viel zu wenig angesichts der riesigen Herausforderungen.

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Der Staat muss „pandemiefest“ werden: Eine Lehre aus der Corona-Krise ist, dass das gesamte öffentliche Leben stets einen funktionstüchtigen „Plan B“ haben muss: Falls erneut ein tödliches Virus grassiert, muss die Verwaltung im großen Stil sofort auf Distanzbetrieb umschalten können, ebenso wie die Parteien, die Kommunalvertretungen und auch die Parlamente. Dazu ist es nötig, dass die bisherigen Konzepte ausgefeilt und allgemein anwendbar werden. Wichtig ist, dazu die letzten Lücken im Breitbandausbau zügig zu schließen. Alle Behörden und Firmen müssen Konzepte entwickeln, wie sie weitgehend auf Home-Office umschalten können. Die Gesundheitsdienste müssen auf Knopfdruck hochleistungsfähig sein, und der Datenschutz muss dann ebenso auf Knopfdruck in den Hintergrund treten können, zumal seine übertriebenen Regeln sowieso schon längst nicht mehr angemessen sind. So berechtigt die Sorge vor einem „Überwachungsstaat“ auch sein mag – im Notfall lieber diesen Weg wählen, als durch Nichtstun die Ausbreitung des Virus zu riskieren. Das ist, wie gesagt, der „Plan B“ für den Notfall, nicht für den Normalfall.

Der Staat braucht ein Effektivitäts-Programm: Unter Volkswirtschaftlern ist umstritten, ob man die staatlichen Ausgaben gründlich durchforsten und ein Sparprogramm starten sollte – allein als Vorbeugung für den Fall, dass die Zinsen irgendwann steigen und damit der Spielraum für Staatsausgaben enorm eingeengt wird. Davon unabhängig gilt in jedem Fall: Überall dort, wo vorhandene Förderprogramme zu umständlich, staatliche Bereiche zu üppig und kompliziert aufgebaut, Meinungsbildungsprozesse zu schwerfällig sind, ist nicht nur eine Reform nötig, sondern fast schon eine Revolution. Deshalb darf Hilfe in schwierigen Zeiten nicht heißen, überkommene Strukturen mit öffentlichem Geld zu konservieren und damit die Reformnotwendigkeit auszubremsen. Ein „Sparprogramm“ in diesem Sinne ist unbedingt erforderlich – allerdings anders, als wenn der Finanzminister mit der Rasenmähermethode einen bestimmten Geldbetrag einkassieren will.

Die verbreitete Angst vor einer Pandemie kann ein noch so gut organisierter Staat nicht beseitigen. Aber eine auf ein mögliches nächstes Virus vorbereitete Gesellschaft kann vielen Menschen ein Gefühl von mehr Sicherheit vermitteln und die Gefahr einer Lähmung der Gesellschaft bannen. Dafür lohnt sich der Einsatz.

Von Klaus Wallbaum