Bald ist der Jahrestag da, dann gehört die Corona-Pandemie schon seit zwei Jahren zur Wirklichkeit nicht nur in Deutschland, sondern weltweit. Wie lange geht das so noch weiter? Diese Frage kreiste über dem gestrigen Mittwoch im niedersächsischen Landtag. Zu Beginn stand eine Regierungserklärung von Ministerpräsident Stephan Weil. In der Mitte seiner Rede sprach er den entscheidenden Satz: „Wenn wir nun seit fast zwei Jahren immer wieder denselben Kreislauf erleben, von Infektionswellen und Entspannungsphasen, Infektionswellen und Entspannungsphasen, Infektionswellen und Entspannungsphasen – ist es dann nicht endlich an der Zeit, diesen Kreislauf zu durchbrechen?“ Und kurz danach fügte er noch hinzu: „Gibt es dann eine sinnvolle Alternative zu einer Impfpflicht?“ Seine Antwort ist nein.

Zum Auftakt der ersten Landtags-Sitzung wurde unter anderem über eine mögliche Impfpflicht diskutiert. | Fotos: Kleinwächter

Der Applaus der großen Mehrheit des Parlaments war Weil an dieser Stelle sicher, denn die Fraktionschefs von SPD, CDU und Grünen plädierten in ihren Reden auch klar für eine Impfpflicht. Lediglich Stefan Birkner (FDP) und die fraktionslosen Abgeordneten aus der ehemaligen AfD-Fraktion äußerten sich anders. Aber der Hinweis von Weil zeigte dennoch auf bestimmte Weise Risse in der Großen Koalition in Hannover – nämlich in ihrer Haltung gegenüber der neuen Bundesregierung.

Der CDU-Fraktionsvorsitzende Dirk Toepffer nutzte die Gelegenheit zu einer Generalabrechnung mit der Corona-Politik, die durchaus selbstkritisch ausfiel, die allgemeine Ratlosigkeit der Politiker beschrieb und dennoch sehr hohe Erwartungen ausdrückte: vor allem mit Blick auf das Bundeskanzleramt. Toepffer schilderte zunächst die Situation nach der jüngsten Ministerpräsidentenkonferenz: Den Verantwortlichen falle gegen die explodierende Omikron-Variante nichts mehr ein, sie seien auf die massiven Infektionen nicht vorbereitet, die Kontakt-Nachverfolgung könne von den Gesundheitsämtern nicht mehr geleistet werden und die Quarantäne-Regeln könnten nicht mehr streng ausfallen, da sonst das öffentliche Leben zusammenzubrechen drohe.

Die Ministerpräsidentenkonferenz habe also einen „Offenbarungseid“ abgegeben, sie drücke sich um klare Antworten herum und wisse nicht mehr weiter. Ausdrücklich ausnehmen von der Kritik wolle er die Große Koalition in Niedersachsen, diese bleibe seit zwei Jahren auf klarem Kurs und ernte dafür große Akzeptanz. Der Ministerpräsident genieße hohes Vertrauen.

„Olaf Scholz hat Führung versprochen, aber es fehlt ihm am Rückgrat. Er tritt wie ein Politiker auf, der nicht führen will in der wichtigsten Frage dieses Landes.“

Dirk Toepffer

Die Bundesregierung jedoch, fügte Toepffer hinzu, gefährde durch ihr Verhalten die Zustimmung der Menschen zur Corona-Politik – wie man an der Impfpflicht-Debatte gerade erleben könne. Nötig sei ein klares und entschlossenes Regierungshandeln, das dann der parlamentarischen Kontrolle unterliege. Verkehrt sei die Flucht in eine angebliche Gewissens-Entscheidung der freien Abgeordneten, die dafür keine Rechenschaft ablegen müssten. Gegenwärtig drohe die Akzeptanz „zerredet“ zu werden, und als hauptverantwortlich dafür sieht Toepffer den Bundeskanzler: „Olaf Scholz hat Führung versprochen, aber es fehlt ihm am Rückgrat. Er tritt wie ein Politiker auf, der nicht führen will in der wichtigsten Frage dieses Landes.“ Die SPD habe „den falschen Mann ins Kanzleramt geschickt“. Starker Applaus bekam Toepffer daraufhin aus der CDU, während SPD, FDP und Grüne seine Rede mit Schweigen quittierten.

Grüne kritisiert: Landesregierung zählt zum „Team Vorsicht“ statt zum „Team Vorsorge“

Zuvor lieferten sich die Fraktionsspitzen im Landtag eine kontroverse Debatte über Details der Corona-Politik. Ministerpräsident Weil hatte anfangs erklärt, in den kommenden drei bis vier Wochen würden die Infektionen einen Höchststand erreichen – und den Niedersachsen stünden jetzt „sehr anstrengende Wochen bevor“. Julia Hamburg (Grüne) bemängelte, die Landesregierung sehe sich als „Team Vorsicht“, angemessen wäre aus ihrer Sicht aber ein „Team Vorsorge“, das auf wichtige Fragen eine Antwort habe. So sei immer noch unklar, wie es mit Entschädigungszahlungen stehe, wenn sich Menschen freiwillig in Quarantäne begeben. „Die Gefahr besteht doch, dass die Leute verunsichert sind, sich lieber nicht testen und dann erkrankt zur Arbeit gehen.“

Die SPD-Fraktionschefin Johanne Modder meinte, die Grünen agierten nicht vorsorglich, sondern so, als zählten sie zum „Team: Ich habe es immer schon gewusst“. Sie bat das Kultusministerium, die sogenannten „Lolly-Tests“ für die Kindergärten einzuführen, wenn dort die Testpflicht Mitte Februar komme. Die Grünen-Politikerin Hamburg hatte gerügt, diese Tests kämen „viel zu spät“. Daraufhin widersprach Modder: „Frau Hamburg, wir tun alles, wirklich alles, um die Kinder so gut wie möglich zu schützen!“

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Rundblick-Redakteur Niklas Kleinwächter begleitete die erste Landtags-Sitzung live bei Twitter.

Der FDP-Fraktionsvorsitzende Stefan Birkner stellte Defizite in der Corona-Politik des Landes fest. So seien die Gesundheitsämter der Landkreise längst nicht mehr in der Lage, die Kontakte der Infizierten nachzuverfolgen. „Sie haben ja noch nicht mal geklärt, ob man Beamte des Landes gegen deren Willen für diese Zwecke einsetzen kann“, rügte der FDP-Chef. Was die Impfpflicht-Debatte angehe, hätten sich die anderen Landtagsfraktionen im vergangenen Dezember „leichtfertig und voreilig“ festgelegt, sogar schon für alle Jugendlichen ab 12 Jahren. „Dabei werden jetzt erst immer mehr ernsthafte Einwände gegen eine Impfpflicht bekannt.“

Der AfD-Abgeordnete Klaus Wichmann meinte, die juristische Prüfung spreche eindeutig gegen eine Impfpflicht, da derzeit keine Überlastung der Intensivstationen in den Krankenhäusern drohe. Daher sollten Bundes- und Landesregierung davon die Finger lassen. Sein Kollege Peer Lilienthal forderte, der Ministerpräsident solle für den Dialog mit den „Querdenkern“ sorgen – „wie der Papst, der ihnen die Füße küsst“. Denn nach Ende der Corona-Krise würden diese Menschen weiter Teil der Gesellschaft sein. Man könne sie nicht einfach ausgrenzen.