Wie Umweltminister Olaf Lies das Fahrverbot in Oldenburg wegrechnet
Von Martin Brüning
Auf Andreas Scheuer ist Niedersachsens Umweltminister Olaf Lies nicht gut zu sprechen. Der Bundesverkehrsminister hatte in einer Fernsehsendung behauptet, in Oldenburg seien die höchsten Messwerte während eines Marathonlaufs gemessen worden. „Wenn das nicht Gaga ist…“, lautete die Einschätzung des Ministers. Lies zufolge geben das die Daten allerdings gar nicht her. „Es ist eine erschütternde Betrachtung, wenn ein Bundesminister nicht in der Lage ist, sich das einmal im Detail anzusehen und zu bewerten“, schimpfte der Landesminister am Mittwoch auf einer Pressekonferenz in Hannover.
Er führe auch keine Debatte über Grenzwerte, so eine Diskussion sei falsch. „Ich weiß nicht, wozu das führen soll. Die Änderung des Grenzwertes, wenn es auf europäischer Ebene überhaupt dazu käme, wäre ein derart langer Prozess, dass wir bis dahin schon lange allein durch die Entwicklung der Fahrzeugflotten den Wert unterschritten hätten.“
Auch die Diskussion über den Standort von Messstationen hält Lies für überflüssig. „Die Messstationen sind absolut richtig. Ich habe mich eher gefragt, ob der gemessene Wert repräsentativ für die Entscheidung ist.“ Die Entscheidung lautet: mögliche Fahrverbote. Und die stellt Niedersachsens Umweltminister jetzt in Frage – zumindest in Oldenburg.
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Für den dortigen Heiligengeistwall hat das Umweltministerium in den vergangenen Wochen die Konzentration des Stickstoffdioxids im Umfeld der Messstation mit einem aufwendigen Berechnungsverfahren prüfen lassen. In die Modellrechnung flossen zum Beispiel die Geometriedaten der Gebäude und die Vegetation mit ein. Sogar Tordurchfahrten wurden inkludiert, weil es hier eine andere Luftzirkulation gibt. Das Ergebnis habe den gleichen Wert, als wenn man an der Stelle mit einem Gerät gemessen hätte, ist der Umweltminister überzeugt.
Er präsentiert zum 26-seitigen Bericht des Gewerbeaufsichtsamtes Hildesheim bunte Grafiken, x- und y-Achsen, Tabellen mit NO2-Werten. Das Ergebnis des „prognostischen Strömungs- und Ausbreitungsmodells“: Der Jahresmittelwert liegt in den Bereichen, in denen Menschen am Heiligengeistwall wohnen, unter den Grenze von 40 Mikrogramm, weil die NO2-Konzentration mit steigender Höhe und steigender Entfernung zur Fahrbahn abnimmt. Die Wohnungen an der Straße beginnen allesamt im ersten Stock in fast vier Meter Höhe. Im Erdgeschoss gibt es Geschäfte. Für die gelten Lies zufolge dann allerdings ohnehin die höheren Grenzwerte der Arbeitsstättenverordnung. Man werde jetzt auch noch einmal Messungen durchführen müssen, um die Ergebnisse der Berechnung zu belegen, erklärt Lies.
Oldenburgs Oberbürgermeister sieht sich bestätigt
Der Stadt Oldenburg hat er die Daten bereits geschickt. Dort sieht sich Oberbürgermeister Jürgen Krogmann bestätigt. Er habe schon immer betont, dass generelle Diesel-Fahrverbote unverhältnismäßig seien. Die neue Berechnung zeichne ein wirkliches Bild der tatsächlichen Belastung, so Krogmann. Das Ministerium werde im nächsten Schritt an den Bund melden, dass der Jahresmittelgrenzwert für Stickstoffdioxid in Oldenburg in 2018 nicht überschritten worden sei. Und das Ergebnis der Modellrechnung soll natürlich auch in das Gerichtsverfahren mit der Deutschen Umwelthilfe einfließen. Ob den Richtern die Berechnung ausreicht oder ob sie auf konkret vor Ort nachgemessene Werte bestehen, bleibe abzuwarten.
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Im Landtag gab es für Lies‘ neue Berechnung Applaus von der FDP und Kritik von den Grünen. „Die Umwelthilfe sollte alle Klagen in Niedersachsen zurücknehmen, da die jetzt durchzuführenden Modellrechnungen für Hannover und Osnabrück ein mindestens ähnlich niedriges Ergebnis erwarten lassen“, sagte FDP-Fraktionsvize Jörg Bode. „Wir haben immer gesagt, dass richtige Messungen nötig sind und die bisherigen Messungen nicht die EU-Richtlinie abbilden, sondern eine weltweit einmalige Messidiotie sind.“ Die neuen Bewertungsmethoden dürften Bode zufolge der Anfang vom Ende der Diskussion um Fahrverbote in ganz Deutschland sein.
Bei den niedersächsischen Grünen ist dagegen von „Scheingefechten und Taschenspielertricks“ die Rede. Der Umweltminister lasse einfach korrekt erhobene Messwerte durch die eigenen Beamten neu bewerten, kritisierte die Grünen-Landesvorsitzende Anne Kura. „Statt die Luft sauber zu rechnen, müssen endlich wirksame Maßnahmen umgesetzt werden, damit die Luft in den Städten tatsächlich sauber wird“, forderte sie.
Als nächstes auf der Liste: Hannover
Der Umweltminister setzt dagegen darauf, dass die Modellrechnung die Debatte um Luftwerte in eine neue Richtung lenkt. „Wir haben es dem Bund gemeldet und erwarten jetzt, dass die Berechnung in die Diskussion der Gremien einfließt.“ In Niedersachsen soll das Modell nun auch auf Hannover, Hildesheim und Osnabrück angewandt werden. Zuerst befassen sich die Experten des Gewerbeaufsichtsamts mit der Landeshauptstadt. Aufgrund von mehr Messpunkten und einer größeren Fläche dürfte das Ergebnis aber erst in ein paar Monaten zu erwarten sein.
Selbst wenn sich die Richter in Bezug auf den Heiligengeistwall zunächst nicht überzeugen lassen, hat Oldenburg weiterhin gute Chancen auf sinkende Werte. Denn eines machen die Zahlen auch deutlich: ein Zehntel des Verkehrs am Heiligengeistwall machen Busse aus. In Oldenburg sollen bald aber 25 neue Erdgas-Busse die bisherige Diesel-Flotte ablösen. Die Luft wird dadurch auf jeden Fall besser – dazu braucht es nicht einmal ein Rechenmodell.