Darum geht es: Die niedersächsischen Grünen haben in Wolfenbüttel ihr Programm für die Landtagswahl verabschiedet. Auf dem Parteitag ging es aber auch um das Selbstverständnis der Partei. Ein Kommentar von Martin Brüning.

Wo stehen wir? Braucht es uns noch? Über diese Fragen dachten Spitzenpolitiker der niedersächsischen Grünen am Wochenende am Rednerpult in Wolfenbüttel laut nach. Vom „grünen Blues“ sprach der Landtagsabgeordnete Volker Bajus. Die aktuellen Umfragen setzen der einst erfolgsverwöhnten Partei zu. Die acht Prozent, bei denen die Grünen in Niedersachsen derzeit angeblich stehen, sind dem Führungspersonal der Partei zu wenig.

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Mehr Diskussionen und eine höhere Bereitschaft zum Zuhören auf einen, weniger erhobene Zeigefinger auf der anderen Seite: mit diesem Rezept wollen die Grünen dem Wähler wieder näherkommen. Es ist nicht überraschend, dass ausgerechnet die Landtags-Fraktionsvorsitzende Anja Piel an der Spitze der neuen grünen Geisteshaltung steht. Der Angstforscher Borwin Bandelow hatte der Grünen-Fraktion im Februar erklärt, die Partei wolle immer die Welt erklären. Dabei gingen Wähler verloren. Piel hat das Problem bereits damals erkannt. „Wir erklären immer gleich und dozieren, anstatt zuzuhören, worum es eigentlich geht. Das ist wie ein Reflex. Wir erzählen uns bei Veranstaltungen gegenseitig, wie sich die Welt sich dreht“, sagte Piel damals im Gespräch mit dem Rundblick. Piels Umdenken seit Februar mündete nun in Wolfenbüttel in eine starke Rede und einen Appell an die Partei. Umweltminister Stefan Wenzel und der ehemalige Parteivorsitzende Jan Haude schlossen sich in ihren Reden an. Die Grünen wollen wieder mehr Rechtsstaats- und weniger Rechthaberpartei sein.

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Wird nun alles anders? Mit Sicherheit nicht. Es gibt zwar Anzeichen einer neuen Tonalität, wenn zum Beispiel im Agrarbereich das Gespräch mit den Landwirten gesucht und Vertrauen aufgebaut werden soll. Aber es gab in Wolfenbüttel auch genügend Anzeichen dafür, dass die grüne Basis an ihren, teilweise ja auch liebenswerten, Marotten festhält. So soll das Fahrrad auch auf dem Land stärker zu einer Alternative für das Auto werden. Das wird vielen Pendlern nur ein müdes Lächeln ins Gesicht treiben. „Das postfossile Zeitalter hat längst begonnen“, heißt es im Programm. Die Realität an der Tankstelle und die Programm-Realität der Grünen sind nicht unbedingt an jeder Stelle deckungsgleich.

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Unterhaltsam war auch die kontroverse Debatte über den Zukunftstag, den die Grünen wieder „girls‘ and boys‘-Day“ nennen wollen, damit den Geschlechterunterschieden auch Rechnung getragen wird. So viele kontroverse Debatte gab es auf diesem Landesparteitag nicht. Da war es schon amüsant, dass sich die Gemüter gerade an dieser Stelle erhitzten.

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Zugleich sind die Grünen ein halbes Jahr vor der Landtagswahl auf der Suche nach mehr Beinfreiheit. „Es geht der Partei nicht schnell genug, und sie erwartet noch mehr Konsequenz in der Umsetzung“, hatte die Parteivorsitzende Meta Janssen-Kucz bereits in der Pressekonferenz vor dem Parteitag in Bezug auf die rot-grüne Agrarpolitik gesagt. In Wolfenbüttel holzte dann Agrarminister Christian Meyer: „Ohne uns macht es die SPD wie die CDU in der Großen Koalition, und das ist Mist!“ Auch hinter den Kulissen denkt man schon über mögliche Koalitionsoptionen nach und schaut dabei auch nach Kiel. Schwarz-gelb-grün in Niedersachsen? Warum eigentlich nicht, fragt sich der eine oder andere Funktionär. Dennoch sind nach dem Parteitag in Wolfenbüttel weiterhin Zweifel angebracht, ob dieses Modell bei einem niedersächsischen Grünen-Parteitag am Ende wirklich mehrheitsfähig wäre.

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